Das einstige DDR-Wintersportzentrum Oberhof: Die Kaderschmiede des Wintersports
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23. Januar 2023, 11:09 Uhr
Oberhof hat viele Beinamen. Am wohl beständigsten hält sich der Titel "Kaderschmiede des Wintersports". Denn noch immer kommen die besten Biathleten, Bobfahrer und Rodler Deutschlands aus dem einstigen DDR-Wintersportzentrum.
Der Oberhofer Armeesportklub (ASK) gilt als einer der weltweit erfolgreichsten Wintersport-Vereine: Allein 16 mal "Gold" haben die Sportler des ASK bei fünf Olympischen Winterspielen zwischen 1956 und 1990 gewonnen. Biathlet Frank Ullrich fuhr mit neun Goldmedaillen bei Biathlon-Weltmeisterschaften die meisten Siege für den ASK ein. Auch Skispringer Hans-Georg Aschenbach oder Bobfahrer Wolfgang Hoppe holten Gold für den Thüringer Armeesportklub. Und heute glänzt der Nachfolgerverein "WSV Oberhof 05" wieder mit Erfolgen: Andrea Henkel, Alexander Wolf, Manuela Henkel, Jens Filbrich und Axel Teichmann heißen heute die Asse aus Oberhof.
Spezialförderschulen in der DDR
Eines haben all diese erfolgreichen Sportler gemeinsam: Sie alle besuchten dieselbe Schule. Die Oberhofer Kinder- und Jugendsportschule (KJS) bzw. ab 1990 das Sportgymnasium Oberhof. 25 dieser Spezialschulen zur "Förderung sportlicher Höchstleistungen" gab es in der DDR – mit Ausnahme von Suhl in jeder Bezirkshauptstadt und zusätzlich in den Wintersportzentren der DDR sowie in Luckenwalde. Die "KJS" war ein Baustein im sogenannten ESA-System des DDR-Sports, das die "Einheitliche Sichtung und Ausbildung von geeigneten Kindern" vorsah. Mindestens genauso wichtig wie das sportliche Talent war allerdings die politische "Unbedenklichkeit" der Nachwuchssportler. Kinder mit Westverwandtschaft hatten schlechte Karten.
Permanenter Leistungsdruck
In Oberhof wurde 1979 die Spezialschule "Karl-Marx" eröffnet. Schwerpunkt-Sportarten der KJS am Rennsteig waren: Skilanglauf, Skispringen, Nordische Kombination, Biathlon, Rennschlittensport. Da sich in Oberhof die Wintersportanlagen von der Schanze bis zur Kunsteisbahn auf engstem Raum konzentrierten, hatten die Sportschüler optimale Trainingsbedingungen. Das Trainingspensum war enorm. Um den regulären Schulstoff dennoch zu bewältigen, legten die Sportler das Abitur in der Regel erst in der 13./4. Klasse ab.
Reisen ins Ausland waren möglich
Nur die physisch und psychisch Stärksten hielten dem permanenten Zeit- und Leistungsdruck stand. Nichtsdestotrotz war für viele Kinder und Jugendliche ein Platz an der Sportschule erstrebenswert. Ein Platz auf der KJS bedeutete Prestige und die Möglichkeit, ins Ausland zu reisen. "Wir hatten eine gute Ausbildung, hatten Sportklamotten. Ich zum Beispiel bekam meine Skier von der Sportschule, das war enorm wichtig, denn meine Eltern hatten nur wenig Geld", erinnert sich Skispringer Hans-Georg Aschenbach. Auch der erfolgreiche Biathlet Frank Luck empfand den Druck eher förderlich: "Die Disziplin, die von uns verlangt wurde, hat mir bestimmt nicht geschadet", sagte er in einem Interview mit der "Welt".
Die Disziplin, die von uns verlangt wurde, hat mir bestimmt nicht geschadet.
Fluchtgefahr der Ost-Sportler?
Zum sportlichen Drill kam die Internatspflicht, bereits mit zwölf Jahren mussten die Nachwuchsathleten von ihren Eltern getrennt leben und standen komplett unter der Obhut der Trainer, Erzieher und Lehrer, und auch die Stasi hatte ein Auge auf die jungen Sportler. "Pädagogen und einige Trainer erweisen sich als auskunftswillig, wie auch Vertreter des medizinischen Personals", schreibt Thomas Purschke in seiner 2004 veröffentlichten Broschüre "Staatsplan Sieg - Die Instrumentalisierung des DDR-Wintersports am Beispiel Oberhof". Aber nicht nur die KJS stand unter strenger Beobachtung der "Firma". Da in Oberhof viele der besten DDR-Sportler - also potenzielle Republikflüchtlinge - trainierten und lebten, waren in der Kleinstadt am Rennsteig besonders viele "Inoffizielle Mitarbeiter" im Einsatz.
Immer wieder Stasi
Das Thema Stasi lässt den Wintersportort am Rennsteig bis heute nicht zur Ruhe kommen. Noch immer werden IM enttarnt, die nach der Wende in führenden Posten im Sportbetrieb gelangten. Die Oberhofer selbst scheinen dieses Kapitel zuschlagen zu wollen. "Die Region ist den Abgründen des Sports gegenüber blind und taub", sagt Thüringens Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Hildigund Neubert. Oberhof lebt vom Sport – heute mehr denn je. Alte Hasen im Sportgeschäft sind da unentbehrlich, ihre Vergangenheit scheint da zweitrangig.
Die Region ist den Abgründen des Sports gegenüber blind und taub.
Ruf als "Wintersport-Mekka"
Nach der Wende sind etwa 60 Millionen Euro staatliche Fördergelder in die Infrastruktur des Wintersportzentrums geflossen, Rodelbahn, Sprungschanzen und das Biathlon-Stadion wurden auf internationales Spitzenniveau gebracht. 2009 wurde Deutschlands erste Skihalle für den nordischen Skisport eröffnet. Oberhof ist heute regelmäßiger Austragungsort von Meisterschaften und Weltcups im Rennrodeln, Biathlon und in der Nordischen Kombination. Zu Recht vermarktet sich Oberhof inzwischen als WM-Ferienregion und schmückt sich jetzt mit dem neuen Beinamen "Wintersport-Mekka".
Dieser Artikel wurde 2011 erstveröffentlicht.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | DER OSTEN - ENTDECKE WO DU LEBST | 26. Januar 2021 | 21:00 Uhr