Zeitzeugenprojekt Geheimsache Wismut

26. Januar 2022, 12:22 Uhr

1991 endete die Geschichte der "Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut". Verschwunden sind seither Abraumhalden und Fördertürme. Geblieben sind die Erinnerungen zehntausender Menschen, die in der "Wismut" gearbeitet haben. Im Zeitzeugenprojekt "Wismut-Erbe" der Sächsischen Akademie der Wissenschaft kommen sie zu Wort. Auf einer Tagung im April 2021 wurde in Leipzig diskutiert, wie man diese Berichte für Wissenschaft und Erinnerungskultur nutzen kann.

Männer, Frauen, Deutsche und Sowjets, Hauer und Rechtsanwälte, Köche und Wissenschaftler: 50 Menschen haben die Berliner Historikerin Astrid Mignon Kirchhof und ihr Team in den letzten zwei Jahren zur Wismut befragt. Einer von ihnen ist der Diplom-Bergingenieur Jürgen Ziller, der mehrfach betont, die Wismut habe nicht nur Halden und Klärteiche hinterlassen: "In den Kommunen wurden unterschiedliche Sportanlagen errichtet, Kulturhäuser gebaut, Polikliniken und Krankenhäuser eingerichtet. Auch am Wohnungsbau beteiligte sich die Wismut. Mit dem guten Verdienst der Bergleute kam auch eine enorme Kaufkraft ins Erzgebirge, wovon alle Händler und Kleinunternehmen profitierten."

In den 90er-Jahren stehen im Fokus von Geschichtsschreibung und Öffentlichkeit vor allem die strahlenden Hinterlassenschaften der Wismut wie die "Pyramiden von Ronneburg", gigantische Abraumhalden, die das Stadtbild prägen. Journalisten berichten über verschmutzte Bäche, zerstörte Landschaften, für Urananlagen abgerissene Dörfer und Städte. Historiker erforschen die Geschichte jenes einzigartiges Konstrukts einer "Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft". Gegründet wurde sie 1946 nach deutschem Aktienrecht mit dem Ziel, die Sowjetunion mit Uran zu versorgen. Von Atomwaffenmaterial ist nie die Rede. Offizielle Aufgabe der SDAG ist die Suche nach Buntmetallen wie Wismut. 30 Jahre später ist vom materiellen Erbe der "Wismut" im Erzgebirge und in Thüringen kaum noch etwas zu sehen. Doch die Erinnerungen an die "Wismut" sind noch da.

Identifikation mit der Heimat und dem Uran

"Vor allem bei Männern ist die Identifizierung mit der Region stark", erklärt die Historikerin Astrid Mignon Kirchhof, "also mit dem Erzgebirge, dann mit dem Uranbergbau selber und mit der Wismut." Motivation für die Interviewpartner scheint die Haltung "ich will mir mein Lebenswerk nicht kaputtreden lassen" zu sein.

Ich will mir mein Lebenswerk nicht kaputtreden lassen!

Häufig gehörte Aussage bei den Zeitzeugen-Interviews

Einige hunderttausend Männer und Frauen haben in den 45 Jahren für die Wismut gearbeitet. 50 wurden nun für das Zeitzeugenprojekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften interviewt. Die Bereitschaft, mehrere Stunden über ihr Leben zu erzählen, überrascht die Forscher zunächst. Im Rückblick ist klar, dass es einen biographisch sehr handfesten Grund dafür gibt. "Ich möchte, dass Wismut Geschichte und DDR-Geschichte ein bisschen anders dargestellt wird, als es bislang ist", fasst Astrid Mignon Kirchhof die Motive ihrer Gesprächspartner zusammen. "Ich finde mich in der Geschichtsschreibung oder wie über die DDR geredet wird, nicht wieder."

"Pechblende" Abraumhalden und schlammige Flüsse – Umweltschutz in der Wismut

Dabei geht es zum Beispiel um den Umweltschutz. Die mediale Berichterstattung über die Wismut fokussierte sich lange Zeit auf die ökologischen Folgen und Hinterlassenschaften des Uranbergbaus. Im Zeitzeugeninterview erzählt Dr. Rudolf Daenecke von den Anfängen des Umweltschutzes in der Wismut Mitte der 80er-Jahre, als der technische Direktor der Gruben im thüringischen Schmirchau selbst erst mitbekam, wie massiv der Uranbergbau Flüsse, Luft und Boden beeinflusst. Publikation wie die "Pechblende" von Michael Beleites zwingen damals die Wismut "etwas konsequenter" in Umweltfragen zu agieren, erinnert sich Rudolf Daenecke,  bis dahin waren "die Nachfolgen für den Bergbaubetrieb bedeutungslos."

