Zwischen "Denkmal und Galgen"
Große Erwartungen hatte man an die Ingenieure und Techniker, die man einst belächelte. Einerseits konnten sie nun ihre Arbeit vorantreiben, anderseits stieg der Erfolgsdruck mit jedem Tag. Sie selbst sprachen in dieser Zeit von einer Situation zwischen "Denkmal und Galgen".
Die Entwicklung des ersten DDR-Computers verlangte allerdings nicht nur viel Kreativität, sondern stellte die Wirtschaft auch vor enorme Herausforderungen. Bereits seit den 1950er-Jahren bestand ein Embargo gegen die Einfuhr von High-Tech-Bauelementen in den Ostblock, so dass nahezu alle der 220.000 Bauelemente selbst hergestellt oder anderweitig beschafft werden mussten. Rolf Kutschbach gelang trotz des Embargos der Wettlauf gegen die Zeit und den internationalen Markt: Im Sommer 1966 konnte er die erste fertige Musteranlage vorstellen. Schon im Herbst wurde der "ROBOTRON 300" verpackt und in einer eigens gecharterten Maschine zur Moskauer Technikausstellung "Interorgtechnika" geflogen.
Der R300 von Robotron geht in Serie
Die Betriebe sollen auf der Ausstellung Schlange nach dem "ROBOTRON 300", kurz R300, gestanden haben, obwohl man vergleichbare Modelle schon einige Jahre auf dem westlichen Markt kannte. Für den Ostblock war er das Nonplusultra. Doch trotz des großen Interesses und zahlreicher internationaler Anfragen war der erste DDR-Computer nicht für den Export gedacht. Walter Ulbricht hatte schlicht und einfach den Export verboten, der R300 war für die DDR-Betriebe gedacht und dort sollte er auch bleiben.
Im VEB RAFENA-Werk Radeberg bei Dresden wurde 1967 die Serienproduktion des R300 eingerichtet. Wo kurz zuvor noch fleißige Frauenhände Fernseher gebaut hatten, wurde für das Prestigeprojekt die ganze Produktion umgestellt: Von nun an wurden von den Fernsehtechnikern in dem zwei Meter hohen, acht Meter langen und 600 Kilo schweren Ungetüm 15.000 Transitoren verlötet und 380.000 Kontaktstellen in Handarbeit verdrahtet.
Robotron: Das High-Tech-Kombinat der DDR
Die Rechner wurden in die ganze Republik geliefert und erfüllten ihren Auftrag. Das Projekt erfreute Planer und Politiker gleichermaßen, so dass es schon am 1. April 1969 zu einer weiteren tiefgreifenden Entscheidung kam:
Mit dem Zusammenschluss mehrere Betriebe und einem Großforschungszentrum wurde das Großkombinat ROBOTRON mit Hauptsitz in Dresden, nach dem Vorbild westlicher Konzerne, gebildet. Zuletzt gehörten dem Kombinat über 20 Betriebe an fast 70 Standorten mit insgesamt rund 68.000 Beschäftigten an. Das einstige High-Tech-Kombinat wurde am 1. Juli 1990 offiziell aufgelöst und die Nachfolgebetriebe an die Treuhand übergeben.
Robotron-Witz, eingeschickt von einem ehemaligen Robotron-Lehrling Warum hatten die Gänge von Robotron in der Mitte weiße Striche? - Damit die, die zu spät kamen, nicht mit denen zusammenstießen, die zu zeitig gingen!
(zuerst veröffentlicht am 03.04.2012)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im TV: MDR um 2 | 03.02.2017 | 14:00 Uhr