Sperrgebiet "Als wäre die Welt mit Brettern vernagelt"
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14. Juni 2011, 12:15 Uhr
Seit 1954 bestand in der DDR entlang der innerdeutschen Grenze offiziell ein "Sperrgebiet". 200.000 Menschen lebten dort. Sie standen unter ständiger Überwachung. Ohne Sonderausweise ging kein Weg hinaus und hinein.
Der Schulbus ins Nachbardorf wurde mit Hunden kontrolliert. Auf der Fahrt in die nächstgelegene Stadt gab es drei Kontrollen im Zug: Ihren Ausweis! - Wo wollen Sie hin? - Ihre Adresse? Steht doch im Ausweis! - Ich will Ihre Adresse von Ihnen wissen! - Daran erinnert sich der Schriftsteller Christoph D. Brumme, wenn er an den Alltag in Elend im Harz denkt. Einer Gemeinde, die im Sperrgebiet lag.
Ausgestaltung der Demarkationslinie
Frühjahr 1952. Die sowjetische Kontrollkommission weist die Regierung der DDR an, die Ausgestaltung der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen voranzutreiben. Das Ministerium für Staatssicherheit, dem die Grenzsicherung obliegt, nimmt sich der Sache an und erlässt – fußend auf den sowjetischen Anweisungen – im Mai 1952 erste Verordnungen, die schließlich in einen Ministerratsbeschluss münden. Ein 10 Meter Kontrollstreifen wird angelegt sowie ein 500 Meter breiter Schutzstreifen. Und ein fünf Kilometer tiefer Raum hinter der Grenze wird zum Sperrgebiet erklärt.
"Aktion Ungeziefer"
Mehr als 300 Dörfer und Städte von der Rhön bis an die Ostsee sind von den "Maßnahmen an der Demarkationslinie" betroffen. Sie liegen von nun an im Sperrgebiet. Ab Mai 1952 werden etwa 12.000 als politisch unzuverlässig geltende Menschen aus dem Grenzgebiet zwangsumgesiedelt. Die Aktion erhält von der Staatssicherheit den Tarnnamen "Ungeziefer". Für diejenigen, die bleiben dürfen, beginnt ein Leben im permanenten Ausnahmezustand.
Für das Sperrgebiet gelten eigene Gesetze, von der Staatssicherheit formuliert: "Die Ortseinwohner müssen bei der Grenzbehörde erfasst sein. Der Aufenthalt im Freien ist nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gestattet. Es dürfen keinerlei Versammlungen und Veranstaltungen durchgeführt werden. Hotels, Pensionen und Gaststätten sind zu schließen." Generell gilt, dass das Sperrgebiet nur mit einem Sonderausweis betreten werden darf.
Vorn die Mauer, hinten Sicherungszäune
Etwa 200.000 Menschen lebten im Sperrgebiet. "Es war, als wäre die Welt vernagelt gewesen", heißt es in ihren Erinnerungen immer wieder. Und so war es tatsächlich: Vorn die Mauer, hinten Sicherungszäune. Auf den Feldern lagen Minen und überall patrouillierten Grenzsoldaten. Bei jeder Ein- und Ausreise mussten mehrere Kontrollposten passiert werden. Zu Besuch durften nur Verwandte ersten Grades kommen. Und es konnte schon bis zu sechs Wochen dauern, bis ein Besuchsantrag seine Runde gedreht hatte: vom SED-Sekretär zum Bürgermeister, von dort zum Kompaniechef der Grenztruppen und schließlich zur Staatssicherheit…
"Sperrzonenzulage"
Als Ausgleich für die Beschwernisse des Alltags bekamen die Bewohner des Sperrgebiets eine "Sperrzonenzulage". Bis 1958 waren das zusätzliche Lebensmittelkarten, später gab es Lohnzuschläge, Steuererleichterungen und ein verbessertes Angebot von "Waren des täglichen Bedarfs". Über die Jahre verfielen etliche Gemeinden im Sperrgebiet. Investiert wurde hier kaum noch. Betriebe wurden verkleinert, Kultureinrichtungen geschlossen und Straßen und Eisenbahnlinien - wenn nicht ganz stillgelegt – nur noch notdürftig gewartet. Profitiert hat von der Abgeschiedenheit wenigstens die Natur. 1990 fand man hier Pflanzen, die es sonst nirgendwo mehr gab.
Buchtipp: Achim Walther: Die eisige Naht - Die innerdeutsche Grenze bei Hötensleben, Offleben und Schöningen 1952-1990 Broschiert: 480 Seiten; Mitteldeutscher Verlag; Auflage: 1 (März 2010); ISBN-10: 3898126846; Preis: 14,90 Euro