Wie viel DDR steckt in Kinderzeichnungen?
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06. Dezember 2021, 13:02 Uhr
Wir blicken in Malmappen von Kindergartenkindern und Grundschülern aus DDR-Zeiten und fragen, was sie von damals und von der Arbeit der Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen erzählen.
"Mein Gott, wie indoktriniert wart Ihr denn schon als Kinder", entfuhr es einem westdeutschen Kollegen spontan, als er unsere kleine Galerie von Kindergartenbildern sah. "Also, wir mussten mit vier Jahren nicht unsere Staatsfahne malen", meinte er. So wie er denken sicher nicht wenige, wenn sie auf die Maiumzüge, Verkehrspolizisten und NVA-Soldaten aus Kinderhand blicken.
"Die DDR in Kinderzeichnungen" heißt der Titel unserer Bildergalerie. Dafür wurden bewusst Bilder ausgewählt, auf denen DDR-Realität zu sehen ist. Und Fähnchen schwingende Menschen gehörten nun mal genauso zum Alltag in der DDR wie Altstoff sammelnde Pioniere. Natürlich zeigen die Bilder auch, dass die Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit bereits im Kleinkindalter begann. Spätestens mit vier Jahren lernten die Kinder, wer Erich Honecker war. Die Leipzigerin Sabine Meeser, die seit 1983 als Erzieherin arbeitet, erinnert sich: "Einmal sollte ich mit Zweijährigen den 7. Oktober vorbereiten. Ich sollte mit den Kindern ein Lied einstudieren und Fahnen malen. Mit den Fahnen in der Hand wären die Kinder dann durchs Zimmer marschiert. Da hab' ich mich stur gestellt." Dafür gab's eine Rüge von der Leiterin. Wie streng die politischen Vorgaben eingehalten wurden, war von Kita zu Kita unterschiedlich und lag im Ermessen der Leiterin. Ganz ohne "politische" Themen ging es aber zumindest in den staatlichen Kindergärten nicht.
Mehr als rote Fahnen und Panzer
Doch nur einen Bruchteil der Malarbeiten zieren "sozialistische" Motive. Ebenso wie Zeichnungen von Maiumzügen und Sportfesten gibt es in den Mappen viele Naturbilder und Porträts von Mutti und der besten Freundin. Die umfangreichen Bildersammlungen aus der Kindergartenzeit zeigen deshalb vor allem, dass in den Kindereinrichtungen der DDR - abgesehen von der ideologischen Prägung – viel Zeit und Mühe in Entwicklung der Jüngsten gesteckt wurde. Die Einrichtungen unterstanden dem Ministerium für Volksbildung: Ein- bis Sechsjährige wurden nicht nur beschäftigt, sondern gezielt gefördert. Sprachprobleme oder motorische Unsicherheiten wurden nicht erst in der Grundschule festgestellt, sondern schon im Vorfeld bemerkt und nach Möglichkeit behoben. In der ersten Klasse wussten die Lehrer, was sie von ihren Schulanfängern erwarten konnten.
Ein Stück Geschichte
Auch ein Stück Geschichte spiegeln die Malarbeiten der Kinder wider: Die Begeisterung für das Weltall in den 1960er/70er-Jahren beispielsweise, die 1978 mit DDR-Oberstleutnant Sigmund Jähn als erstem Deutschen im All ihren Höhepunkt fand. Sie lässt sich in den zahlreichen Kosmonauten- und Weltallbilder von Grundschülern ablesen. Und schließlich tut nicht nur Kindermund Wahrheit kund, auch die Kinderbilder interpretieren die DDR-Realität auf ihre Weise. So manche Mai-Demo mutet nämlich eher wie ein bunter Karnevalsumzug an und so manchem Wimpel schwenkenden Kind sieht man sogar die diktierte Begeisterung an.
Unsere Galerie
Kolleginnen und Kollegen beim MDR haben ihre Malmappen aus der Kindergarten- und Schulzeit hervorgesucht und für unsere Bildergalerie zur Verfügung gestellt. Schauen Sie doch mal rein!
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR Sachsenspiegel | 09.08.2017 | 19:30 Uhr