Ausnahmezustand Mödlareuth – das geteilte Dorf

08. Februar 2022, 16:07 Uhr

Fast 40 Jahre lang befand sich Mödlareuth im Ausnahmezustand – mitten durch das Dorf verlief die Staatsgrenze der DDR: eine drei Meter hohe Mauer. Der DDR-Teil des Dorfes stand unter schärfster Bewachung.

"Little Berlin" nannten amerikanische Soldaten das Dörfchen Mödlareuth, durch dessen Mitte fast 40 Jahre lang die Staatsgrenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik verlief. Mödlareuth war das verkleinerte Abbild der Situation im geteilten Deutschland. Bereits seit 1810 markierte der Thannbach, ein Flüsschen, das mitten durch Mödlareuth fließt, die Grenze zwischen Thüringen und Bayern. Für die Menschen hat sie keine Bedeutung, sie ist lediglich von verwaltungstechnischem Interesse. Auch nach Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 ändert sich daran zunächst wenig. Die Mödlareuther können sich frei bewegen.

Ein Schild mit der Aufschrift "Landesgrenze".
Bildrechte: MDR/Stefanie Reinhardt

Nächtliche Ausgangssperre und Passierscheine

Das ändert sich jedoch schlagartig im Juni 1952. Am Tannbach wird ein Zaun gezogen und der im Osten gelegene Teil des Dorfs zum Sperrgebiet erklärt. Fast 130 Menschen werden in der von der Staatssicherheit organisierten "Aktion Ungeziefer" zwangsausgesiedelt. Für die Wenigen, die bleiben dürfen, beginnt ein Leben im permanenten Ausnahmezustand. Das Sperrgebiet darf nur mit einem Sonderausweis betreten werden. Es herrscht nächtliche Ausgangssperre und Versammlungsverbot. 1966 wird quer durch den Ort eine 700 Meter lange und drei Meter hohe Betonmauer gezogen. Mödlareuth ist von der Außenwelt jetzt hermetisch abgeriegelt. "Vorne die Mauer, hinten ein unter Strom stehender Zaun", sagt Arndt Schaffer, der in Mödlareuth bleiben durfte.

Ohne Ausweis mit Sonderstempel ging kein Weg raus und rein.

Arndt Schaffer

Kontaktaufnahme streng verboten

Die Grenze teilte aber nicht nur das Dorf Mödlareuth, sondern sie verlief auch durch die Familien. Geschwister konnten einander nicht mehr begegnen, Kinder ihre Eltern nicht beerdigen. "Die standen dann auf einer Anhöhe und sahen dem Leichenzug zu", erinnern sich Leute aus Mödlareuth. Jede Kontaktaufnahme über die Mauer hinweg war streng verboten. Manche Familien entwickelten über die Jahre jedoch geheime Rituale. Jeden Sonntagmorgen begaben sie sich etwa auf Anhöhen beiderseits der Grenze und verständigten sich mittels einer Zeichensprache. Im Zuge der Reiseerleichterungen in den 1970er-Jahren konnten sich die getrennten Familien aus Mödlareuth wieder begegnen. Allerdings nicht in ihrem Dorf, sondern außerhalb des Sperrgebiets. Erst im Dezember 1989 konnten die Mödlareuther wieder zueinander finden – nach 37 Jahren der Trennung.

Wo der Maueraufbruch war - die sind rüber, wir sind nüber, da gab's nur noch ein Heulen und Umarmen.

Irold Goller aus Mödlareuth-Ost

"Grüß Gott" und "Guten Tag"

Die Mauer ist aus Mödlareuth verschwunden. Getrennt verwaltet wird das Dorf jedoch weiterhin – der westliche Teil gehört zu Bayern, der östliche zu Thüringen. Ansonsten gäbe es kaum mehr Unterschiede, meint Irold Goller. "Wir sind Thüringer und die sind Bayern, die reden ein wenig anders. Die sagen 'Grüß Gott' und wir sagen 'Guten Tag'."

Medienpädagogisches Projekt "Alltag im Sperrgebiet - Ein grenzüberschreitendes Filmprojekt" 5 min
Bildrechte: Deutsche Gesellschaft e.V.
5 min

Do 07.11.2019 15:04Uhr 04:54 min

https://www.mdr.de/geschichte/ddr/video-353266.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

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