Das Schürer-Papier
Es gab da ja ein Papier, das berühmt geworden ist, das ist das so genannte Schürer-Beil-Papier. War das für Sie etwas Neues oder hat das nur die Kritik widergespiegelt, die kritischen Stimmen, die schon länger bestanden haben?
Also, für mich war das überhaupt nichts Neues, außerdem war ich zum Teil dabei bei der Ausarbeitung im Hintergrund.
Was können Sie uns dazu sagen über die Umstände der Entstehung dieses Papiers? Und was war der Tabu-Bruch daran?
Anfang der 80er-Jahre war klar, dass wir große Probleme hatten im Zusammenhang mit den Krediten, die wir in den 70er-Jahren aufgenommen hatten, oder die Honecker auch z.T. geschenkt bekommen hat. Aber irgendwann müssen sie ja mal zurückgezahlt werden. Wir hatten dort aber im Prinzip zu wenig Valuta, um zu bezahlen. Aber die DDR war nicht pleite, sie hat immer ihren Kapitaldienst und ihren Zinsdienst erfüllt, auch wenn es zu Lasten des Inneren ging. Ein Großteil unserer wirklich guten Waren, die hergestellt wurden, wurden nur noch im Ausland verkauft, aber nicht mehr der DDR-Bevölkerung zur Verfügung gestellt. So hatten wir dann Anfang der 70er-Jahre die Situation, dass wir vor einer Zahlungsunfähigkeit standen, weil das Aufkommen der Valutamittel praktisch stagnierte oder nicht mehr so wuchs, wie wir es brauchten in dieser Richtung.
Und dann gab es im Hintergrund immer die Diskussion, dass man die Erdölpreise mit der Sowjetunion neu diskutierte. Die Situation hatte sich dann noch zugespitzt, als Gorbatschow an die Macht kam und er Erdöl zu Weltmarktpreisen verhandeln wollte und nicht mehr wie im RGW üblich, Ware gegen Ware getauscht werden sollte. Das hätte alleine für uns jährlich zusätzliche fünf bis acht Milliarden Valuta-Finanzzahlen bedeutet. Und Anfang der 80er-Jahre hatten wir das Problem, wo kriegen wir unser Valutageld her. Und dann gab es ja die Verhandlungen mit Schalck-Golodkowski und Strauß. Und dann gab's die erste eine Milliarde und dann die zweite. Durch die zwei Milliarden, die damals von der Bundesrepublik Deutschland über Strauß und Schalck-Golodkowski, über die Bayrische Landesbank über die Deutsche Bank in Luxemburg, dann an unsere Deutsche Außenhandelsbank in Berlin geflossen sind, wurde praktisch die zugespitzte Situation, die unter den Fachleuten jeden Tag offenkundig war, dadurch noch mal verschleiert. Wir hätten auch noch mal 'ne Chance gehabt, etwas zu korrigieren, wenn wir dieses Geld komplett eingesetzt hätten für Investitionen, für die Erhöhung der Produktivität. Das ist aber nicht gemacht worden. In dieser Richtung muss man das also eindeutig sagen.
Ich war Mitglied in verschiedenen Regierungskommissionen der DDR, zur materiell-technischen Sicherung, für große Investitionen im Industrieaußenhandel – und wir, die mit der Wirtschaft zu tun hatten, wir haben schon immer gedrängelt und gedrückt, dass wir das ökonomische System in vielen Punkten auf den Kopf stellen müssen. Für mich als Banker war wichtig, die Wertkategorien in den Mittelpunkt zu stellen und nicht die Tonnenideologie, da wir ja oft Ware gegen Ware gedacht haben, das war ja eigentlich wie Urgemeinschaft. Und Mitte der 60er-Jahre war das schon mal angedacht, als Herr Apel, der ja dann Selbstmord begangen hat, noch Vorsitzender der staatlichen Plankommission war, und begonnen wurde, den Gedanken des neuen ökonomischen Systems zu entwickeln. Da wurde begonnen, die Wertkategorien nach vorne zu schieben – die Rolle des Gewinns, auch die Frage, kann es Arbeitslose im Sozialismus geben, oder kann im Sozialismus auch eine Insolvenz eintreten? Wie muss man damit umgehen. Die Fragen wurden alle diskutiert, waren aber nie ausdiskutiert worden, da wurde das Thema schon wieder ad acta gelegt, weil Moskau auch dagegen war.