Mielkes Imperium: Die unbekannte Einheit Wie Stasi-Mitarbeiter Autoteile klauten
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06. Dezember 2021, 15:02 Uhr
Sie kümmerten sich um Schreibmaschinenpapier, bauten Häuser und waren verantwortlich für den Fuhrpark der Stasi - die sogenannten "Rückwärtigen Dienste" (RD) des Ministeriums für Staatssicherheit. Mit über 3.000 Mitarbeitern allein in Berlin waren sie eine der größten Abteilungen des MfS und in jeder der 15 Bezirksverwaltungen der DDR vertreten. So auch in Leipzig. Hier lassen sich auch heute noch ihre Spuren zurückverfolgen - inklusive einer bislang unveröffentlichten Geschichte über Diebe in den Reihen der Stasi.
In Leipzig betrieb die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit neben der "Runden Ecke" am Dittrichring noch eine weitere Dienststelle, das sogenannte "Objekt 2" im Leipziger Stadtteil Leutzsch. Streng bewacht und von der Außenwelt weitestgehend abgeschirmt, quartierte die Stasi auf dem Gelände unter anderem die Abteilungen chemische Dienste und Bewaffnung, sowie das Bauwesen und die Kfz-Dienste ein. Letztere waren Unterabteilungen der Rückwärtigen Dienste. Allein in Leipzig arbeiteten insgesamt 126 Mitarbeiter bei den Rückwärtigen Diensten - davon 40 bei den Kfz-Diensten.
Stasi-Männer in Versuchung: Eigennutz vs. Staatstreue
Auch ihnen blieb die Mangelwirtschaft in der DDR natürlich nicht verborgen, vor allem, was Autoteile betraf. Normalerweise nur über Beziehungen oder unterm Ladentisch zu bekommen, hatten die Werkstattmitarbeiter des MfS einen entscheidenden Vorteil: Sie saßen an der Quelle, denn durch die Instandhaltung des Fuhrparks wurden sie regelmäßig mit neuen Ersatzteilen versorgt. Das brachte einige Stasi-Mitarbeiter auf eine Idee: Warum nicht die guten und neuen Ersatzteile aus dem Auto ausbauen und durch alte Teile ersetzen? Gesagt, getan! Insgesamt 13 Mitarbeiter klauten Auto-Ersatzteile im bandenmäßigen Stil. Wie lange, ist nicht genau bekannt. Belegt sind aber mindestens sechs Jahre.
Das lag vor allem daran, dass die Vorgesetzten dort innerhalb der Kfz-Werkstatt selber beteiligt waren. Und in dem Moment, wo die Chefs nicht so genau hinschauen oder selber sogar beteiligt sind, ist das natürlich auch für die Mitarbeiter unterhalb dieser Vorgesetzten relativ nahe liegend, zu sagen: Okay, dann mache ich da auch mit.
Ob Sitzgarnituren, Motorteile, Kfz-Lampen oder Karosserieteile - alles wurde ausgebaut und ausgetauscht, anschließend in den eigenen Autos verbaut oder auf dem Schwarzmarkt verkauft. Das führte sogar so weit, dass sich die Diebe eigene Ersatzteillager in privaten Kellern oder auf Wochenendgrundstücken anlegten.
Der Wert von Eigentum in der DDR ergab sich aus der Verfügbarkeit und nicht aus dem Geldwert. Man konnte nicht einfach in den Laden gehen und sich ein Ersatzteil bestellen. Und deswegen kam es letztendlich vielmehr darauf an, ob das Teil, was man brauchte, materiell tatsächlich da war. Das machte den Wert aus, nicht der Geldwert.
Die Klauerei bei der Stasi fliegt auf
Bis zum Jahr 1984 geht alles gut. Dann ist Schluss mit den Jahren der Selbstbedienung, denn der ganze Schwindel fliegt durch einen Zufall auf. Ein Stasi-Mitarbeiter wurde verhört, allerdings zu einem komplett anderen "Vergehen". Dabei kam auch der Diebstahl der Ersatzteile auf den Tisch. Inklusive der Namen der daran beteiligten Mitarbeiter. Der Leiter der Bezirksverwaltung ist schockiert. Es folgten Entlassungen, Degradierungen, Parteiausschlüsse und - in zwei Fällen - Gefängnis!