"Pechblende" von Michael Beleites Im Jahre 1988 brachte der Friedens- und Umweltaktivist Michael Beleites eine Untergrundschrift über den bis dahin weitgehend unbekannten Uranbergbau im Süden der DDR und seine Folgen heraus. Er hatte jahrelang heimlich recherchiert und versucht, sich ein Bild von den geheimgehaltenen Aktivitäten des sowjetisch-deutschen Uranbergbau-Unternehmens SDAG Wismut zu machen. Unter dem Dach der evangelischen Kirche konnte er die Ergebnisse seiner Recherchen in der Broschüre "Pechblende - Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen" herausgeben.

Kein kritischer Blick auf die Wismut

Gegner oder zumindest Skeptiker des Uranabbaus finden sich unter den Interviewten nicht, auch niemand, der schwer erkrankt ist und die Schuld daran der Wismut gibt. Die Suche nach Interviewpartnern jedoch ging in alle Richtungen und auch kritische Berichte wären durchaus erwünscht gewesen. Das Narrativ der Kumpel sei nach der Interviewerfahrung jedoch ein anderes: "Ich habe gut gelebt und konnte meiner Familie ein gutes Leben bieten." Dass das Risiko von Strahlenschäden verdrängt wird, findet Umwelthistorikerin Kirchhof verständlich, schließlich möchte "kein Mensch sein Lebenswerk sich kaputt reden lassen oder kaputt reden. Das betrifft die Wismut und alle von uns."

Ich habe gut gelebt und konnte meiner Familie ein gutes Leben bieten.

Kumpel über ihre Zeit bei der Wismut.

"Die Freunde" waren keine Freunde

Zwischen 30.000 und 150.000 Sowjets arbeiteten bei der Wismut. Allein diese extrem unterschiedlichen Zahlen zeigen, wie wenig man heute über die sowjetischen Ingenieure, Geologen, Laboranten weiß. Dabei bestimmten sie den Arbeitsalltag, saßen sie doch in den Führungspositionen der Wismut. Seit 2008 gibt es in Russland den Traditionsverein "Väter und Söhne der Wismut". Von ihm bekamen die Berliner Historikerinnen und Historiker 80 verschriftliche Erinnerungen an ihre Zeit bei der Wismut; insgesamt 600 Seiten, die noch übersetzt werden müssen.

Von den 50 Zeitzeugen-Interviews wurden vier auf Russisch geführt, sechs weitere sollen noch folgen. Auffällig ist schon jetzt eine Diskrepanz der Erinnerungen. Die sowjetischen Wismutarbeiter sprechen über vielfältige Kontakte, erzählen von Freundschaften, die auch über das Wismut-Ende 1991 hinaus reichten. Die deutschen Wismutangestellten betonen, dasses keine privaten Kontakte gab und diese auch nicht erwünscht gewesen seien. Schließlich unterlag die Urangewinnung strikter Geheimhaltung.

Fundgrube für Historiker und Sozialwissenschaftler  

Das Interesse am Erzählen der eigenen - positiven - Wismut-Biographie hat die Historiker der Humboldt-Uni überrascht. Mit mehr Zeit und Geld hätten sie weit mehr als die 50 Interviews führen können. Schon die vorliegenden Videos und Texte erzählen von den Erinnerungen an ein einzigartiges Unternehmen. Sie sind damit ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur, der ebenso erhalten werden muss, wie die Fördertürme, die begrünten Halden und die Schaubergwerke.

Die Sächsische Akademie der Wissenschaften will die Zeitzeugeninterviews auf einer Webseite sammeln, ergänzt um Links zu Archiven, Bildern, Sammlungen von Wismutkunst. Wer wissen will, was das Erbe der Wismut ist, findet dort Antworten.  Und vielleicht findet der Interessierte sie in Post-Corona-Zeiten auch im Theater. Es gibt erste Ideen, die Zeitzeugenberichte auf die Bühne zu bringen.