"Freibeuter"-Politik im Namen Palästinas Wie die DDR Jassir Arafat bei seinem Aufstieg half

10. Januar 2024, 11:58 Uhr

Zwischen 1970 bis 1989 hegt die DDR eine geschäftlich-freundschaftliche Beziehung zur Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Hinter diesem Kontakt steht eine gewollte Nahost-Strategie Moskaus: Der Kreml braucht mittelfristig einen neuen Akteur, nachdem der sicher geglaubte Bündnispartner Ägypten eigene Wege geht. Besonders der Kopf der PLO, Jassir Arafat, gilt für den Kreml als idealer Kandidat.

Jassir Arafat: Ehrengast der DDR

Jugendliche bilden eine Freundschaftskette auf der Karl-Marx-Allee anlässlich der 10. Weltfestspiele in Berlin 1973
Jugendliche auf der Karl-Marx-Allee anlässlich der 10. Weltfestspiele in Berlin 1973. Bildrechte: IMAGO

Am 28. Juli 1973, dem Eröffnungstag der "Weltfestspiele der Jugend" steht er inmitten zahlreicher Hut-und Anzugträger und wenige Meter von Erich Honecker entfernt: Jassir Arafat. 43 Jahre alt, gelernter Elektrotechniker, seit 1969 Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), ist für alle sichtbar oben angekommen. Ganz real, auf dieser Ostberliner Ehrentribüne eines sozialistischen Polit-Pop-Spektakels. Doch vor allem sinnbildlich: Denn ab jetzt ist er Teil dieser internationalen Riege politischer Ehrengäste, mindestens des sozialistischen Staats-Blocks.

Neue Richtung der DDR-Außenpolitik

Dabei wirkt Arafat eher wie ein schillernder Show-Sidekick. Seine Anwesenheit ist Ausdruck knallharten politischen Kalküls und geostrategischen Interessen. Auch Erich Honecker, der neue "Erste Sekretär der SED" stellt sich und die DDR mit dieser Eröffnung deutsch-palästinensischer Beziehungen außenpolitisch neu auf.

Die Türen zu Israel bleiben fest verschlossen

Staatsratsvorsitzender Erich Honecker re., DDR/SED empfängt Yasser Arafat PLO Chef in Berlin Ost
Die Verbindung zwischen der DDR und PLO gehörte zu einer neue Nahost-Strategie Moskaus und war wohl kalkuliert. Bildrechte: imago images/Werner Schulze

Einen Monat nachdem Willy Brandt als erster Bundeskanzler offiziell nach Israel reiste, lädt Erich Honecker für alle sichtbar zum PLO-Rendezvous ein und markiert damit seine außen-politische Orientierung für die nächsten Jahre. Wohl wissend und kalkulierend, dass alle Türen Richtung Israel fest verschlossen bleiben. Doch - unbemerkt von der Öffentlichkeit - ist dieser Moment im Juli 1973 noch etwas anderes: Nämlich Startpunkt einer neuen Ära in der DDR. Denn ab diesem Zeitpunkt wird das ostdeutsche Territorium zu einem wichtigen strategischen Fixpunkt des pälastinensischen Terrorismus.

Attentat bei den olympischen Spielen 1972

Am 5. September 1972, elf Monate bevor Jassir Arafat in Ost-Berlin lässig die Bühne besteigt, starren Menschen weltweit fassungslos auf Fernsehbildschirme. Inmitten der Olympischen Sommerspiele von München dringt eine Gruppe bewaffneter Palästinenser ins Olympia-Dorf ein und nimmt elf Geiseln. 20 Stunden später sind diese israelischen Sportler tot. Gestorben beim dilettantischen Versuch einer Gefangenenbefreiung. Der Anschlag, ausgeführt mit dem Ziel, 232 palästinensische Gefangene in Israel und zwei RAF-Terroristen freizupressen, endet in einem Blutbad.

BND vermutet Arafat hinter dem Anschlag

Verantwortlich für dieses Attentat zeichnet eine nicht näher bekannte palästinensische Gruppe namens "Schwarzer September". Bereits im Herbst 1972 vermuten bundesdeutsche Ermittler, dass die palästinensische Guerilla-Organisation "Fatah" dahintersteckt. Kopf dieser Vereinigung: Jassir Arafat. Offiziell hat er nichts mit diesem und weiteren Attentaten der Gruppe zu tun. Doch finden sich über die Jahre vermehrt deutliche Hinweise. Dokumentiert auch in Akten der DDR-Staatssicherheit.

