Heute gilt der Stadtteil Dresden Äußere Neustadt als eine der markantesten "Inseln des Aufstiegs" in Ostdeutschland. Ein Geheimnis dieses Erfolgs: Bereits im Frühjahr 1990 hatten Bewohner hier einen umfassenden Milieu- und Bau-Bestandsschutz für das vom Abriss bedrohte Viertel erkämpft und sich auch in den folgenden Jahren Mitspracherechte bei allen Planungen im neuen Sanierungsgebiet gesichert.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Heute gilt der Stadtteil Dresden Äußere Neustadt als eine der markantesten "Inseln des Aufstiegs" in Ostdeutschland. Ein Geheimnis dieses Erfolgs: Bereits im Frühjahr 1990 hatten Bewohner hier einen umfassenden Milieu- und Bau-Bestandsschutz für das vom Abriss bedrohte Viertel erkämpft und sich auch in den folgenden Jahren Mitspracherechte bei allen Planungen im neuen Sanierungsgebiet gesichert.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Eine sozialistische Zukunftsvision für die Dresdner Neustadt Mitte der 1970er-Jahre. 1.000 historische Wohngebäude, die meisten aus der Zeit vor 1900, wären dieser radikalen Zukunftsvision zum Opfer gefallen. Gewaltige Neubau-Blöcke sollten an die Stelle der kleinteiligen Gründerzeit-Quartierstruktur treten. Doch die Vision übersteigt die Mittel zur kurzfristigen Realisierung. Bereits die Beseitigung des anfallenden Bauschutts hätte die Bauwirtschaft komplett überfordert. Die Pläne verschwinden in der Schublade.Bildrechte: Stadtplanungsamt Dresden
Von staatlicher Seite gibt es bis Mitte der 1960er-Jahre keine Strategien für den Umgang mit Altbauquartieren. Die allgemeine Vorgehensweise ist: Abwohnen, Abräumen, wenn nötig mit stark typisierten Bauten ergänzen. Echtes Engagement für die alten Quartiere legen dagegen viele Bausachverständige an den Tag. An der TU Dresden etwa vergeben Professoren der Sektion Architektur Jahr für Jahr Studienaufgaben, bei denen Studenten Methoden und Ideen entwickeln sollen, wie man das Quartier der Äußeren Neustadt sanft, bewahrend rekonstruiert und erneuert. (Im Bild: Bebauungsanalyse der TU Dresden, Sektion Architektur)Bildrechte: Privatbesitz
1981 beginnt Gabriele Bernardt, diplomierte Architektin und Assistentin an der Sektion Architektur der TU Dresden, mit ersten Recherchen zu einer umfassenden kulturpolitischen Modellstudie. Am Beispiel der Dresdner Neustadt will sie Leitlinien erarbeiten, wie eine "bewahrenden Erneuerung" von Altbauquartieren aussehen müsste. 1987, als sie ihre Promotion verteidigt, ist hinter den Kulissen bereits die Planung für einen großflächigen Abriss in Gang.Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1983 hatte das Büro des Stadtarchitekten noch eine große neue Leitplanung für die Dresdner Neustadt vorgelegt. Nach einem Kurswechsel in der sozialistischen Städteplanung 1982 beschließt man in Berlin: Statt des extensiven Baus neuer Wohnsiedlungen sollen fortan die alten, langsam in sich zusammenfallenden Stadtkerne neu belebt und rekonstruiert werden. Die daran angepasste Leitplanung für die Dresdner Neustadt sieht vor, bis 1990 rund 60 Prozent der Bestandsgebäude zu erneuern und ...Bildrechte: Stadtteilhaus Dresden – Äußere Neustadt
... etwa 10 Prozent der Gebäude durch Neubauten zu ersetzen. Wie das aussehen könnte, sollen drei Experimentalbauten zeigen, mit denen gleichzeitig die Möglichkeiten des Einsatzes industrieller Bautechnologien in der vorhandenen gründerzeitlichen Quartierstruktur untersucht werden. – Die Versuche einer sanften Rekonstruktion des Viertels werden bald still und heimlich abgebrochen. Denn schnell ist klar, dass die bewilligten Mittel und Fachkräfte allenfalls zwei Haussanierungen pro Jahr zulassen.Bildrechte: Mappe Fachkolloquium Gebäuderekonstruktion - TU Dresden 1988
Grundbuch Dresden-Neustadt – Übergang in Volkseigentum. Bereits ab dem Jahr 1973, als für das Quartier Dresden Neustadt erstmals umfassende Rekonstruktionspläne geschmiedet werden, lässt sich eine auffällige Häufung von Verstaatlichungen nachweisen. Hausbesitzer werden offenkundig immer stärker genötigt, ihren Besitz abzutreten. Die rechtlichen Möglichkeiten dazu hat die DDR bereits 1967 ausgeweitet. So kann nach der sogenannten Verordnung zur Erhaltung privaten Wohnraums der Staat Hauseigentümer verpflichten, Modernisierungen durchzuführen. Da größere Baumaßnahmen aufgrund der in der DDR gesetzlich gedeckelten Mieten sich erst nach Jahrzehnten amortisieren würden, treten viele Hauseigentümer ihren Besitz ab.Bildrechte: Privatbesitz
