Frauengefängnis: Eingesperrt in der DDR Schicksale im Frauenzuchthaus Hoheneck
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25. November 2021, 13:48 Uhr
Das berüchtigste Frauen-Gefängnis der DDR war grausam zu seinen Gefangenen: Frauen, die entweder kriminell waren oder dem sozialistischem Staat ein Dorn im Auge waren. So auch Gabriele Stötzer, verurteilt wegen "Staatsverleumdung". Sie durfte im Zuchthaus Hoheneck nicht einmal entscheiden, wie sie beim Schlafen liegen möchte. Wie das Leben in dem DDR-Knast war, in dem die Frauen Zwangsarbeit für Devisen leisten mussten und wie dort mit schwangeren Frauen umgegangen wurde, erzählt die Autorin.
Warum ich? Warum jetzt? Warum dieses Thema immer wieder: Hoheneck, die Mörderburg, das berüchtigtste Frauengefängnis in der DDR? Warum holt mich das immer wieder ein? Über Hoheneck nachzudenken kostet Überwindung. Der Verlust von Abstand. Dahinter etwas, das ich mir jetzt erst eingestehen kann - Angst. Es ist eine Kugel, in der das Geheimnis "Vergangenheit liegt".
Hermetisch abgesichert, das war Hoheneck. Eine Burg, in der das menschliche Inferno tobte, ein Abgrund, aus dem man einmal entronnen, nur weiterleben konnte, wenn man sich nicht umdrehte? Aber ich erinnerte mich auch, dass mir hier Frauen mit einer Tiefe und Wahrhaftigkeit begegneten, die mein damaliges Frauenbild grundlegend veränderten.
Verurteilt wegen Staatsverleumdung
Was vielen in dieser Geschichte gemein ist, dass wir alle sehr junge Frauen waren, deren Leben noch gar nicht richtig begonnen hatte, als es aus der Bahn geworfen wurde. Ich wurde 1977, im Alter von 23 Jahren wegen § 220, Staatsverleumdung im Fall der Ausbürgerung des Sängers Wolf Biermann verurteilt. Kam erst in die Untersuchungshaft nach Erfurt, dann nach Hoheneck.
Leben und Schlafen nach der Vorgabe der Wärter
Massen von Frauen, 33 in unserem "Verwahrraum" wie die Zellen genannt wurden. Es gibt keinen Namen für die dreifach aufgestockten Betten, wo die Neuzugänge unten anfangen und sich dann bis zur Entlassung hochschlafen. Kontrollierter Bettenbau, tags durfte man nicht in den Betten liegen, Stühle gab es zu wenig. Waschräume gleich neben den Schlafräumen mit drei offen nebeneinanderstehenden WC-Becken ohne Deckel und an der Wand mehrere Waschkojen, in denen sich die Gefangenen wuschen, während sich andere ihrer Notdurft entledigten.
An den leeren Wänden Regale mit kleinem offenen Fächern, in denen die wenigen persönlichen Gegenstände, die man besitzen durfte, einsichtig stehen mussten: Zahnbecher, Besteck, Seife, Creme. Eine Verwahrraumälteste, die eine kriminelle Langstraferin war und alle Macht im Raum hatte. Dadurch ständige Kontrolle, auch wenn man eingeschlossen war. Nachts Hände auf der Decke und der Kopf sichtbar. Nachts auch die Liebe lesbischer Paare hinter Decken. Tätowierungen, die bei manchen Frauen vom Gesicht bis zur Fußspitze gingen.
Einteilung in Gruppen: Politische oder Kriminelle
Das Erste, was ich gefragt wurde, war: welcher Delikt und welches Strafmaß. Das entscheidet, zu welcher Gruppe man gehört – zu den Politischen oder zu den Kriminellen. Ich kam in das Strumpfnähkommando "Esda 1". Arbeiten in drei Schichten, acht Stunden Früh-, Spät- oder Nachtschicht. Unterbrochen von den Wochenenden, an denen immer wieder Sonderschichten gefahren wurden.
Man musste in schnellster Zeit 100 Prozent schaffen, um etwas Knastgeld zu bekommen, mit dem man sich in der Verkaufsstelle hinter einem kleinen Fenster im Essensraum nötige Dinge wie Seife, Zahnpasta und Obst, Zigaretten oder Kekse kaufen konnte.
