Wismut Kumpel bei der schweißtreibenden und dreckigen Arbeit im Bergwerk.
Wismut-Kumpel bei der schweißtreibenden und dreckigen Arbeit im Bergwerk - diese Erinnerung ist nur eine Seite des Wismuterbes. Bildrechte: MDR/AstFilm Production

Sächsische Akademie der Wissenschaften Das Wismut-Erbe "auswildern"

30. Juli 2021, 05:00 Uhr

Eine halbe Million Menschen arbeiteten in 45 Jahren bei der Wismut. Zehntausende Familien lebten von ihr oder waren vom Uranbergbau betroffen. Die materiellen Zeugnisse wie Halden, Absatzbecken sind heute weitgehend aus der Landschaft verschwunden. Was aber ist mit anderen Erbeteilen – der großen Kunstsammlung der Wismut, den geologischen Sammlungen, den Erinnerungen? Wie mit dem Wismut-Erbe umgehen? Diese Frage wurde auf der Tagung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften diskutiert.

Was erben wir von der Wismut?

Beim Familienerbe ist es einfach: ausschlagen oder annehmen. Rosinenpickerei gibt es da nicht. Doch wenn das Erbe aus einer Firma besteht? Nicht irgendeiner Firma, sondern dem viertgrößtes Uranproduzenten der Welt, einem Unternehmen, das in Eigen- und Fremdwahrnehmung ein "Staat im Staate" war?

Das Erbe der Wismut ist 1990 gewaltig: viele Dutzend Quadratkilometer umgeformte Natur, 311 Millionen Kubikmeter Halden, eine Milliarde Tonnen radioaktiver Rückstände, eine Kunstsammlung, ein gigantisches Bohrkernarchiv, tausende Akten über Strahlenbelastungen und Krebserkrankungen. Das Erbe der Wismut sind Geheimdienstberichte und hunderttausend Luftbilder, sind Sanatorien, Aufbereitungsanlagen und Kulturhäuser. Es besteht aus Aktenkonvoluten, zu einem erheblichen Teil in kyrillischer Schrift aus den Erinnerungen und Erzählungen hunderttausender Menschen. Allein die Aufzählung zeigt: Das Erbe der Wismut ist widersprüchlich und gewaltig - und wurde bisher weitgehend ignoriert. 

Wismut – ist das nicht was mit Fußball? 

Von den materiellen Hinterlassenschaften ist fast nichts mehr da. Die markanten Kegelhalden von Ronneburg: verschwunden. Restlöcher verfüllt, Halden begrünt. Fördertürme, Aufbereitungsanlagen und Labore abgerissen und mit Gewerbeparks überbaut. Andere sind Teil des Weltkulturerbes "Montanregion Erzgebirge".

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aus Aktuell im Abendjournal, 16.12. 1991 (DRA)

Fr 14.05.2021 11:17Uhr 01:12 min

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Wenn eine Landschaft der "Speicher menschlichen Handelns" ist, wie die Geographin Lisa Ellmers meint, dann erzählt die Landschaft zwischen Johanngeorgenstadt und Ronneburg nur vom menschlichen Handeln der letzten 30 Jahre; von einer gewaltigen Umformung und Aufhübschung der Landschaft, die sie erst wieder zu einer gesunden und lebenswerten Landschaft machte. Nur von der Geschichte der Wismut erzählt sie nichts mehr. 

Auch die Zeitzeugen mit ihren Erinnerungen werden weniger. Interviews standen deshalb am Anfang des Wismut-Erbe-Projektes der Sächsischen Akademie der Wissenschaften. Die Resonanz auf den Aufruf unter den Wismutkumpels war groß. Die Hauer und Laborantinnen, die Ingenieure und Informatikerinnen wollten mit ihren biographischen Erzählungen die Erinnerungen an die Wismut am Leben halten. Denn, so erzählt es Bergbauingenieur Jürgen Ziller, die Enkelgeneration meine, Wismut sei irgendwas mit Fußball.

Die Wismut ist Geschichte, Gegenwart und Zukunft.

