Von BSG Empor Dresden-Mitte bis Turbine Potsdam Frauenfußball in der DDR
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27. Juli 2022, 14:02 Uhr
Verboten war der Frauenfußball im Gegensatz zur Bundesrepublik in der DDR nie. Ende der 1960er-Jahre gründeten sich die ersten Teams. Seinen Höhepunkt erreichte der Sport Ende der 1980er-Jahre. Ein historischer Abriss.
Es ist ein bulgarischer Student, der den ersten Impuls für den Frauenfußball in der DDR gibt. Vladimir Zwetkow ist seit fünf Jahren in der DDR, studiert Elektrotechnik an der TU Dresden und ist selbst begeisterter Fußballspieler. Auf dem Trainingsgelände im Dresdner Ostragehege fällt ihm 1968 eine Gruppe von Handballerinnen auf, die regelmäßig zum Ausgleich Fußball spielt. Zwetkow hat eine Idee: Er will eine Frauenelf gründen. Sein Vorhaben trifft jedoch auf Skepsis und Widerstand.
Zwetkow spricht mit Werner Krolikowski, dem SED-Parteisekretär in Dresden, und dem Chefideologen des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler: "Wir haben lange diskutiert. Und dann haben sie uns machen lassen", erinnert sich Zwetkow. 1968 gründet er die BSG Empor Dresden-Mitte. Er trainiert seine Spielerinnen, die sich auf eine Anzeige hin bei ihm gemeldet haben, viermal die Woche und muss eine Menge Theorie vermitteln: "Ich hatte immer eine Magnettafel dabei und habe viel gezeichnet und erläutert."
Ein Jahr später sind noch weitere Teams hinzugekommen – etwa Chemie Leipzig, Motor Mitte Karl-Marx-Stadt und Empor Possendorf. Gegen die Possendorfer Elf bestreiten Zwetkows Frauen im August 1969 ihr erstes Spiel. Sie gewinnen 2:0. Der Possendorfer Trainer zeigt sich weniger über die Niederlage als von der Reaktion des Publikums enttäuscht: "Viele Männer konnten sich nicht vorstellen, dass die Mädchen überhaupt den Ball treffen würden. Die wollten nur sehen, wie die Brüste wackeln. Natürlich wurde auch der Trikottausch auf dem Platz gefordert."
Kein Verbot – aber auch keine Unterstützung
Auch wenn der Frauenfußball in der DDR nicht verboten ist, als nicht-olympische Disziplin wird er aber auch nicht gefördert. Trainingscenter und Sportclubs bleiben den Fußball spielenden Frauen verwehrt. Sie organisieren sich deshalb in Betriebssportgemeinschaften (BSG). Die sogenannten Trägerbetriebe, denen die Vereine angeschlossen sind, kümmern sich um Ausrüstung und stellen die betriebseigenen Sportplätze zur Verfügung.
Das Interesse der Frauen am Fußball ist in jenen Jahren enorm. Ende 1971 gibt es schon 150 Frauen-Teams, aber keinen organisierten Spielbetrieb. Gegnerische Mannschaften müssen per Annonce gesucht werden. Meistens finden Spiele zu Volksfesten oder vor Ligaspielen der Männer statt. Den Funktionären des DDR-Fußballverbandes (DFV) bleibt der Enthusiasmus der Kickerinnen nicht verborgen, vor allem nicht die steigende Zahl der weiblichen Vereinsmitglieder.
Regeln für den Frauenfußball
1971 nimmt der DFV den Frauenfußball in seine "Spielordnung" auf und legt darin die Regeln fest: gespielt wird zwei Mal 30 Minuten, das Mindestalter der Spielerinnen muss 16 Jahre betragen und ein "einsatzfähiger weiblicher Schiedsrichter" gestellt werden. Bei Temperaturen unter Minus fünf Grad darf überhaupt nicht gespielt werden. Festgelegt wird außerdem, dass "der Wettspielbetrieb nicht über den Bezirksbereich hinausgehen" darf. An eine reguläre Meisterschaft ist überhaupt nicht zu denken.
Spitzenverein Turbine Potsdam
"Gründen Frauen-Fußball-Mannschaft. Bitte melden. Im Klubhaus Walter Junker. BSG Turbine Potsdam, Sektion Fußball." Dieser Aufruf hängt im März 1970 im Klubhaus des VEB Energieversorgung Potsdam. Wer den Zettel geschrieben hat, weiß keiner. Aber 30 Frauen finden sich ein. Bernd Schröder, Abteilungsleiter im Energiekombinat, ist an diesem Abend zufällig im Klubhaus. Man fragt ihn, ob er das Training der Mannschaft übernehmen würde.
Schröder sagt: "Ja, aber nur für eine Übergangszeit". Das erste Spiel von Turbine Potsdam findet bereits zwei Monate später statt. Gegner ist die BSG Empor Tangermünde. Schröders Frauen gewinnen und die "Brandenburgischen Neuesten Nachrichten" konstatieren: Es "zeigte sich, dass die Mädchen und Frauen durchaus Verständnis und Geschick für das Fußballspielen aufbringen."