Insgesamt fallen die Strafen aber recht milde aus. Einige der Beteiligten werden in einen Staatsbetrieb abgeschoben und bekommen sogar Übergangsgeld! Nur zwei Mitarbeiter müssen in Untersuchungshaft nach Berlin-Hohenschönhausen. Ein Oberfeldwebel muss danach für 2 Jahre ins Gefängnis, offizielle Schadenssumme 10.500 Ost-Mark. Sein vorgesetzter Oberleutnant bekommt ein Jahr und acht Monate auf Bewährung - obwohl seine Schadenssumme 25.000 Ost-Mark beträgt.
Die Staatssicherheit selbst, aber auch die Staatsanwälte und die Gerichte haben natürlich in diesen Fällen sozusagen eine Gesamtwürdigung vorgenommen. Wenn einer der Beschuldigten zu maximalen Aussagen bereit war, auch was andere Beteiligte anging, dann wurde das auch auf das Strafmaß am Ende mit angerechnet.
Für die Öffentlichkeit blieb all das verborgen. Damit nichts nach außen drang, verpflichtet die Stasi ihre abtrünnigen Mitarbeiter per IM-Selbstverpflichtung zur Loyalität gegenüber ihrem ehemaligen Arbeitgeber. Laut Stasi-Unterlagen belief sich die Schadenssumme durch den Diebstahl auf mindestens 65.000 DDR-Mark. Wie viel die Diebe allerdings auf dem Schwarzmarkt dafür bekamen, ist nicht bekannt - aufgrund der Mangelwirtschaft kann der Erlös aber deutlich höher gewesen sein.
Das Stasi-Gelände heute
Heute sind nur noch wenige Gebäude aus der Zeit des MfS in Leipzig-Leutzsch erhalten, darunter ein Wachturm von damals. Der jetzige Besitzer möchte dort zukünftig in einer eigenen kleinen Ausstellung auf die Geschichte und die Stasi-Vergangenheit auf dem Gelände aufmerksam machen.
Rückwärtige Dienste das MfS – Was war das eigentlich?
Die KfZ-Werkstätten, in denen die Stasi-Diebe tätig waren, gehörten zu den Rückwärtigen Diensten des MfS. Als eigene Abteilung waren sie vor allem für die materielle Versorgung der Bezirksverwaltungen verantwortlich. Dazu gehörte unter anderem die Planung, Kontrolle und Verwaltung von Arbeits- und Verbrauchsmitteln.
Das fing schon im Kleinen an, denn das Bestellen der Kugelschreiber für die Sekretärinnen war genauso Aufgabe der Rückwärtigen Dienste wie das Bereitstellen von Gefangenentransportern. Und nicht nur das, auch für das körperliche und leibliche Wohl der Mitarbeiter sorgten die RD - dazu zählte die medizinisch-materielle Versorgung der Krankenstationen ebenso wie das Einrichten spezieller Lebensmittelgeschäfte für die Stasi-Mitarbeiter. Außerdem mussten die Rückwärtigen Dienste auch Vertretungen des sowjetischen Geheimdienstes KGB in der DDR mit allem Notwendigen versorgen.
Eine weitere Aufgabe betraf alles, was mit Logistik zu tun hatte. Allem voran das Bauwesen, denn die Stasi baute ihre Gebäude ausschließlich selbst. Hierbei planten und disponierten die Rückwärtigen Dienste die Bautätigkeiten und kümmerten sich um die Beschaffung der nötigen Baumaterialien.
1974 aus den Abteilungen "Verwaltung und Wirtschaft" (HA VuW), "Finanzen" und der Hauptverwaltung "Bewirtschaftung" (HV B) hervorgehend, blieben die Rückwärtigen Dienste bis zum Ende der DDR bestehen. Die Arbeit dieser speziellen Einheit ist bislang nur wenig erforscht, denn im Gegensatz zu Abteilungen wie z.B. die Auslandspionage waren die Rückwärtigen Dienste im Stasi-Apparat relativ unbedeutend. Deshalb sind sie bis heute unter der ehemaligen DDR-Bevölkerung relativ unbekannt, obwohl sie eine der größten Diensteinheiten im MfS waren.