Lexikon Kabarett
Hauptinhalt
Kabarettpolitik | Satire
01. Februar 2011, 10:32 Uhr
Kabarettisten wurden vom Publikum als Volkshelden gefeiert. "Die trauen sich was..." war als bewundernde Zustimmung zu hören. Auf der Bühne wurde das gesagt, was die Bevölkerung landauf und landab bewegte, ärgerte und was sonst nie offen kritisiert werden durfte: Bürokratie, Personenkult, Schönfärberei oder Versorgungs-Engpässe...
Inhalt des Artikels:
- Kabarettpolitik: Der Staat bezahlt seine Kritiker
- Laiengruppen oft frecher als Berufskabaretts
- Berufskabaretts waren meist Einrichtungen der jeweiligen Städte...
- Kabarett-Inhalte waren regional sehr unterschiedlich
- Verhaftungen in den ersten Jahren, später straffe Zensur
- Bevorzugte Themen: Bürokratie, Versorgungs-Engpässe, Handwerk und Gastronomie
Das "sich vor Lachen auf die Schenkel klopfen" hatte etwas ungemein Befreiendes. Das Lachen verband die Leute im Publikum und die Darsteller auf der Bühne. Plötzlich wusste man, die anderen denken ja auch so... Aber dieses Gefühl hatte Wartezeit. Zwei bis fünf Jahre stand man auf der Warteliste für eine Eintrittskarte zum Programm eines Spitzenkabaretts. Der Hauch von Meinungsfreiheit wehte allerdings nur zart.
Kabarettpolitik: Der Staat bezahlt seine Kritiker
Kritik, Satire, Opposition sind Schlagworte, die dem Kabarett eigen sind. Das galt auch für die DDR-Kabaretts. Doch im Unterschied zu anderen Ländern war auch das Kabarett zentral initiiert, organisiert und kontrolliert. Der Staat selbst bezahlte, förderte und verwaltete seine Kritiker. Das brachte die Kabaretts in das Spannungsfeld der Anforderungen an ihr Metier und der ihnen übergeordneten Organisationen.
Das Kabarett galt als ein staatlich genehmigtes Ventil. Es war staatlich, regional, städtisch oder betrieblich geleitet. Laien- und Berufskabarette waren strukturell getrennt. Die Laienkabarette gehörten in den Bereich des "Künstlerischen Volksschaffens", das vom Zentralhaus für Kultur in Leipzig koordiniert wurd, Kabarett-Treffen und Gastspiele organisierte und die Produktionen überwachte. Sie wurden in der frühen DDR ins Leben gerufen und vom Kulturetat der VEBs gefördert. Nicht selten dienten sie als "Kabarettschmieden" für die Berufskabaretts oder gingen aus ihnen hervor.
Laiengruppen oft frecher als Berufskabaretts
So entstand die "Distel" als erstes Berufskabarett 1953 aus der Laiengruppe "Kleine Bühne" um Erich Brehm. Anfänglich sollten die Betriebskabaretts, vor allem in der Phase der stark pädagogischen Ausrichtung des Kabaretts, für die satirische Abstrafung schludriger Arbeit zuständig sein. Sie entwickelten sich aber wie fast alle Laiengruppen allmählich zu beachtlichen Ensembles, die zu allen Themen des gesellschaftlichen und politischen Lebens Stellung nahmen und oftmals auch frecher auftreten konnten als ihre Profi-Kollegen.
Berufskabaretts waren meist Einrichtungen der jeweiligen Städte...
Die Berufskabaretts waren in der Regel beigeordnete Einrichtungen der Städte. Es gab aber auch regionale Unterschiede in dem, was den Kabaretts an kritischen Aussagen erlaubt wurde. So gab es Bestrebungen, das Kabarett im 1973 gegründeten Komitee für Unterhaltungskunst zu zentralisieren. Jedoch war dessen direkter Einfluss nur gering. Das Komitee erfüllte eher die Aufgabe, ideologische Maßgaben für die verschiedenen Bereiche der Unterhaltungskunst zu entwickeln und zu verbreiten.
