Die Versteigerer - Profiteure des Holocaust Fredy Kahn und die Geige

09. November 2018, 16:08 Uhr

Die massenhafte Enteignung jüdischer Bürger und die "Verwertung" des gestohlenen Besitzes unter den deutschen "Volksgenossen" führten zu einer millionenfachen Umverteilung von Möbeln, Geschirr und Kleidung. Erfolgreiche Rückführungen sind bis heute ausgesprochen selten. Denn Vorbesitzer und Neubesitzer sind schwer nachzuweisen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Neubesitzer häufig kein Interesse an einer Rückgabe haben. Man will entweder nicht in Verbindung mit "Judenauktionen" gebracht werden oder geht schlicht davon aus, dass der Kauf damals rechtmäßig war.

Ein jüdischer Viehhändler wird enteignet und deportiert

Einer der seltenen Rückgabefälle führt nach Baisingen bei Stuttgart zu Fredy Kahn. Dessen Vater Harry arbeitete dort als Viehhändler und war Teil der kleinen jüdischen Gemeinde. Am 27. November 1941 wurde er gemeinsam mit allen anderen Baisinger Juden über Stuttgart nach Riga deportiert. Nach einer neuen Verordnung, die erst zwei Tage zuvor erlassen worden war, fiel Kahns Vermögen an das Deutsche Reich. Sein privater Besitz wurde vom örtlichen Finanzamt beschlagnahmt und sollte nun der breiten Bevölkerung zugutekommen. Versteigert wurde laut Zeitungsannonce im Januar 1942 direkt "beim Haus Kahn" im Judengässle. Zwar wurde die jüdische Herkunft der "Haushaltsgegenstände" nicht ausdrücklich erwähnt – doch jedem Käufer musste klar gewesen sein, wer die Vorbesitzer waren. Niemand erwartete, dass die Juden zurückkommen würden.

Das schlechte Gewissen von Baisingen: Harry Kahn kommt zurück

Harry Kahn kam zurück. Als einziger jüdischer Bürger Baisingens überlebte er den Holocaust. Nach viereinhalb Jahren in verschiedenen Konzentrationslagern ließ sich Harry Kahn in seiner alten Heimat erneut nieder und baute seine Viehhandlung wieder auf. Er heiratete. 1947 brachte seine Frau Sohn Fredy zur Welt. Harry Kahn sah nicht ein, warum er seinen geraubten und versteigerten Besitz aufgeben sollte. Das Wiedergutmachungsangebot der öffentlichen Hand in Form einer finanziellen Entschädigung schlug er aus. Dafür klopfte er an die Türen der Baisinger Nachbarn, ließ sich Wohn- und Schlafzimmer zeigen und fragte nach seinen Möbeln.

Die alte Dame mit der Geige

Erst nach Harry Kahns Tod, vor etwa zwanzig Jahren, erfährt Sohn Fredy, dass manche seiner Nachbarn sehr wohl wissen, woher der ein oder andere Gegenstand in ihrem Haus stammt. Vor einigen Jahren meldete sich Stefanie Pfeffer, eine in der Region bekannte Organistin, bei ihm und erzählte ihm von einer Geige. Ihre Mutter habe sie ersteigert und sie "war sozusagen der Anfang von meinem Lebenswerk. Nun soll sie wieder dahinkommen, wo sie hingehört." Stefanie Pfeffer übergibt das Instrument Fredy Kahn.

Erinnerungen an die "Judenauktionen"

Noch heute erinnert sie sich an die sogenannten Judenauktionen in Baisingen: "Da wurde bekannt gegeben, zu der Zeit, an dem und dem Tag ist Versteigerung in dem Haus. Und dann sind die Leute gekommen, haben vor dem Haus gestanden und [die Versteigerer, Anm.d.R.] haben die Sachen, die Geige und Kleidungsstücke und so weiter zum Fenster rausgehalten. Viel hat sie nicht gekostet, denn wir haben ja kein Geld gehabt."

Viele hätten bei der Schnäppchenjagd zugegriffen, doch niemand will es gewesen sein, stellt Fredy Kahn heute fest. Sein Heimatdorf Baisingen hat er mittlerweile verlassen, das elterliche Haus, in dem er aufwuchs, hat er verkauft. Nur den jüdischen Friedhof am Rande des Dorfes besucht er noch regelmäßig. Hier befindet sich das Grab seiner Eltern.


Über dieses Thema berichtet der MDR auch in der Fernsehdokumentation "Die Versteigerer": TV | 13.11.2018 | 22:05 Uhr