Weltmeisterschaft: Bob und Skeleton in Altenberg Der Eisbahn-Pionier: Udo Gurgel
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17. Januar 2022, 12:13 Uhr
Udo Gurgel ist der Mann hinter den Rekorden: Der studierte Ingenieur baute zahlreiche große Bobbahnen auf der ganzen Welt. Die Kunsteis-Pisten Calgary, Lillehammer, Nagano, Salt Lake City, Turin und Sotschi gehören zum Repertoire des Leipzigers. Zu einem seiner Pionier-Projekte gehörte die Eisbahn im sächsischen Altenberg, auf der derzeit die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften stattfinden. Ihr Bau war zu DDR-Zeiten streng geheim und endete fast im Fiasko.
Der gebürtige Schweriner und Wahl-Leipziger Udo Gurgel besucht auch heute noch gern eines seiner Meisterwerke, die Rennschlitten- und Bobbahn Altenberg. Sie gilt immer noch als die schwierigste Bahn der Welt. Ebenso schwierig war auch der Weg zum Bau, denn man musste in der DDR bei der Konstruktion der neuen Kunsteisbahnen ganz von vorne anfangen.
1966 hatte Gurgel sein Ingenieursstudium in Weimar abgeschlossen und sich die ersten Sporen als Konstrukteur verdient, als er in das Geschäft um Kunsteis und Rekorde einstieg. Auf Vorlagen oder fertige Lösungen konnten die Bob-Bahnbauer der ersten Stunde am Wissenschaftlich-Technischen Zentrum für Sportbauten in Leipzig damals nicht zurückgreifen. Bis dato hatte es nur Natureisbahnen gegeben, die erst Ende der 1960er-Jahre durch das Kunsteis abgelöst wurden. Die Bundesrepublik betrieb damals schon eine Kunsteisbahn in Königssee. So eine wollte die DDR auch. Doch ein Spionageversuch im Westen brachte keine verwertbaren Ergebnisse. Die jungen Ingenieure um Udo Gurgel mussten also ganz neue Wege gehen:
Deshalb mussten wir auch das Fahrrad neu erfinden. Wir waren alles junge Ingenieure, wir haben uns zusammengesetzt und haben uns was ausgedacht. Ich hatte die Uni gerade zwei Jahre hinter mir, als ich damit anfing, mich damit zu befassen, das ging.
Bobbahn Oberhof: Die zweite Kunsteisbahn der Welt
Die erste Kunsteisbahn der DDR - und überhaupt die zweite der Welt - sollte in Oberhof im Thüringer Wald entstehen. Für die Berechnungen nutzen die Ingenieure erstmals einen Großrechner in Dresden. 1968 wurde schließlich mit dem Bau begonnen. Zwei Jahre später konnte die weltweit erste am Computer entworfene Rennrodelbahn in Oberhof eingeweiht werden. Die Feuertaufe für die Ingenieure war bestanden.
Kunsteisbahn Altenberg: Das Geheimprojekt
Der Bob- und Rodelsport in der DDR entwickelte sich zusehends und gewann auch international an Bedeutung. So kam 1980 der nächste Auftrag für den Bobbahn-Pionier Gurgel. Um international den Anschluss nicht zu verlieren, wollte die SED-Führung in Altenberg eine neue Kunsteisbahn bauen. Denn die bereits vorhandene Bahn in Oberhof konnte auf Weltniveau nicht mithalten. Der Bau in Altenberg begann im Frühjahr 1983.
Die Arbeiten fanden unter größter Geheimhaltung statt, so wollte es das Ministerium für Staatssicherheit. Schließlich sollte der Westen nicht erfahren, dass sich die DDR noch eine zweite Bob- und Rodelbahn leistete. Nicht mal dem Konstrukteur Gurgel war es gestattet, Fotos vom Bau zu machen.
Es war in der Region bekannt. Jeder wusste, es wird etwas hier gebaut. Aber was und wie, das war unklar.
Die große Ernüchterung
In Rekordzeit war die Bahn fertig - so dachte man zumindest:
Die ganze Bahn ist letztendlich in einer Zeit von zwei Jahren fertiggestellt worden. Doch es gab Schwierigkeiten beim Befahren einzelner Kurven. Das Kuriose war jedoch, dass sämtliche Koryphäen im Rodel- und Bobsport, Olympiasieger und Weltmeister, die Bahn abgegangen sind, bevor sie betoniert wurde. Und sie wurden gefragt, ob die Bahn für sie befahrbar aussieht.