Die "Goldenen Jahre" des DDR-Frauenfußballs
Ende der 1970er-Jahre ändern die Sportfunktionäre ihre Haltung. Sie beschließen, ab 1979 eine "Bezirksbestenermittlung" einzuführen sowie eine "DDR-Besten-Frauenmannschaft" ermitteln zu lassen. Eine reguläre Meisterschaft soll die "Bestenermittlung" allerdings nicht darstellen, denn dafür müssten auch gesonderte Mittel bereitgestellt werden. Den Sportfunktioniären graut aber vor der Vorstellung, auch noch für Busse und Sportausrüstung der Fußballfrauen aufkommen zu müssen.
Acht Jahre später der Durchbruch: Die Sportfunktionäre geben ihre Zurückhaltung gegenüber dem Frauenfußball auf. Eine DDR-Frauenfußball-Oberliga nimmt mit der Saison 1987/88 ihren regelmäßigen Spielbetrieb auf. Unangefochtene Spitzenteams sind BSG Rotation Schlema und Turbine Potsdam.
Keine Spiele gegen Westmannschaften
In den 1980ern spielen die Fußballerinnen der DDR auch auf internationalen Turnieren, allerdings ausschließlich in den "sozialistischen Bruderstaaten". Spiele gegen Mannschaften aus dem Westen sind in jedem Falle verboten. Da bei diesen Turnieren aber auch westdeutsche Teams antreten, müssen die Trainer trickreich vorgehen. Bernd Schröder streicht deshalb öfter Teams aus dem Westen von der dem DFV vorzulegenden Liste. So kommt es, dass Turbine Potsdam auch gegen den AC Mailand und PSV Eindhoven spielt. Als herauskommt, dass Schröder die Teilnehmerliste gefälscht hat, wird er für ein Jahr gesperrt. Wie unsinnig das war, weiß er: "Wir dürfen da nicht spielen, weil irgendeine Mannschaft aus Italien dabei ist, denen wir fünfzehn Dinger einkippen."
Das erste und einzige Spiel der Frauen-Nationalmannschaft
Das erste Länderspiel ist für den 9. Mai 1990 in Potsdam-Babelsberg gegen die Tschechoslowakei anberaumt. Bernd Schröder, der neben Turbine Potsdam auch noch die Damennationalmannschaft trainiert, bereitet seine Frauen monatelang auf dieses Spiel vor. Es wird ihnen alles geboten: Adidas-Bälle, Kunstrasen, ZDF-Torwand und Joghurt aus dem Westen. Schröder selbst reist sogar ins Nachbarland, um die Gegnerinnen besser einschätzen können, denn ihm ist klar: "Wir wissen nicht, wo wir mit unserer Mannschaft international stehen."
Während der Gegner schon auf 183 Länderspiele zurückschauen kann, ist es für die DDR eine Premiere. Während des Spiels zeigt sich bald, dass die DDR-Frauen den Spielerinnen der Tschechoslowakei in keiner Weise gewachsen sind. Das erste und letzte Spiel endet für die DDR-Auswahl 0:3. Der Trainer zeigt sich enttäuscht: "Ich muss sagen, wir haben heute unseren Gegner selbst stark gemacht, indem wir nicht die Leistung individuell gebracht haben, die wir unseren Spielern eigentlich zutrauen können."
Entwicklung nach 1990
Mit dem Ende der DDR beginnt dort eine schwierige Zeit für den Frauenfußball: Die Betriebe, die bislang die notwendigen Mittel bereit gestellt haben, kämpfen ums Überleben. Die Vereine selbst müssen quasi über Nacht unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten, was zunächst erstmal heißt, dass ihre Leistungsträgerinnen zu zahlungskräftigen Westvereinen wechseln. In die Bundesliga schaffen es 1990 nur der USV Jena und Wismut Aue (ehemals Rotation Schlema). Nach einer Saison steigen sie jedoch wieder ab.
Turbine Potsdam avanciert zu einem Spitzenteam
Turbine Potsdam, der erfolgreichste Club der untergegangenen DDR, avanciert nach langen Jahren des Aufbaus der Mannschaft zu einem internationalen Spitzenteam. Die Potsdamerinnen werden mehrfach deutscher Meister und Pokalsieger und gewinnen sogar zweimal die Champions League. "Einfach, unprätentiös, etwas frech und immer auch ein bisschen Außenseiter, trotz aller Erfolge", schreibt die Hamburger "Zeit" über den ostdeutschen Traditionsclub.
(Quelle: Matthias Koch: Frauenfußball in der DDR und was daraus wurde - In: Rainer Hennies, Daniel Meuren, Frauenfußball. Verlag die Werkstatt, Göttingen 2009)
(Dieser Artikel wurde erstmals 2011 veröffentlicht.)