Die kulturpolitische Umsetzung überließ man den Stadt- und Bezirksleitungen. Das Kabarett wurde organisatorisch auch in den Verband der Theaterschaffenden eingebunden: Seit 1986 gab es hier eine Sektion Kabarett unter dem Vorsitz des bekanntesten Kabarett-Autors der DDR, Peter Ensikat.
Kabarett-Inhalte waren regional sehr unterschiedlich
Die 1979 eingerichteten Werkstatttage in Gera für das Berufskabarett, die vor allem von kabaretttheoretischen Themen bestimmt wurden, dienten der zentralen Beeinflussung, ebenso wie Belehrungen und Schulungen. Gastspiele und Tourneen wurden von der zunächst staatsweiten, dann bezirklich geleiteten Konzert- und Gastspieldirektion organisiert und kontrolliert, Fahrten ins Ausland dagegen von der staatlichen Künstler-Agentur veranstaltet.
Gastspiele im "Nichtsozialistischen Währungsgebiet" bildeten aber auch für die Kabaretts die Ausnahme. Die Fragen nach alltäglichen Problemen und Organisationsbedürfnissen wurden auf der kommunalen Ebene abgewickelt, das betraf vor allem die inhaltliche Leitung und Überwachung der kabarettistischen Arbeit.
Verhaftungen in den ersten Jahren, später straffe Zensur
Trotz der staatlich genehmigten Ventilfunktion für das Volk stand ohne Zweifel das Kabarett neben der Literatur im Blickpunkt der Zensur. Ganze Programme, aber auch einzelne Sketche, Textpassagen oder auch nur einzelne Worte wurden beanstandet. Dies wurde in den meisten Fällen auf der regionalen Ebene geklärt, doch konnten missliebige Äußerungen auch schnell die höchsten Kreise beschäftigen.
Vor allem in den ersten Jahren der DDR wurden Kabarettisten auch verhaftet: Peter Sodann wurde 1963 für seine Aktivitäten im Rahmen der Kabarettgruppe "Rat der Spötter" für zwei Jahre wegen "Aufruf zur Konterrevolution und staatsfeindlicher Hetze" inhaftiert. Aber auch später fanden noch Verhaftungen statt: 1979 wurde der Satiriker und Mitbegründer des Geraer "Fettnäppchens", Manfred Bartz, ebenfalls aufgrund "staatsfeindlicher Hetze" in Gewahrsam genommen und nach kurzer Haft in den Westen abgeschoben.
Das Kabarett war den Organen der DDR so lieb (1989 gab es 12 Berufskabaretts und rund 600 Laiengruppen), dass sie es immer weiter ausbauen wollten, aber wiederum nicht so lieb, dass es über die Medien massenwirksam verbreitet werden sollte. Trotzdem konnte die Popularität einer "Pfeffermühle" in Leipzig oder einer "Herkuleskeule" in Dresden vor allem durch Mundpropaganda so verstärkt werden, dass es nicht ungewöhnlich war, auf Karten ein bis fünf Jahre warten zu müssen.
Bevorzugte Themen: Bürokratie, Versorgungs-Engpässe, Handwerk und Gastronomie
Thematisch ging man mit Attacken gegen Herzlosigkeit, Bürokratismus und Schlamperei und kleinbürgerliche Borniertheit vor - also Problemen des Alltags und der Innenpolitik. Im Mittelpunkt stand also nicht so sehr die geforderte Beschäftigung mit dem "Klassengegner" und der "Freundschaft mit der Sowjetunion". Vielmehr wurden diese in ihrer Plattheit auf den Arm genommen.
Besonders breiten Raum nahm die Beschäftigung mit wirtschaftlichen Themen ein, etwa Handel und Versorgung, Dienstleistungen, hier vor allem das Handwerk und die Gastronomie. Andere Themenbereiche waren Reisen, Kultur, Ausbildung, Stasi, Medien, Sport, Technik, Jugend, Frauen und natürlich auch der Westen.