Der Traum vom Eigenheim Staatliche Kredite für Häuslebauer in der DDR
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09. Oktober 2020, 11:09 Uhr
Privates Wohneigentum wurde auch in der DDR gefördert. Freilich nur in engen Grenzen. Häuslebauer erhielten zum Beispiel zinsgünstige Kredite, mussten sich aber im Gegenzug verpflichten, mindestens 25 Prozent der Bauarbeiten selbst auszuführen.
Im Jahr 1972 präsentierte das DDR-Fernsehen eine junge Frau, die bald ins eigene Heim einziehen würde. "Ingeborg Winkelmann, Mutter von vier Kindern, verheiratet mit einem Brigadier, wird Anfang Oktober die Möbel in einem nagelneuen Eigenheim aufstellen", erzählte der Reporter. Und fragte dann: "Wie war Ihnen zumute, als Sie erfuhren, dass Sie ein Haus bauen werden?" Frau Winkelmann sagte: "Zuerst war ich dagegen, aber als mein Mann dann kam und sagte, dass wir die Genehmigung hätten, haben wir uns alle gefreut, das ist ja klar." Dann kullerten Frau Winkelmann dicke Freudentränen über die Wangen.
Erste Einfamilienhäuser
Private Eigenheime widersprachen natürlich strikt dem stets propagierten Ideal vom volkseigenen Besitz und dem Kollektivgeist in der DDR. "Machen wir uns nichts vor: Eigenheimbau bedeutet auch individueller Lebensstil", erklärt Harald Engler vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner. "Für die Bundesrepublik war das ja typisch. Da hat man zu 70 oder 80 Prozent Eigenheime gebaut. Im Vergleich zur DDR, wo man eher Großsiedlungen gebaut hat." Dennoch gab es bereits 1958 erste Bestrebungen der Staatspartei SED, den Bau von privaten Häusern zu gestatten. Freilich sollten die Eigenheime nach standardisierten Normen errichtet werden, ähnlich wie die Plattenbauten. Sogar Förderungen wie etwa zinsgünstige Kredite sollten den privaten Bauherren künftig gewährt werden. Dennoch entstanden in dem kommenden Jahrzehnt gerade einmal um die 40.000 private Einfamilienhäuser in der sozialistischen Republik. Der Grund: vor allem fehlendes Baumaterial.
Häuslebau in Eigeninitiative
1972 sollte nun alles anders werden. Und zwar mit einem Beschluss der Staatsmacht über die Förderung zur Errichtung von Eigenheimen. Und tatsächlich kam nun Schwung in die Sache. Die DDR setzte plötzlich auf die privaten Häuslebauer. Das Kalkül dahinter: Jede Eigeninitiative entlastete immerhin die völlig überforderte Bauwirtschaft. Und so wurde folgerichtig auch nur demjenigen eine Baugenehmigung erteilt, der sich verpflichtete, mindestens 25 Prozent der Bauarbeiten in Eigenleistung zu erbringen. Dafür bekamen Bauherren aber auch zinsgünstige Kredite - bis zu 50.000 DDR-Mark.
Bauen ohne Baumaterial
Für viele Bauherren schien der Traum von den eigenen vier Wänden aber bereits in den ersten Wochen in einem Desaster zu enden. Denn was nützte ein Baugrundstück nebst Baugenehmigung, wenn es kaum Baumaterial zu kaufen gab. Denn Steine, Holz, Rohre, Dachziegel oder Badarmaturen - alles war damals Bückware. Und nur wer gute Beziehungen oder Westgeld hatte, konnte einigermaßen zügig sein Häuschen errichten. Manchmal brauchte es auch einfach nur Glück: "Die erste große Lieferung von Steinen bekamen wir Weihnachten 1978 einfach nur deshalb, weil in der Nähe ein Kalksandsteinwerk war", erinnert sich der Häuslebauer Klaus Witte. "Und weil die Spree zugefroren war, konnten die Steine nicht wie geplant nach Westberlin transportiert werden. Da haben sie eben hier angerufen: Sie kommen doch immer und betteln um Steine... Da haben wir 21.000 Steine bekommen. Auf einen Schlag." Nicht weniger schwierig war es natürlich auch, Handwerker für den Hausbau zu finden: Klempner, Dachdecker, Tischler.
Standardisiertes Eigenheim
Das meistgebaute Eigenheim in der DDR hieß übrigens EW 58, Einfamilienwohnung 58. Es war eine Art Katalog-Haus, das bereits 1958 konzipiert worden war. Es war schlicht und gänzlich schmucklos. Die Wohnfläche betrug in der Regel um die 70 Quadratmeter - drei bis vier Zimmer, Küche, Bad und Diele. Obwohl die EW 58 standardisiert war, geriet doch jedes Haus zum Unikat. Entweder aus Improvisationstalent oder wegen des Mangels an diesen oder jenen Baumaterialien. Und so besaßen manche Eigenheime eine Terrasse, manche einen Balkon oder eine Garage. Manche auch nichts davon. Und auch im Inneren unterschieden sich die Eigenheime bisweilen stark voneinaner. Lisa Zorn von der Bauhaus-Universität Weimar, die ihre Dissertation über DDR-Eigenheime verfasst, sagt: "Der Eingangsbereich ist immer sehr individuell gestaltet gewesen, der Flurbereich. Jeder hat seine Treppe ganz anders gemacht, die Garderobe ganz anders..."
Ambitioniertes Projekt
Bis 1989 wurden in der DDR rund 250.000 private Einfamilienhäuser errichtet. "Das waren etwa 10 Prozent der gesamten Bauleistung im Land", erklärt Lisa Zorn. Aber das sollte noch nicht alles gewesen sein. Die DDR-Häuslebauer sollten im kommenden Jahrzehnt noch konsequenter unterstützt werden. "Die Regierung hatte die Bestrebung, dass man bis zum Jahr 2000 auf 20 Prozent privaten Wohneigentums kommt. Also man war da schon sehr ambitioniert..." Nur kurze Zeit später aber war das Vorhaben Makulatur - die DDR ging in der Bundesrepublik auf. Tränen wegen einer Baugenehmigung für das eigene Häuschen musste von Stund an jedenfalls keiner mehr vergießen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR ZEITREISE | 11. Oktober 2020 | 22:00 Uhr