Die Wismut sei nicht Geschichte, sondern Gegenwart und Zukunft, meint Helmut Mischo. Der Professor für Bergbau an der Bergakademie Freiberg lobt die SDAG Wismut als eines der technologisch modernsten Bergbauunternehmen weltweit. Und ihr Nachfolger, die heutige Wismut GmbH ist ebenfalls Weltspitze. Nirgends gibt es mehr Know-How in der Sanierung von Uranhalden, von Absetzbecken und kontaminierten Bergwässern, als in Thüringen und Sachsen. Hier wurden Verfahren entwickelt, die weltweit gefragt sind. Und manch altes Wismut-Wissen wird gerade neu entdeckt, schlägt Mischos Kollege an der Bergakademie, Carsten Drebenstedt, in die gleiche Kerbe. Gemeinsam forschen sie an der Laugung von Metallen aus Erzen gleich vor Ort, womit das tonnenweise Fördern tauben Gesteins überflüssig würde. Zu Drebenstedts Verblüffung sagten ihm alte Wismutmitarbeiter, damit hätten sie schon zu DDR-Zeiten experimentiert. Auf seine Gegenfrage, wo denn ihre Ergebnisse publiziert sind, zuckten sie die Schultern: Geheimhaltung.

Vielleicht liegen Versuchsprotokolle in irgendwelchen Akten in Moskau, Aue, Chemnitz und harren ihrer Entdeckung als durchaus aktuelles Wismuterbe.

Wismut-Schächte im Erzgebirge.
Wismut-Schächte im Erzgebirge, die Geschichte des Unternehmens prägt Landschaften und Familien bis heute. Bildrechte: MDR/ AstFilm Productions

"Rummelplatz", "Brigade Rose" und "Sonnensucher" - Wismut und Kunst

Bilder, Bücher, Filme und Fotografien – zum Erbe der Wismut gehören allein über 4.200 Kunstwerke, ein eher ungeliebtes Erbe. Auch wenn es Ausstellungen mit den Wismut-Bildern gab, eine dauerhafte Heimat haben die Bilder, Skulpturen und Fotografien bis jetzt nicht gefunden.

Doch jenseits ihrer ästhetischen Qualität bieten die Bilder und Bücher einen künstlerischen Zugang zur Wismut. Der Leipziger Literaturwissenschaftler Sebastian Weirauch sieht in einer Mixtur aus romantischer Verklärung des Bergbaus und der Beschwörung des "Neuen Menschen" , der aus der harten und gefährlichen Arbeit entsteht, das verbindende Element. In ihm verknüpfen sich politische und ideologisch gewollte Fortschrittsgläubigkeit und die Ästhetik der Avantgarde. Als Figur taucht der "Neue Mensch" in so unterschiedlichen Werken auf, wie dem Drama "Katzengold" von Horst Salomon, dem Roman "Rummelplatz" von Werner Bräunig und Konrad Wolfs Film "Sonnensucher".

Noch gar nicht entdeckt als Quellen sind die Brigadetagebücher, die mitunter lange, reflektierende Texte enthalten und damit in der Tradition der Protokollliteratur, die in den 70er-Jahren im Westen Autoren wie Max von der Grün populär machten.  

Das Wismut-Erbe auswildern

Zwei Jahre Arbeit haben den Wissenschaftlern vor allem eines gezeigt: wie umfangreich, komplex und widersprüchlich das Wismut-Erbe ist. Die Perspektive der Opfer, die gesundheitliche Schäden erlitten, deren Grundstücke zugunsten der Wismut enteignet wurden, taucht in den Diskussionen über das Wismut-Erbe kaum auf. Das liegt auch daran, dass sich beim Zeitzeugen-Projekt keine Wismut-Kritiker meldeten. Aber das kann sich ändern, denn ein Verein in Gera will das "Oral history Projekt" mit Schülern weiterführen. Interaktive Spiele sollen Studenten und Schüler das Wismut-Erbe nahebringen.

Doch vom selbstgestecktem Ziel, das "Wismuterbe auszuwildern", wie es der Leiter der Wismut-Erbe-Kommission, Sebastian Lentz, fordert, ist man damit noch weit entfernt. Der Direktor des Leipziger Instituts für Länderkunde will die Zeitzeugnisse und Erinnerungen, die heute in Dutzenden Archiven vergraben sind, den Menschen der Wismutregion zurückgeben. Wie man Landschaft, Erinnerungen, Kunstwerke und Bauten, Virtuelles und Reales zusammenbringen kann, damit sie eine Geschichte der Wismut erzählen, bleibt eine offene Frage.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR Sachsenspiegel | 09.10.2020 | 19:00