Allerdings fand die Meinung und Expertise der Sportler wenig Gehör, wie sich der ehemalige Bob Olympiasieger Wolfgang Hoppe erinnert:
Als wir das Hochsicherheitsgebiet und die ersten Kurvensegmente anschauen konnten, kamen schon die ersten Bedenken. Wir haben versucht, den Konstrukteuren zu vermitteln, dass die Kurven so nicht funktionieren können.
Doch die Zeit drängte. Denn zu den nächsten großen Wintersportereignissen wollte die SED-Führung Medaillen sehen. Als die Sportler, trotz aller Bedenken, die Bahn zum ersten Mal testen konnten, fiel das Ergebnis katastrophal aus: "Da hat es die meisten geschmissen, obwohl wir von der niedrigst möglichen Starthöhe gestartet sind", so Hoppe. Dem Zeitdruck und den widrigen Planungsbedingungen aufgrund der Geheimhaltung war es wohl geschuldet, dass die Bahn kurz nach Fertigstellung überarbeitet werden musste.
Nun übernahm das Ministerium für Staatssicherheit die Bauleitung. Niemand sollte von der Fehlkonstruktion erfahren. Mehr als die Hälfte der 17 Kurven mussten weggesprengt und neu gebaut werden. Das wollte die Stasi möglichst geheim halten. Genaue Zahlen für den Neubau gibt es nicht. Trotz alledem wurde die Altenberger Eisbahn weltbekannt - und mit ihr Udo Gurgel und seine Männer.
Altenberg als Durchbruch in die internationale Welt des Bob-Bahnbaus
In der Szene hatte sich Gurgel mit der Bahn in Altenberg einen Namen gemacht, so dass er den bis dato größten internationalen Auftrag erhielt: den Bau der Bobbahn für die Winterspiele 1988 in Calgary.
Wir sind von den Kanadiern sehr herzlich empfangen worden. Kanada ist anders als Amerika. Die haben also dieses Ost-West-Verhältnis gar nicht durchgucken lassen. Insofern war man da auf Augenhöhe.
Die Frage, ob er nie daran gedacht habe, die Chance zu nutzen und sich in den Westen abzusetzen, verneint er heute. Die Familie im Stich zu lassen, wäre für ihn nicht in Frage gekommen. Und Bobbahnen "Made in GDR" waren mittlerweile weltweit begehrt.
Fast parallel zu der Bahn in Calgary liefen die Arbeiten für eine Bob- und Rodelbahn im heute lettischen Sigulda an, Austragungsort unzähliger Weltmeisterschaftsläufe. Für Udo Gurgel begann ein Leben auf Baustellen und im Flugzeug. Mit der Anfrage für den Bau der Olympiabahn für die Olympischen Winterspiele 1994 im norwegischen Lillehammer schien er auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Doch dann kam die Wende und mit ihr der Wegfall seines staatlichen Arbeitsgebers. Der Ingenieur hatte nun die Wahl, seine Arbeit abzubrechen oder den Sprung in die Marktwirtschaft zu wagen. Tatsächlich beendete er mit Zustimmung der Norweger als Privatmann die Arbeiten an seiner zweiten Olympiabahn.
Zweite Karriere nach der Wende
Das war der Startpunkt seiner zweiten Karriere: 1993 gründete er ein Ingenieurbüro. In einem Leipziger Hinterhaus entwarf er mit einem Team aus drei Leuten nicht nur Garagen und Brücken. Seine alte Leidenschaft ließ Gurgel nicht los, er spezialisierte sich mehr und mehr auf Entwurf, Planung und Berechnung neuer Bobrennbahnen. Auftraggeber waren nun Sportverbände, für die er die olympischen Eiskanäle von Nagano, Salt Lake City, Turin und Whistler entwarf.
Der Sport, sagt Udo Gurgel, will immer weiter. Auch wenn Verbände und Auftraggeber das Profil und damit die Geschwindigkeiten einer jeden Bahn bestimmen, ist die Verantwortung auch für die Bahnenbauer groß. 2010 starb ein georgischer Bobfahrer bei einer Trainingsfahrt in Whistler kurz vor Beginn der olympischen Winterspiele. Die nächste Bahn, die Gurgel entwarf - für die Olympiade in Sotschi 2014 - war langsamer als die Bahnen in Whistler und Altenberg. Inzwischen hat der Pionier des Baus von künstlichen Eisrinnen sein Know-How an jüngere Ingenieure weitergegeben. Für seine Leipziger Firma ist er nur noch als Berater tätig.
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Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Fernsehen: MDR SACHSENSPIEGEL | 05.02.2021 | 19:00 Uhr