Die DDR und Israel im Kalten Krieg Antizionismus als Staatsräson
Hauptinhalt
18. Juni 2024, 14:00 Uhr
Israel als Heimat für die Opfer antisemitischer Verfolgung, insbesondere durch den deutschen Faschismus, wäre eigentlich prädestiniert für eine intensive Zusammenarbeit mit dem erklärten entnazifizierten und antifaschistischen Staat der DDR gewesen. Doch die Realität sah anders aus. Weder Regierung noch Medien lassen kaum eine Gelegenheit aus, sich gegen den "Aggressorstaat" Israel zu positionieren. Antizionismus wird zur Staatsräson und prägt die deutsch-israelische Beziehung bis zum Ende der DDR.
Der Staat Israel in den DDR-Medien
Es ging immer um die richtige Seite in der DDR. Bist Du für oder gegen uns? Für Frieden, Freiheit und Sozialismus oder Teil eines opponierenden, spalterischen Kerns? Auch im Hinblick auf die Existenz und Haltung zum Staat Israel konnte es keine zwei Meinungen geben. Und das fast über die gesamte Dauer der Existenz der DDR hinweg. Trotzdem: Die Brachialität, mit der aus SED-Druckpressen und Rundfunk-Stationen immer wieder gegen Israel ausgeteilt wurde, überrascht.
Araber sind für diese zionistischen Rassisten ‚Untermenschen‘ und Palästinenser gibt es für sie überhaupt nicht, wie Golda Meir einmal gesagt hat. Da ist es nur ein Schritt bis zur ‚Endlösung‘, zum Holocaust.
Der Name des Mannes, der diese Worte im September 1982 via DDR-TV hinaus in die Welt schickte: Karl Eduard von Schnitzler, 30 Jahre oder 1519 Sendungen lang Gesicht und Stimme einer Agitationsmaschine: "Der Schwarze Kanal". Dieser Mann, dessen ganze Energie sich im Verächtlichmachen westdeutschen Politik- und Medienbetriebs austobte, kam des Öfteren auch auf Israel zu sprechen. Und wenn es dazu kam, wurde es krude. Zwar gab es wenig, was das gelernte DDR-Publikum "Sudel-Ede" nicht zutraute - doch die Politik Israels als "jüdischen Faschismus" zu verunglimpfen, der nichts weniger im Sinn habe, als einen "eigenen Holocaust" ins Werk zu setzen – das ist im wahrsten Sinne des Wortes: abgründig.
Täter-Opfer-Umkehr
Mit schier unerschütterlicher Redundanz bemühte Schnitzler in Sachen Israel NS-Vergleiche und eine Täter-Opfer-Umkehr. (…) Die Antizionismus-Polemik, so sehr sie auch vorgibt von antisemitischen Motiven bereinigt zu sein, trägt bei Schnitzler offen antisemitische Züge, da Antizionismus lediglich als Containerbegriff diente.
2019 hat der Historiker Clemens Escher sich durch die unzähligen Sendemanuskripte des "Schwarzen Kanal" durchgearbeitet, die sich mit Israel befassen und dabei immer wieder entdecken müssen, wie unter der Oberfläche scheinbarer Systemauseinandersetzung ("dieselben monopolkapitalistischen Kräfte") sich eine Art "Israelisierung des Antisemitismus" Bahn bricht. Bis heute wird die Täter-Opfer-Umkehr und das antisemitische Narrativ von Israel als "dem Juden unter den Staaten der Welt" von diversen politischen Gruppen benutzt und aufgewärmt. Doch haben die Tiraden rechtsextremer und islamistischer Israelhasser mit der rhetorisch aufmunitionierten SED-Staatspropaganda wirklich etwas gemein?
