Geschichte eines Verhafteten Vom Freund in den Knast gebracht
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04. Januar 2022, 14:21 Uhr
Gunther Junkert geht es wie vielen anderen auch: Er wird nicht von einem Wildfremden denunziert, sondern von einem seiner besten Freunde. Auf einer Geburtstagsfeier fädelt die Stasi die Festnahme des damals 49-Jährigen ein.
Gunther Junkerts Vergehen: Er hatte zwei in der DDR unerwünschte Bücher verliehen, eines davon "Der Archipel Gulag" des russischen Schriftstellers Alexander Solschenizyn. In diesem Werk beschäftigt sich der Autor mit den Zuständen in russischen Gefängnissen und Arbeitslagern seit der Oktoberrevolution.
Fingierte Polizeikontrolle führt zur Verhaftung
Der Lehrer tappt ahnungslos in die Falle. Er ahnt nicht, dass sein Freund ein Spitzel ist. Die Stasi hatte Junkert schon lange observieren lassen und den operativen Vorgang "Bastei" angelegt. Aber man will ihn auf frischer Tat ertappen. Sein Freund lädt ihn zum Feiern ein und schenkt kräftig ein. Die geliehenen Bücher gehen am selben Abend zurück an Junkert. Der deponiert sie, wie ihm geraten wird, in seinem Auto. Am nächsten Morgen lässt die Stasi eine Polizeikontrolle aufbauen. Junkert muss zum Alkoholtest in die Poliklinik, sein Auto wird kontrolliert - die Bücher werden wie geplant gefunden.
Junkert hat mit dem Ziel, gegen die verfassungsmäßigen Grundlagen der DDR aufzuwiegeln, an mehrere Personen das gegen die sozialistischen Verhältnisse in der SU gerichtete Machwerk 'Archipel Gulag' von Solschenizyn verbreitet.
Inhaftierte von der Außenwelt abgeschnitten
Nach einem Verhör muss Junkert in ein fensterloses Auto steigen. Er weiß nicht, wohin man ihn bringt. Ihm ergeht es wie fast allen, die in eine der 17 Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit gebracht werden: Das unauffällige Auto fährt in eine Garage, ein Tor schließt sich dahinter. Der Inhaftierte ist jetzt von der Außenwelt abgeschnitten. Die Prozedur ist meist dieselbe: Den Betroffenen soll Angst gemacht werden. Die lange Fahrt in einem geschlossenen Fahrzeug nimmt zum Beispiel die Orientierung, verunsichert und setzt sie psychisch unter Druck.
Die Zügel werden angezogen
Auch für Gunther Junkert folgen Monate der Unsicherheit in der Dresdner Untersuchungshaftanstalt in der Bautzener Straße. Verhöre sind an der Tagesordnung, er darf keine Fragen stellen, sondern nur antworten. Heute sagt er über die Zeit seiner Verhöre: "Der Vernehmer hat mich nicht als Mensch ernst genommen. Ich war für ihn der Häftling, dem man die Schuld nachweisen muss - und das mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen." Nach ersten Verhören werden die Zügel angezogen. Junkert soll sich selbst belasten. Die nächste Methode wird angewandt.
Gunther Junkert erhält sein Urteil nach mehr als fünf Monaten Untersuchungshaft: Das Bezirksgericht Dresden verurteilt ihn wegen "staatsfeindlicher Hetze" zu viereinhalb Jahren Haftstrafe. Weil er zwei Bücher verliehen hatte.