Doppeltes Spiel der DDR

Nach dem Attentat von München distanziert sich die DDR vorerst von dieser Politik des palästinensischen Terrorismus. Nur um wenig später jedoch politisches Kapital aus der Situation zu schlagen. Denn tatsächlich verbirgt sich hinter den inoffiziell anhaltenden Kontakten zu Arafat eine neue Nahost-Strategie Moskaus: Der Kreml braucht dort mittelfristig einen neuen Akteur, nachdem der alte, sicher geglaubte Bündnispartner Ägypten eigene Wege ging. Und Arafat, so sehen es 1973 Breschnew und Co., ist ein neuer charismatischer Mann an der Spitze der PLO, mit dem man langfristig punkten könnte im Kampf um politische und territoriale Einflussnahme in Nah-Ost.

Daher werden ab Frühjahr 1973 im SED-Politbüro emsig Vorbereitungen getroffen, um die politische Zusammenarbeit mit der PLO zu vertiefen und die Organisation bei einer Partnerschaft mit erheblichen materiellen Zuwendungen seitens der DDR zu unterstützen. So zum Beispiel Tausenden von Maschinenpistolen und 50 "schweren Sprengsätzen".

Fatah: Israel hat keinerlei Existenzrecht

David Ben-Gurion verkündet 1948 in Tel Aviv vor Mitgliedern der jüdischen Ratsversammlung die Gründung des Staates Israel.
David Ben-Gurion verkündet 1948 in Tel Aviv vor Mitgliedern der jüdischen Ratsversammlung die Gründung des Staates Israel. Bildrechte: picture-alliance / dpa/dpaweb

Trotzdem bleibt ein Problem: Wie umgehen mit Arafats politischer DNA? Seiner Rolle als Anführer und Wegbereiter der Fatah. 1959 in Kuwait gegründet, ist die Fatah seit Anfang der 70er-Jahre, der wichtigste Player innerhalb der PLO. Und einer, dessen Strategie seit 1964 klar festgelegt ist: Ausrottung der ökonomischen, politischen, militärischen und kulturellen Existenz des Zionismus. Israel als Staat hat für die Fatah keinerlei Existenzrecht.

"Was Terrorismus ist, bestimmen immer noch wir"

Wie man mit dieser kruden und ziemlich explosiven Mischung palästinensischer "Befreiungskrieger" in der DDR umgehen sollte, diese Frage beschäftigt das SED-Politbüro und die Staatssicherheit ab 1973 bis zum Ende der DDR. Denn bereits kurz nachdem die PLO ihr Lager in Ost-Berlin aufschlägt, häufen sich Anzeichen, dass Anschläge und Anschlagspläne im "imperialistischen" Sektor nebenan nun auch vom Territorium der DDR aus geplant und gesteuert werden.

Waren die Terrorzellen der Fatah dann nicht für die DDR eher ein Problem? Aus Sicht des MfS und der SED nur dann, wenn "eine Kompromittierung bzw. Diskreditierung der DDR in diesem Zusammenhang" nicht ausgeschlossen werden konnte.

Terrorismus war nach ostdeutscher Meinung dann Befreiungskampf, wenn das MfS von einer Tat wusste und in die Pläne eingebunden war.

Historiker Lutz Kreller

Ironie der Geschichte

Als Ende der 1970er-Jahre immer sichtbarer wird, dass Erich Honecker seine Nahost-Politik am syrischen Machthaber Baschar al-Assad ausrichtet, Jassir Arafats größtem Widersacher, übt sich auch der PLO-Chef in einer neuen, deutsch-deutschen Doppelstrategie.

Neben den weiterlaufenden Verbindungen zum MfS und Parteiapparat der SED, häufen sich auch in Westdeutschland die deutsch-palästinensischen Kontakte. Sowohl auf politischer als auch sicherheitspolitischer Ebene. Unter anderem zum Bundesministerium des Innern, vertreten durch das Bundeskriminalamt. So bietet das BKA 1979 Arafats PLO und speziell dem sogenannten Sicherheitsdienst der Fatah Unterstützung an bei der Aufklärung eines Bombenattentats an. Dabei handelt es sich um niemand geringeren als Ali Hassan Salama, einer der Hauptverantwortlichen für den Anschlag von München.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR Aktuell | 12. November 2023 | 19:00 Uhr

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