Tatsächlich haben DDR-Medien kaum eine Gelegenheit ausgelassen, den "Aggressorstaat" Israel anzugreifen, ihm "Völkermord" vorzuwerfen oder wie Karl Eduard von Schnitzler eine eigene Version der "Endlösung" der Palästinenserfrage. Gleichzeitig stand jedoch nie in Frage, dass es einen Holocaust gab, dass Jüdinnen und Juden im 2. Weltkrieg millionenfach von Deutschen umgebracht wurden und dass viele derjenigen, die im Staat Israel ein neues Zuhause fanden definitiv Opfer nationalsozialistischer Verbrechen waren. Wie also kommt ein sich in den Grundfesten "antifaschistisch" wähnender Staat dazu, diese Opfer derart massiv als "Täter" anzugreifen? Und war das tatsächlich von Beginn an so?
Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde
Die Zusammenhänge sind wie so häufig etwas komplizierter und sie beginnen zur großen Überraschung sogar mit einer heute fast vergessenen Liaison. Denn ganz am Anfang wähnten sich europäische Kommunisten den Gründerinnen und Gründern des Staates Israel ziemlich nah.
Als man 1947 in der UNO über die Teilung des britischen Mandatsgebiets Palästina debattierte, unterstützte ziemlich überraschend die Sowjetunion die Idee der Gründung eines jüdischen Staates im Nahen Osten. Als Konsequenz aus dem Holocaust und angesichts der Tatsache, dass kein Staat sich in der Lage sah, die Millionen vom Tode bedrohten Jüdinnen und Juden zu schützen, sicherte Andrei Gromyko (bis 1985 das außenpolitische "Gesicht" der Sowjetunion) im Namen seines Landes diesem Plan Unterstützung zu.
Nichts hatte uns auf diesen Glücksfall vorbereitet. … Moskau kehrte seine traditionelle Haltung um und schlug die Option eines jüdischen Staates vor. (…) Man brauchte kein romantischer Optimist mehr zu sein, um einen zionistischen Erfolg vorauszusehen. Gromyko war ein zionistischer Held geworden.
Schon damals spielte freilich das strategische Interesse an einem möglichen neuen Verbündeten im Nahen Osten unausgesprochen die entscheidende Rolle. Denn es gab bekanntermaßen unter den Zionisten diverse, linken sozialistischen Ideen aufgeschlossene Gruppen wie z.B. die Kibbuz-Bewegung. Mit ihrer Hilfe, so die Taktik Moskaus, könnte man auch im bislang vor allem vom Britischen Empire dominierten Nahen Osten politisch Raum und neue Verbündete gewinnen.
Und der Kreml beließ es nicht bei Worten. Denn als der neue jüdische Staat von seinen arabischen Nachbarn sofort angegriffen wurde, ließ man ihm via Prag Waffen zur Verteidigung zukommen.
Echo der Moskauer Geopolitik in Ostdeutschland
Dieser sozialistische Schulterschluss mit den heftig umworbenen neuen jüdischen Partnern im Nahen Osten musste ganz nach Maßgabe der sozialistischen Internationale natürlich auch in Ost-Berlin gesucht werden. Und so schreibt ein damals noch recht unbekannter, erst vor kurzem aus Hamburg übergesiedelter Publizist Anfang 1949 in der "Weltbühne":
Das junge Israel entwickelte ungeahnte Kräfte. Es trieb die am Tage der Staatsgründung von allen Seiten ins Land eingefallenen arabischen Armeen zurück nach Transjordanland, Saudi Arabien und Ägypten. […]. Berater des ägyptischen Generalstabs sind ehemalige Stabsoffiziere des Afrikakorps. Unter den Truppenführern finden wir den SS-Gruppenführer Katzmann, der einst in Polen eine Sonderpolizeidivision befehligt hat und Spezialist war für die Ausrottung von Juden. Heute führt er Krieg gegen Israel. […] man muß sich einmal vorstellen, was es bedeutet, wenn heute Verbrecher gegen die Menschlichkeit, die Hunderttausende von Juden auf dem Gewissen haben, statt vor Gericht an der Spitze einer Armee stehen und sie wiederum gegen Juden führen dürfen.
Der Name des Autors: Karl Eduard von Schnitzler. Seine Sympathien muss er recht schnell ad acta legen. Nachdem wenig später im gesamten stalinistischen Machtbereich "zionistische" Maulwürfe gesucht werden. Menschen, vor allem Genossen jüdischer Herkunft gelten vielerorts plötzlich als Agenten des Imperialismus. Der Beginn einer sozialistischen antisemitischen Kampagne.