Bloß nicht auffallen
Ich beschloss, schnell die 100 Prozent zu fahren und auch sonst nicht besonders aufzufallen, denn ich kam aus der U-Haft mit einer Unterleibsoperation, die auf einer Fehldiagnose beruhte und die mir zeigte, wie gefährlich es hier war. Herbeigeführt hatte die Operation eine Essenverweigerung, die ich nicht Hungerstreik nannte, denn das Aufhören mit Essen und Trinken war gepaart mit dem Aufhören zu reden, mit ihnen zu reden.
Arbeitsverweigerung wurde mit Arrest bestraft. Der Knast hatte unweigerlich volkswirtschaftliche Bedeutung. Dabei ging es bei den politischen Gefangenen nur äußerlich um deren alleinige Umerziehung.
Sklavenmarkt Ost-West
Zur Steigerung der sozialistischen Produktion wurden die Gefangenen selbst noch verkauft. Pro Kopf bezahlte der Westen 50.000 bis 90.000 Westmark für eine/n Gefangene/n je nach Strafmaß und Ausbildung. Am Sozialismus, um dessen Gestaltung ich eigentlich noch mit dem Vernehmer rang, blieb für mich nichts Gutes mehr. Er bekam etwas Scheinheiliges, Lauerndes. Ich musste alle politischen Worte und Floskeln vergessen und ans Überleben denken.
Mythen rund um berüchtigtes Frauenzuchthaus Hoheneck
Hoheneck, die Mörderburg, das berüchtigte DDR-Frauengefängnis: Bis 1989 saßen dort über 23.000 Frauen ein - viele von ihnen aus politischen Gründen. Historiker Sebastian Lindner setzt sich für diesen Erinnerungsort ein.
Geburtsdrama im Frauenknast Hoheneck
Heinz Rüdiger Sachs wird am 4. Juni 1950 in Hoheneck geboren und nach sechs Monaten von seiner Mutter getrennt. Er entgeht einer drohenden Aufnahme in ein Heim und einer Zwangsadoption, weil seine Mutter ihren Bruder bittet, den Sohn aufzuziehen.
Die Mutter, Gerda Schwanz, geboren 1920, bringt nach dem Krieg mit einem Kuhgeschirr Flüchtlinge über die Grenze in die amerikanische Zone und Ersatzteile für das Eisenacher Automobilwerk mit zurück. Dabei wird sie von einer russischen Patrouille aufgegriffen und wegen Spionage zu 25 Jahren verurteilt.
Nur wenige Wochen vor der Verurteilung war ihr Mann nach neun Jahren Kriegsgefangenschaft endlich zurückgekehrt. Als er das Strafmaß erfährt, lässt er sich scheiden. Er will nicht noch einmal warten. Gerda Schwanz ist im dritten Monat schwanger.
Was ist Hoheneck?
Hoheneck ist eine ehemalige Ritterburg, das Wahrzeichen der Stadt Stollberg, im Erzgebirge, in deren Mitte sie erhöht von allen Seiten sichtbar ist. Sie wurde erstmals 1244 unter dem Namen "Stalburg" erwähnt und 1564 vom sächsischen Kurfürsten als Jagdschloss umgebaut. Seit 1862 hier das "Königlich-Sächsische Weiberzuchthaus" errichtet wurde, wechselten die Gefangenen ihr Geschlecht und die Hausherren ihre Ideologie. 1886 wurde die Strafanstalt für weibliche Gefangene nach Waldheim verlegt. In der Weimarer Republik und während der Zeit des Nationalsozialismus waren zahlreiche Widerstandskämpfer eingekerkert. Nach 1945 bis 1949 saßen hier Verurteilte der SMAD.
Seit 1949 von Sachsenhausen 1000 vom sowjetischen Militärtribunal verurteilte Frauen und 30 Kinder nach Hoheneck gebracht wurden, gebrauchte es die DDR als Frauengefängnis. Die Vollzugsanstalt war eigentlich für 230 Haftplätze festgelegt, die wirklichen Belegungen schwankten zwischen 400 und 2000 Gefangenen.
Die Kapos in Hoheneck verschieben ihre Baby-Erstausstattung. Aus den Fäden der Umhüllungen der Monatsbinden strickte sie sich nachts Kinderjäckchen und Windeln. Die anderen Politischen sammelten mit. Sie entbindet einen Sohn. Nach sechs Monaten wird ihr das Kind weggenommen. Von da ab lebt sie nur für ein Wiedersehen. Endlich wird sie 1956 vorzeitig auf Bewährung entlassen.
