Unterricht in der DDR - Besuch im Schulmuseum Leipzig
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Nach einem Text von Ralf Geißler
26. Februar 2010, 11:23 Uhr
Klassenkampf im Klassenzimmer – wer erfahren möchte, wie ideologisch die Schule in der DDR geprägt war, der kann im Leipziger Schulmuseum eine Unterrichtseinheit der besonderen Art erleben.
Auf dem Boden liegt grau-gelber PVC-Belag, darauf ein Interieur wie in einem DDR-Klassenzimmer der 70er-Jahren üblich: Schulbänke aus hellem Sprelacart, Stühle mit Beinen aus gebogenen Metallrohren, Schränke aus Pressspan und an der Wand das unvermeidliche Bild von Erich Honecker. Die Klasse steht, jeder an seinem Platz, ein Schüler macht Meldung: "Frau Lehmann, ich melde, die Klasse ist vollständig zum Unterricht bereit." "Danke", sagt Frau Lehmann mehr bestimmt als freundlich, und ihr Ton passt zu ihrem strengen grauen Kostüm. Sie ruft: "Für Frieden und Sozialismus seid bereit!" Die Klasse antwortet mit einem routinierten "Immer bereit!". Dann dürfen sich die Schüler setzen. Unterrichtsbeginn wie zu DDR-Zeiten, nachgespielt im Jahr 2009.
Rollenspiel im Original-Ambiente
Im Schulmuseum Leipzig wird eine ganz besondere Form von "Erlebnispädagogik" angeboten. Dort können Schulklassen Unterricht wie in der DDR nachspielen. An diesem Tag ist es eine Gymnasialklasse aus Sachsen-Anhalt, die sich mit Museumsleiterin Elke Urban alias "Frau Lehmann" auf die Zeitreise in den DDR-Schulalltag begibt. Auf dem Stundenplan steht Heimatkunde Klasse 3, Thema: Leben und Wirken des Arbeiterführers Ernst Thälmann. Und da wird erst einmal das Lied der Pioniere gesungen: "Wir tragen die blaue Fahne, es ruft uns der Trommelklang (…) Seid bereit ihr Pioniere, wie Ernst Thälmann treu und kühn."
Dann beginnt die Stoffvermittlung: Frontalunterricht, gespickt mit Fragen an die Schüler: "Ernst Thälmann, der war treu und kühn …", sagt Frau Lehmann, "aber was wissen wir denn noch über Ernst Thälmann. Anita, von Dir habe ich heute noch gar nichts gehört." Anita, eine 15-jährige Gymnasiastin, mimt ziemlich passend eine Drittklässlerin "Ernst Thälmann ist unser Vorbild." "Ja, was wissen wir noch über Ernst Thälmann? Warum ist er denn unser Vorbild? Ja, Daniela?" Danielas Antwort passt zwar nicht zur Frage, aber ins Schema: "Ernst Thälmann ist auch ein Vorbild für alle Arbeiter." Dann lässt Frau Lehmann im Chor den Satz wiederholen, den die Schüler lernen sollen: "Ernst Thälmann war ein kommunistischer Arbeiterführer."
Überzeichnung oder Abbild der DDR-Wirklichkeit?
Die Museumspädagogin Elke Urban will den Jugendlichen vermitteln, wie Schule in der DDR sein konnte. Als strenge Frau Lehmann vermittelt sie heutigen Schülern, was deren Vorgänger in der DDR zu lernen hatten: Die Gesetze der Thälmannpioniere. Wie man das rote Halstuch bindet. Dass es sich lohnt, Altpapier zu sammeln. So seltsam die Unterrichtsstunde im Jahr 2009 anmuten mag: Der vermittelte Stoff ist historisch verbürgt. Auf allen Schulbänken liegt ein originales DDR-Heimatkunde-Buch. Und tatsächlich behandelt es seitenweise Ernst Thälmann und die nach ihm benannte Pionierorganisation. Elke Urban lässt sich nicht gern vorwerfen, sie stelle die DDR-Schule verzerrt dar. Die Museumspädagogin hat viele Jahre an ihrer Rolle als SED-treue Klassenlehrerin gefeilt. Sie hätte dabei über ihren eigenen Schatten springen müssen, sagt sie.
Ich musste meine unangenehmen Erinnerungen, um nicht zu sagen, diese Trauerarbeit, die auch ich an der DDR-Schule leisten musste, erst mal hinter mich bringen.
Ideologie in allen Fächern
Elke Urban war selbst Lehrerin zu DDR-Zeiten. In den 1970ern unterrichtete sie Musik und Französisch – zwei Fächer ohne ideologischen Ballast. Zumindest glaubte Elke Urban das anfangs. Doch dann kamen neue Schulbücher und neue Lehrpläne heraus:
Da gab es einen Bereich 'Erziehung zur Wehrbereitschaft' im Musikunterricht, der mich zutiefst schockiert hat. Und im Französischunterricht habe ich dann auch gemerkt: Immer mehr ist das eine Erziehung zur Schizophrenie. Ich kann Kinder nicht für ein Land und eine Kultur begeistern, wenn ich weiß, da komme ich nie hin - auch wenn ich mich total anstrenge. Und das fand ich schon damals total absurd.
DDR-Schule und SED-Ideologie – das ist für Urban untrennbar miteinander verbunden. Und doch gab es Spielräume. Auch wenn es üblich war: Ein Sportlehrer musste die Schüler nicht mit ausgedienten Handgranaten Weitwurf üben lassen. Ein Musiklehrer konnte auf das eine oder andere Propagandalied verzichten. Zum Konzept von Elke Urban gehört es auch, Gerechtigkeit walten zu lassen. Als sie das Rollenspiel für das Leipziger Schulmuseum erarbeitete, da fragte sie sich auch nach den positiven Seiten der DDR-Schule. Die profunde naturwissenschaftliche Ausbildung etwa. Das gemeinsame Lernen bis zur zehnten Klasse. Und schließlich, so findet Elke Urban, habe die Ideologie selbst zu ihrer Überwindung beigetragen:
Und das ist auch eine Erfahrung, die wir Gott sei Dank alle machen konnten, dass die Holzhammer-Methode eher das Gegenteil bewirkt hat. Sonst hätte es ja keine friedliche Revolution gegeben. Dass sich so viele Menschen von diesem DDR-Staat abgewandt haben und es auch kaum jemanden gibt, der ihn zurück haben will, beweist doch, dass die Schule zumindest dieses Erziehungsziel nicht erreicht hat.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR Sachsenspiegel | 09.08.2017 | 19:30 Uhr