Antisemitische Kampagnen der 1950er
Einer der Auslöser dafür war eine Paranoia Stalins, der kurz vor seinem Tod glaubte, die mehrheitlich jüdischen Ärzte seines Landes würden ein Komplott zur Ermordung der Sowjetführung schmieden. Hinzu kam das ohnehin bereits in kommunistischen Parteikreisen grassierende Misstrauen gegenüber Genossinnen und Genossen, die zu viel Zeit im westlichen Ausland verbrachten. Diese "Kosmopoliten" genannten Männer und Frauen seien besonders unter den Jüdinnen und Juden zu finden.
Ihre "Andersartigkeit" wurde in der Sowjetunion präventiv dokumentiert. Denn in den Pässen ist "evrej“- „jüdisch" dort nicht als Konfession, sondern in der Spalte "Nationalität" speziell erfasst. 1952/53 erlebt die kommunistische Hetzwelle ihren Höhepunkt. Sie geht einher mit Parteiausschlüssen, Verhaftungen und Prozessen, an deren Ende Todesurteile und langjährige Haftstrafen stehen. Insbesondere der Prager "Slansky-Prozess" geht dabei in die Geschichte ein. Im Gefolge dieser Hetzjagden verlassen auch in der DDR circa ein Drittel der rund 5000 hier lebenden oder hierher zurückgekehrten Jüdinnen und Juden das Land.
Die Säuberung vom Winter 1952/53 stellte die entscheidende und unumkehrbare Wende in der Behandlung jüdischer Belange und der Politik der Erinnerung in Ostdeutschland dar.
Reparationsforderung Israels - ein Affront für die DDR
All diese Entwicklungen blieben selbstverständlich auch in Israel nicht unbeobachtet. Und so ging die junge jüdische Presse, trotz der anfänglichen Unterstützung aus dem Kreml, sehr früh auf Distanz zu Stalin und zum Stalinismus der neuen Ost-Block-Staaten. Wobei der DDR dabei immer eine Sonderrolle zukam und umgekehrt.
Spätestens 1951, mit Israels erster Übermittlung von Reparationsforderungen an beide Nachfolgestaaten des nationalsozialistischen Deutschlands, begann in dieser Hinsicht eine neue Ära. Für die SED ging es fortan nicht mehr länger nur darum, ob und wie die Reihen innerhalb der sozialistischen Staatenfront im Verhältnis zu Israel geschlossen werden, sondern mit dem Vorstoß der israelischen Führung stand auch das eigene Selbstverständnis als Nation zur Debatte.
Die DDR-Führung empfand die israelischen Forderungen als Affront. Denn in punkto Reparationen für erlittenes Leid und Unrecht jüdischer Bürgerinnen und Bürger sah man sich selbst als komplett falscher Adressat. Schließlich, so die über Jahrzehnte wiederkehrenden Erwiderungen, habe die DDR in ganz eindeutiger Weise die Lehren aus der Geschichte gezogen und den wahren Ursprung allen Übels und speziell des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen bei der Wurzel gepackt.
Aus Sicht der sozialistischen Einheitspartei sind dafür nämlich allein die deutsche Großindustrie, das Finanzkapital und ein paar politische Handlanger verantwortlich. Nicht aber Millionen deutscher Frauen und Männer, die am Ende selbst unter diesem Regime zu leiden gehabt hätten.
Mit der 1949 in der DDR erfolgten Verstaatlichung aller Großbetriebe dieses verbrecherischen Kapitals und der Enteignung von Großgrundbesitzern habe man deutlich gezeigt, dass und wie die DDR Verantwortung trage. Dass parallel dazu, sich die Bundesrepublik 1952 mit Israel und der Jewish Claims Conference auf die Zahlung einer Summe von mehr als drei Milliarden DM an Reparationszahlungen verständigt, wird von DDR-Seite nur höhnisch kommentiert. Beziehungsweise ordnen SED-Propagandisten wie Karl Eduard von Schnitzler westdeutsche Zahlungen und Waffenlieferungen an Israel passgenau in ihr Weltbild ein.