Als sie unangekündigt vor dem 6-jährigen Jungen steht, hat er Angst vor der dünnen, streng aussehenden Frau. Gerda Schwanz bekommt keine Arbeitsstelle und flieht mit ihrem Sohn nach Westberlin. Sie bettelt um die Anerkennung des Jungen, der nie Mutti zu ihr sagt, nicht redet und isst. Als der Bruder sie nach einem halben Jahr im Auffanglager Ulm besucht, klammert sich der Junge an seinen Onkel. Sie lässt beide gehen und ist fortan die "Tante aus dem Westen", die Pakete schickt.
Kind und Mutter werden getrennt
Anita Goßler, geb. Erler, wird 1953 im Alter von 20 Jahren wegen Mitwisserschaft illegalen Waffenbesitzes ihres Freundes sowie der Erfindung und Verbreitung von Gerüchten zum Stürzen der DDR zu fünf Jahren Strafvollzug verurteilt. Sie sitzt fünf Monate in Einzelhaft in Leipzig, wird Tag und Nacht vernommen. Weil sie die Beschuldigungen abstreitet, bringt man sie trotz Schwangerschaft in eine telefonzellengroße Zelle.
Aus Düsen im Boden kommt Wasser. Sie hat Angst, dass sie ertrinkt. Als man sie mit klitschnassen Sachen in ihre Zelle bringt, hatte sie jedes Zeitgefühl verloren. Sie entbindet im Haftkrankenhaus Meusdorf eine Tochter. Nach drei Monaten kommt sie auf Transport nach Hoheneck. Ihre Tochter wird in ein Heim gebracht.
Albtraum Hoheneck
In Hoheneck gibt es – Kübel, keine WCs; Strohsäcke, keine Matratzen; keine Waschgelegenheiten, nur eine Blechschüssel, mit der man abends an der Zellentür Wasser bekommt. Sie näht im Dreischichtsystem mit Maschinen Knöpfe an Arbeitskittel. Sie lebt nur für das Wiedersehen mit ihrer Tochter.
Nach drei Jahren soll sie einen Zettel unterschreiben, auf dem der Vater des Kindes bestätigt, das er das Kind zur Adoption frei gibt, damit es sozialistisch erzogen wird. Sie weigert sich und sagt: Das ist eine Fälschung. Was stimmt, denn ihr Freund ist zu diesem Zeitpunkt bereits in der Haftanstalt Bautzen II verstorben.
Anita Goßler wird in den Keller gebracht. Die Wasserzelle ist größer als in Leipzig. Danach kommt sie in eine Dunkelzelle. Nach drei Tagen wird sie wieder in das Büro geholt und muss unterschreiben, dass sie niemals in einer Wasserzelle war. Über die Adoption wird nicht mehr gesprochen. Als sie nach drei Jahren aus dem Knast entlassen wird, bleibt die Tochter unauffindbar.
Schweigen vor Scham
Anita Goßler schweigt 50 Jahre, weil sie sich schämt und denkt, dass ihr niemand glaubt. Noch heute darf keiner hinter ihr stehen, in ihrer Wohnung sind alle Türen ausgehängt. Die Tochter hat sie mithilfe des Roten Kreuzes gesucht – und nach der Wende gefunden. Doch beide sind sich fremd geblieben.
Aus den Gesprächen und den persönlichen Aufzeichnungen Gabriele Stötzers lässt sich die Entwicklung des DDR-Knastes nachvollziehen. 1950 die erste Unterbringung auf bloßen Boden, Wochen später Strohsäcke. Kübel als WC. Der Beginn der Arbeit erst ohne Leistung, die sich zum Hauptzwangbereich mit Hochleistungsnormen entwickelt. Der Ausfall der Heizung im Winter 1952. 1953 der dreitägige Hungerstreik der 1000 SMAD Verurteilten in Hoheneck - nach dem Tod Stalins und einer einsetzenden Amnestie deutscher durch das SMAD verurteilter Gefangener in der UdSSR- dem sich andere Politische, inzwischen durch deutsche Gerichte Verurteilte, anschließen. Die einsetzende Amnestie, die erst 1956 beendet ist. Geburten und Zwangsadoptionen. 1955 der Arbeitsunfall der Lyrikerin Edeltraud Eckert, der die Kopfhaut abgezogen wird und die daran stirbt. Toilette mit Wasserspülung 1960. Kaltes Wasser zum Waschen bis 1976, was bedeutet, dass die Gefangenen sich vor einem "Sprecher" das Haar mit Malzkaffee wuschen. Gebrauch der Wasserzelle bis 1976. Arrest und Gefangenenverkauf bis Ende der DDR.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 14. März 2021 | 22:30 Uhr