DDR-Gefängnis Wendezeit im gefürchteten Stasi-Knast Bautzen II
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06. Dezember 2021, 17:16 Uhr
Kriminalität und Verbrechen passten nicht in das Bild des menschenfreundlichen und friedlichen Sozialismus des SED-Staats. Schwerverbrecher wie Entführer, Sexualstraftäter, aber auch Mehrfachmörder und Nazi-Kriegsverbrecher kamen nach Bautzen II, einem der gefürchtetsten Gefängnisse der DDR. Wir wollten wissen, was da drinnen vor sich geht. Der ehemalige Heilerziehungspfleger Georg Kanig gibt uns Einblicke in Bautzen II.
Georg Kanig lebt seit vielen Jahrzehnten in Bautzen. So auch 1989. Damals ist er Heilerziehungspfleger in Großhennersdorf. Jeden Tag fährt er auf dem Arbeitsweg am Gefängnis vorbei. Hohe Mauern, Stacheldraht, Wachtürme. Niemals ist Kanig vor den schweren Eisentoren stehen geblieben, auch kennt er niemanden, der das je getan hat.
Man raunt sich zu, das sei ein Prominenten-Knast. Nur hin und wieder säubert ein Gefangener Rabatten unter Maschinengewehr-Bewachung. Angst und Unwissen sind die zwei vorherrschenden Zustände, die Georg Kanig auch im Herbst 1989 beim Gedanken an das Gefängnis umtreiben.
Was passiert im Stasi-Knast Bautzen II?
Doch mit der Wende engagiert sich Kanig in einer Bürgerinitiative, die wissen will, was in den beiden Haftanstalten von Bautzen vor sich geht. Denn mittlerweile weiß man auch hier: Die Demonstranten vom Dresdner Bahnhof sind in Bautzen eingesperrt worden. Er meldet sich für das Gefängnis Bautzen II – den Stasi-Knast. Georg Kanig ist der erste Bürgerrechtler, der einen Fuß in das Gefängnis setzt, ohne je verhaftet worden zu sein. Mehr noch – er meldet beim Wachpersonal etwas Unerhörtes an: eine Demonstration vor dem Spezial-Gefängnis in der Weigangstrasse. Es ist der 3. Dezember 1989.
Es war schon angstbesetzt, ob ich wieder rauskommen werde. Aber ich hatte die Kollegen, die später kommen wollten, noch im Hintergrund. Und ich hatte einen Auftrag. Das war hilfreich. Ich habe mein Anliegen vorgebracht und habe gesagt, wir wollen unsere Solidarität mit den Gefangenen ausdrücken und uns in die Menschenkette stellen. – Ja, sagte der, ich sage den Vorgesetzten im Haus Bescheid. Damit war das beendet. Und ich bin nach draußen gegangen wieder. Erleichtert.
Bereits knapp zwei Wochen später darf Kanig zusammen mit anderen Mitgliedern des Neuen Forums und einem Pfarrer direkt zu den Gefangenen. Inzwischen sind viele bereits entlassen, vor allem die politischen Häftlinge wie Regimegegner, Fluchthelfer, Spione.
Der erste Kontakt mit den Gefangenen
Die Männer und Frauen der Bürgerinitiative wissen nicht, was sie erwartet, sie kennen keine Urteile, keine Straftaten. Völlig überrascht sind Kanig und seine Mitstreiter, als sie gerade mal auf 22 Gefangene treffen, die sich quasi frei und ungehindert auf den Gängen bewegen.
Der erste Kontakt mit den Gefangenen war am 16. Dezember. Das war sehr beeindruckend. Da standen Männer also im Mantel mit ihren gelben Streifen. Schon das war ja ungewöhnlich, und die montierten an Schlössern … Offenbar durften sie sich dann schon relativ frei bewegen und bauten deshalb an den Schlössern. Und dann, ein paar Tage später, haben wir uns den Gefangenen vorgestellt. Und da guckten die uns alle mit ganz großen Augen an. Und wir haben ihnen versprochen, dass wir uns um sie kümmern.
Diese Erwartung in den Augen der Gefangenen wird Georg Kanig sein Lebtag nicht mehr vergessen. Angst hat er nicht vor ihnen. Er entscheidet für sich, die verbliebenen Gefangenen von Bautzen II sozial zu betreuen. Sich um die "ganz schweren Jungs" zu kümmern: Nazi-Kriegsverbrecher, Mehrfachmörder, Sexualstraftäter, Entführer ... diejenigen, in deren Prozesse und Ermittlungen aufgrund der Schwere der kriminellen Tat die Staatssicherheit der DDR involviert war.
Wir wollten wissen, was dort passiert: Werden dort Leute umgebracht werden, werden dort Leute gequält. Es gab dort die verrücktesten Gerüchte - da kamen Leute nach Bautzen II, die fragten, wo sind die Wasser-Zellen. Wir wollten Transparenz zur Stadt. Wir fühlten auch ein gewisses Maß an Verantwortung. Und das Zweite: Wir wollten Urteilsüberprüfungen von neutraler Seite her. Wir kannten die Urteile nicht. Wir hätten auch gar nicht die Kompetenz gehabt. Das hieß, es mussten Fachleute aus dem Westen sein.
Sein Engagement wird in der Folge vor allem ein humanitäres sein. Geschichten und Sorgen der alten Männer anhören, für Hafterleichterungen sorgen, sich um die Überprüfung der Haftfähigkeit kümmern. Während in den anderen Haftanstalten Revolten und Streiks für eine Generalamnestie im Jahr 1990 an der Tagesordnung sind, bleibt es in Bautzen II relativ ruhig.
(Keine) Hoffnung für die schweren Jungs?
Den kriminellen Schwerstverbrechern ist klar, dass sie auf keine vorzeitige Entlassung hoffen können. Erst um den 20. September 1990 – kurz vor der Deutschen Einheit – schließen sich die Gefangenen von Bautzen II den Hungerstreiks anderer Haftanstalten an. Und wieder ist Georg Kanig mit vor Ort, vermittelt zwischen dem altgedienten und verängstigtem Wachpersonal und den Insassen.
Sie hatten Sorge, über dem Einheitstaumel vergessen zu werden. Denn dann, wenn die Einheit da ist, würde sich niemand mehr um sie kümmern. Das war der Impuls, warum sie so revoltiert haben. Aber es hat keine Dachbesetzung dort gegeben. Das Einzige, was sie dort gemacht haben: 'Wir lassen uns nicht einschließen, und wir essen nix, wir trinken nichts.' Es ist also keine revolutionäre, aggressive Stimmung gewesen. Es wurde dann so nach eins allmählich ruhig, und ich bin dann um halb zwei oder um zwei nach Hause gegangen, weil offensichtlich alles schlief.
Heute ist die ehemalige Sonderhaftanstalt Bautzen II eine Gedenkstätte. Die letzten Gefangenen wurden 1992 in die Haftanstalt Bautzen I verlegt, das sogenannte Gelbe Elend. Bis heute besucht Georg Kanig dort einmal im Monat den letzten lebenden Insassen aus dem berüchtigten Bautzener Stasi-Knast.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 12. Januar 2020 | 22:20 Uhr