1989 sind gerade mal 33 Prozent der Häuser in der Dresdner Neustadt noch im Besitz der Alteigentümer. Die Mutter von Dankwart Guratzsch ist eine von ihnen. Fünf der stattlichen Gründerzeithäuser haben seine Vorfahren in der Talstraße einst erbaut. Dass auch sie auf der Liste der zu Enteignenden stehen, bemerken Mutter und Sohn eher beiläufig bei einem Besuch im Dresdner Rathaus. Dankwart Guratzsch: "Wir saßen da und die Angestellte sagte: Ich hol mal Ihre Akten. Warten Sie mal, die stehen unter Volkseigentum. Da sagte meine Mutter: Wieso denn unter Volkseigentum? Wir sind doch die Besitzer. Da waren die Akten schon mal anders eingeordnet."Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Das Eckgebäude Louisenstraße/Talstraße sollte 1897 die rege Bautätigkeit der Guratzschs krönen. Zwei Wohngebäude hat die Familie sogar wieder verkauft, um alles aufzubieten, was für den Bau dieses imposanten städtebaulichen Mark-Stein nötig war. Private Bau-Pioniere wie die Guratzschs haben so in der Äußeren Neustadt Ende des 19. Jahrhunderts Stadtbau-Geschichte geschrieben. (Im Bild: Straßenansicht Louisenstraße 1940er-Jahre.)Bildrechte: Dankwart Guratzsch
Louisenstraße 87 im Jahr 1980.Bildrechte: Dankwart Guratzsch
Und die selbst erstellte Anzeige von Bruno Guratzsch. Exklusives Wohnen, eine ganze Etage mit Bad und Balkon... So hat Bruno Guratzsch einst seine Wohnungs-Prachtstücke in der Louisenstraße beworben. Bewerben müssen. Denn für die repräsentativen und für damalige Verhältnisse luxuriös ausgestatteten Räume ließ sich lange keine zahlungskräftige Mieterschaft finden.Bildrechte: Dankwart Guratzsch
Wie sich die Zeiten gleichen. Während Hauseigentümer Bruno Guratzsch sich sorgt, wie er die investierte exorbitante Bausumme jemals wieder reinkriegen soll, steht die Masse der Bewohner der um 1900 explosionsartig gewachsenen Stadt Dresden vor einem ganz anderen Problem: Sie finden schlicht keine (bezahlbare) Wohnung. 0,99 Prozent Leerstand kommt bei einer offiziellen Zählung im Herbst 1913 heraus. Ein Jahr zuvor waren es sogar 0,88 Prozent. – Nur im Luxussegment existiert in der Dresdner Neustadt ein Überangebot. (Zeitungsausschnitt 1913)Bildrechte: Dankwart Guratzsch
Dachgarten anno 1989. Was hätte Bruno Guratzsch wohl bei diesem Anblick gedacht? Ende der 1980er-Jahre sind Dutzende Dächer des Neustädter Gründerzeitviertels "begrünt" – Vorboten des drohenden Zusammenbruchs.Bildrechte: Stadtteilarchiv Dresden-Äußere Neustadt
Rettung naht: Im Sommer 1989, im Angesicht des drohenden Abrisses ihres Quartiers, schließen sich die Bewohner der Neustadt zu einer ungewöhnlichen Rettungsgemeinschaft zusammen. Unterm Dach des "Kulturbundes" gründen sie eine IG – Interessengemeinschaft Äussere Neustadt. Ihr Ziel: Die Abrisspläne der Stadt geschickt zu sabotieren.Bildrechte: Stadtteilarchiv Dresden-Äußere Neustadt
Bis auf wenige Ausnahmen entgeht ein Großteil der zur Sprengung vorgesehenen Häuser so im Herbst 1989 tatsächlich in letzter Minute der drohenden Vernichtung. Wider Erwarten wird dieses Haus sogar zu ganz neuer Blüte "auferstehen". Denn Bewohner realisieren hier in den 1990er-Jahren eines der wenigen Hausprojekte im Viertel, bei dem ehemalige Mieter Wohnhäuser komplett übernehmen und in Eigenregie sanieren. (Im Bild: Sebnitzer Straße)Bildrechte: Dankwart Guratzsch
1990 geht es Schlag auf Schlag: Auf Betreiben der Bürgerinitiative wird 1990 eine Sanierungskommission für den Stadtteil eingerichtet. Zusammen mit Städteplanern der Partnerstadt Hamburg beginnen erste Voruntersuchungen für das Quartier. Für die neue städtebauliche Leitplanung und Erhaltungssatzung steht eine Arbeit in besonderem Maße Pate: Gabriele Bernardts Dissertation von 1987.Bildrechte: Stadtteilarchiv Dresden Äussere Neustadt