Podcast | Diagnose: Unangepasst Wurden auch Männer in die Tripperburgen zwangseingewiesen?
Hauptinhalt
01. Juli 2024, 06:00 Uhr
Nicht nur Frauen wurden in die sogenannten Tripperburgen eingewiesen. Auch Männer wurden in den geschlossenen venerologischen Stationen behandelt. Mit dem Unterschied: Es betraf viel weniger Männer und sie wurden auch kürzer und nach Lehrbuch behandelt. Das zeigen wissenschaftliche Studien.
Der Geraer Wissenschaftler Maximilian Schochow hat gemeinsam mit seinem Kollegen Florian Steger die geschlossenen Männerstationen in der DDR am Beispiel von Erfurt, Dresden und Berlin untersucht. Die Studie liefert keinen Überblick über alle Stationen für Männer in der DDR, sondern einen dezidierten Einblick in drei Stationen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass deutlich weniger Männer als Frauen in die geschlossenen venerologischen Stationen eingewiesen wurden.
Bei den Männern und Frauen ist das Verhältnis eins zu zehn. Das heißt, bei 100 zwangseingewiesenen Personen sind 10 von ihnen Männer und 90 Frauen.
30 Betten für Frauen, 10 für Männer
Die Größe der geschlossenen venerologischen Stationen für Frauen und Männer unterscheidet sich und passt zu der geringeren Zahl der eingewiesenen Männer. Aus Zeitzeugenberichten ist bekannt, dass die geschlossene Station der Männer im Uniklinikum in Dresden aus einem abgeschlossenen Raum bestand mit etwa zehn Betten. Die Station der Frauen in Dresden Friedrichstadt wiederum umfasste den Zeitzeugen zufolge eine gesamte Etage. In der Hautklinik des Städtischen Krankenhauses in Erfurt, wo die geschlossenen venerologischen Stationen sich Schochow und Steger zufolge 1953 befanden, gab es auf der Station für Frauen 30 Betten, auf der Männerstation lediglich zehn.
Meist eingewiesen wegen Geschlechtskrankheiten
Die Gründe, Männer einzuweisen waren, so die Ergebnisse der Wissenschaft, überwiegend tatsächlich diagnostizierte Geschlechtskrankheiten – anders als bei den Frauen, wo zum überwiegenden Teil Einweisungen als Disziplinar-Maßnahme oder schlicht als Schikane erfolgten.
Es gibt aber auch Belege dafür, dass auch bei den Männern der Verdacht, häufig wechselnde Geschlechtspartner (HwG-Person) zu haben oder in Einzelfällen Disziplinarmaßnahmen zu einer Einweisung führen konnten. Geschildert wird von den Steger und Schochow zum Beispiel ein Fall aus den Akten von 1950, als ein renitenter Patient von der offenen Station in Zwickau in die geschlossene nach Dresden verlegt wurde - wegen "Rüpeleien".
Angst vor "zu starker Erschütterung" bei den Männern
Dass Männer weniger häufig eingewiesen wurden, ist den Wissenschaftlern zufolge damit begründet, dass Männer in der DDR als zuverlässige Patienten angesehen wurden - anders als Frauen. Frauen galten als säumig und unzuverlässig. Zudem wurde den Männern nachgesagt, weniger promisk zu sein - also weniger häufig die Geschlechtspartnerinnen zu wechseln. Diesen Befund entnehmen die Wissenschaftler mehreren wissenschaftlichen Zeitschriften der DDR und Sachberichten zwischen 1963 und 1980.
Das Sexualverhalten von Männern und Frauen wurde also unterschiedlich bewertet, wobei die Frauen als deutlich promisker galten - und damit als Infektionsüberträgerinnen für Geschlechtskrankheiten angesehen wurden. Venerologen, also Ärzte, die Geschlechtskrankheiten behandeln, versuchten zudem, Männer vor der psychischen Belastung einer Zwangseinweisung zu schützen. So steht es in der Fachzeitschrift für Militärmedizin aus dem Jahr 1963, die die Wissenschaftler Schochow und Steger zitieren. Darin wird unter anderem vor übereilten Zwangseinweisungen gewarnt, gerade weil häufig Schuldgefühle eine Rolle spielten und das könne es bei Männern “zu einer starken psychischen Erschütterung kommen”.
Männer sind meist wirklich krank
Männer und Frauen wurden also nicht nur medizinisch, sondern auch gesellschaftlich unterschiedlich behandelt. Während Männer hauptsächlich wegen diagnostizierter Geschlechtskrankheiten zwangseingewiesen wurden, fanden bei Frauen oft Einweisungen wegen "Herumtreiberei" oder "Arbeitsbummelei" statt. Diese Bezeichnungen schafften es sogar als Diagnose in die medizinischen Akten.
Für die geschlossene Station in Leipzig ist belegt, dass Zweidrittel der Frauen, die dort eingewiesen waren, nicht krank waren. Frauen wurden häufiger und unter strengen Bedingungen eingewiesen. Das deutet auf eine geschlechtsspezifische Diskriminierung im Gesundheitssystem der DDR hin.
Behandlung für Männer nach zeitgemäßen Standards
Auch für Männer bedeutete eine Zwangseinweisung in eine geschlossene venerologische Station eine erhebliche gesellschaftliche Stigmatisierung, so Schochow und Steger. Dennoch erfolgte die Behandlung der Geschlechtskrankheiten nach zeitgenössischen medizinischen Standards. Beispielsweise wurden Syphilis und Gonorrhoe (Tripper) meist mit Penicillin behandelt. In Berlin Buch dauerte eine komplikationsfreie Behandlung von Männern den Wissenschaftlern zufolge durchschnittlich 28 Tage, in Erfurt geht aus den Akten eine Behandlungszeit von 14 Tagen für eine akute wie chronische Gonorrhoe hervor. Damit entsprach die Behandlung dem damaligen Standardwerk für Dermatologie und Venerologie, Gertlers “Systematische Dermatologie”.
Anatomische Unterschiede bei Mann und Frau
In der Argumentation der damaligen Ärzte hat die unterschiedliche Behandlung auch mit anatomischen Unterschieden von Männern und Frauen zu tun. Durch den einfacheren Aufbau der männlichen Geschlechtsorgane von Penis und Hoden macht sich eine Geschlechtskrankheit beim Mann deutlich schneller bemerkbar und ist leichter zu behandeln als bei Frauen.
Bei Frauen liegt ein Großteil der Geschlechtsorgane innen und dort können sich in der großflächigen faltenreichen Schleimhaut der Gebärmutter an vielen Stellen Bakterien, etwa Gonokokken länger halten und somit kann die Gonorrhoe (Tripper) erst später ausbrechen. Damit wird aus damaliger ärztlicher Sicht oftmals begründet, wieso Frauen meist vier Wochen in den Stationen bleiben müssen, während Männer früher gehen können.
Dieses Thema im Programm: ARD Audio | Diagnose: Unangepasst - Der Albtraum Tripperburg | 30. April 2024 | 06:00 Uhr