Dieselben monopolistischen Kräfte, die einst den Antisemitismus bis auf die Spitze von Auschwitz, Maidanek und Theresienstadt trieben (und selbst daran noch profitierten!) – dieselben rüsten jetzt Israel auf und aus; nicht aus schlechtem Gewissen, nicht aus 'Wiedergutmachung', sondern weil der Staat Israel dieselbe Klassenposition einnimmt.
Veränderungen durch die Wirtschaftskrise der 1970er
Für Israel war diese Haltung aus nachvollziehbaren Gründen indiskutabel. Und so setzten sich israelische Regierungen bis 1973 immer wieder explizit gegen eine Aufnahme der DDR in die UNO ein. Nicht zuletzt auch deshalb, da die DDR sowohl offen als auch versteckt, Israels "Feinde" – von der Fatah bis zu arabischen Staaten, die gegen Israel Krieg führten - politisch, militärisch und logistisch unterstützte, um dadurch internationale Anerkennung zu erlangen.
Bei diesem Status Quo wäre es möglicherweise auch geblieben, hätte die DDR-Führung ab Mitte der 1970er Jahre nicht immer größere Löcher in der Staatskasse bemerkt. Mit der Ölkrise 1973 und der sich dadurch wandelnden Ressourcen-Politik des Großen Bruders in Moskau (Öl und Gas-Rationierung) war das Land dringend auf neue Märkte und Devisen angewiesen und suchte neue Zugänge im Außenhandel. Und entdeckte das Thema Jüdische Reparationszahlungen dabei für sich neu.
Biete Geld, Fordere Marktzugang
In den USA war die von der DDR erwünschte Erleichterung der Handelsbeziehungen fest gekoppelt an die von der Jewish Claims Conference (JCC) erhobenen Reparationsforderungen. Seit 1974 bereits fanden deshalb hinter verschlossenen Türen und auf Geheiß Erich Honeckers Verhandlungen statt, die jedoch nicht recht vorankamen. Das lag nur bedingt daran, dass die DDR materiell klamm war. Denn offiziell sah man sich selbstverständlich weiterhin weder völkerrechtlich noch moralisch zu irgendwelchen Wiedergutmachungen verpflichtet. Doch aus humanitären Gründen, so die neue offizielle Formel, wäre man durchaus bereit, in Not geratenen jüdischen Opfern des Naziregimes finanziell unter die Arme zu greifen.
Um zu zeigen, wie ernst es der DDR mit der neuen Rolle als humanitärer Anwalt jüdischer Opfer war, wurde spätestens ab 1987 alles gegeben. Jüdische Gemeinden in der DDR empfingen mit einem Mal neue, bislang nie gekannte Unterstützung und Aufmerksamkeit. Der Rabbi Israel Miller, Präsident der Conference on Jewish Material Claims against Germany, wurde von Erich Honecker persönlich empfangen. Eine wissenschaftliche Zusammenarbeit mit der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem angebahnt. Und 1988 lädt die DDR-Führung aus Anlass des Gedenkens an die Novemberpogrome tatsächlich zum ersten Mal auch einen Vertreter Israels offiziell ein.
Weder politisch noch wirtschaftlich haben all diese Annäherungsversuche letztlich genutzt. Zu groß war die über Jahre aufrechterhaltene aggressive Distanz. Zu offenkundig Erich Honeckers klamme Kassen und die Sehnsucht nach mehr internationalem Renommee. Und so blieb es denn erst seinen Nachfolgern im Staatsrat, Hans Modrow und Lothar de Maiziere vorbehalten, den Weg für echte Wiedergutmachungsverhandlungen und diplomatische Beziehungen mit dem JCC und dem israelischen Staat freizumachen.
Dieser Artikel erschien erstmals im Januar 2024 und wurde im Juni 2024 aktualisiert.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 12. November 2023 | 19:00 Uhr