Bundestagsdebatte Kritik an "Abwicklung" der Stasi-Unterlagen-Behörde
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17. Juni 2021, 16:13 Uhr
Die Zukunft der Stasi-Unterlagen-Behörde ist entschieden: Die Akten sollen mittelfristig nur noch an sechs Standorten in Ostdeutschland konzentriert werden. Das sorgt für Unmut. Bereits Anfang 2020 löste ein Interview heftige Kritik aus: BStU-Leiter Roland Jahn hatte sich über die schleppende Rekonstruktion zerrissener Stasi-Akten geäußert. Diese Debatte sei nicht beendet, die Rekonstruktion "fast tot", wie Christian Booß vom Bürgerkomitees 15. Januar e.V. kritisiert.
Am Freitag berät der Bundestag einen gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen "Zur Änderung des Bundesarchivgesetzes, des Stasiunterlagen-Gesetzes und zur Einrichtung einer oder eines SED-Opferbeauftragten". Der Gesetzentwurf sieht vor, die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit in den Zuständigkeitsbereich des Bundesarchivs zu übergeben.
Amt eines Bundesbeauftragten für Opfer der SED-Diktatur geplant
Gleichzeitig soll beim Deutschen Bundestag das Amt eines Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur eingerichtet werden. Im Gegenzug soll das bisherige Amt des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen aufgelöst werden. Akteneinsicht für Bürger, Medien und Wissenschaft gemäß der spezialgesetzlichen Regelungen im Stasi-Unterlagengesetz soll unverändert gewährleistet bleiben - offenbar jedoch an weniger Standorten.
Christian Booß sieht das kritisch. Er ist Vorsitzender des Bürgerkomitees 15. Januar e.V.. Der 1991 aus verschiedenen Bürgerkomitees hervorgegangene Verein hat sich zum Ziel gesetzt, den Machtmissbrauch durch SED und Stasi aufzudecken. In Booß' Augen ist die Abschaffung des Stasi-Unterlagenbeauftragten keine Weiterentwicklung, sondern eine Zäsur in der Aufarbeitung der Geschichte der SED-Diktatur. Zwar sei der Gesetzentwurf deutlich nachgebessert worden, aber dass die Akten demnach mittelfristig an nur noch sechs Standorten in Ostdeutschland konzentriert werden sollen, gefällt ihm nicht. Damit verlören sieben Regionen die Akten. Auch die Lagerung der Akten in überwiegend nicht klimatisierten Räumen und der daraus resultierende drohende Verfall findet nach seinen Aussagen keine Beachtung. Die Stasi-Unterlagen-Behörde hält jedoch dagegen, dass nur die Akten zentral gelagert werden würden - die Standorte erhalten blieben und eine Einsicht nach Beantragung an allen vorhandenen Orten weiterhin möglich bliebe - außerdem sogar ein neuer Standort in Cottbus geplant sei.
Nur der Inhalt von 520 Säcken rekonstruiert
Bereits im Januar war eine Debatte um zerrissene Stasi-Akten entbrannt: Im Herbst 1989 versuchten Stasi-Mitarbeiter verzweifelt, so viele Akten wie nur irgend möglich zu vernichten. Sie stopften sie in Reißwölfe und zerfetzten sie per Hand. Bürgerrechtler stoppten die Aktion der Geheimdienstler schließlich. Insgesamt blieben etwa 100 Regal-Kilometer Papiere unversehrt. Die zerrissenen Stasi-Akten füllten immerhin gut 16.000 Säcke.
Auch 30 Jahre nach der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gibt es noch immer einen erheblichen Anteil der zerrissenen Akten. Rekonstruiert wurde nämlich bislang lediglich der Inhalt von 520 Säcken. Eine vergleichsweise lächerlich geringe Anzahl. "Aber wir geben nicht auf", gab sich der Bundesbeauftragte Roland Jahn in einem Interview mit der DPA Anfang des Jahres kämpferisch. "Die Stasi darf nicht im Nachhinein entscheiden, was die Menschen lesen dürfen und was nicht."
Rekonstruktion per Computer ist ausgesetzt
Dass ein manuelles Zusammenfügen der Akten tatsächlich kein aussichtsreiches Unterfangen darstellt, war allen Beteiligten relativ bald klar. Um zügiger greifbare Erfolgen feiern zu können, wurde 2008 ein Projekt zum virtuellen Akten-Puzzle gestartet. Mehr als sechs Millionen Euro flossen bislang in das verheißungsvolle Projekt der Rekonstruktion der zerrissenen Akten mittels Computern. Nun würde es nicht mehr lange dauern, frohlockte man damals in der BStU. Und es gelang immerhin, Papiere aus 23 Schnipsel-Säcken am Computer zusammenzufügen. Doch das Projekt wurde schließlich wieder eingestellt, weil die technischen Parameter für ein geplantes Massenverfahren nicht ausreichten. Zwar hatte das "Fraunhofer Institut" eine durchaus beachtliche Software entwickelt, doch es gab keine voll funktionsfähigen Scanner. Deswegen wurde das Projekt vor zwei Jahren gestoppt und sei, so Roland Jahn, bislang auch nicht wieder in Gang gekommen.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "MDR Zeitreise" 12.01.2020 | 22.00 Uhr