Einem Mythos auf der Spur Angela Davis: eine Amerikanerin in der DDR
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19. November 2021, 13:20 Uhr
Es sind die 70er-Jahre, noch tobt der Kalte Krieg. Der "Eiserne Vorhang" ist fest zugezurrt. Doch über den "Vorhang" hinweg erfährt die junge Amerikanerin Angela Davis große Solidarität aus der DDR. Täglich erreichen sie Briefe und Postkarten, die ihr Kraft in dieser schweren Zeit spenden sollen. Die junge Frau sitzt im Gefängnis und steht auf der Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher der USA.
Angela Davis ist eine schwarze Bürgerrechtlerin, die von 1970 bis 1972 unschuldig hinter Gittern sitzt. Sie ist des Mordes, Menschenraubes und der Verschwörung angeklagt. Aus der DDR erreichen sie in dieser Zeit mehr als eine Millionen Briefe und Postkarten. 1972 wird sie in allen Punkten freigesprochen und sagt: "Diese Briefe haben meine Gefängniszelle aufgeschlossen". Als Angela nach ihrem Freispruch die DDR bereist, um sich bei ihren Unterstützern zu bedanken, warten sehnsüchtig Tausende in Berlin, Magdeburg und Leipzig auf die Ankunft der jungen Frau.
Angela Davis' Kampf
Bereits im jungen Alter ist Angela Davis politisch aktiv. Nach ihrem Erststudium der französischen Literatur in Massachusetts und Paris zieht sie nach Frankfurt am Main, um Philosophie und Soziologie zu studieren. Dort wird sie Mitglied im Hochschulverband der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und nimmt an ersten Protestaktionen teil. Nach ihrer Rückkehr in die USA verstärkt sich Angelas politisches Engagement. Vordergründig setzt sie sich nun für die schwarze Bürgerrechtsbewegung ein und wird Mitglied der "Black Panther Party". Angela engagiert sich für die Freilassung von schwarzen Gefangenen. Einer der Haftinsassen ist George Jackson. Jonathan Jackson, Georges Bruder, versucht ihn im August 1970 aus einem Gerichtssaal zu befreien. Doch der Versuch missglückt. Es kommt zu einer Schießerei und vier Toten. Eine der verwendeten Waffen ist auf Angela Davis zugelassen. Das FBI setzt die untergetauchte Angela Davis auf die Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher der USA. Einige Wochen später, am 13. Oktober, wird sie verhaftet.
Solidaritätskampagne für Angela
Bis zu ihrem Prozess im Jahr 1972 entwickeln sich weltweit Kampagnen und Proteste für Davis. Viele Menschen glauben, dass die Vorwürfe konstruiert sind, um die Stimme der jungen Frau und Black Power-Aktivistin mundtot zu machen. Die Ungerechtigkeit stößt besonders in der DDR auf Gegenwehr. Die Solidarität, die Bürgerrechtlerin Davis dort erhält, ist beispiellos. Mit Briefen, Postkarten, gemalten Rosen und Buttons mit dem Aufdruck "Free Angela" stehen sie Davis bei.
Diese Eigendynamik führte dazu, dass wirklich aus dem letzten Dorf und aus der letzten kleinen Dorfschule die Post abgeschickt worden ist. Ich hab das in den USA selbst gesehen. Ich bin in einer LKW-Kolonne durch San Francisco gefahren. Auf den LKWs waren Säcke über Säcke mit Solidaritätspost für Angela Davis.
Nach zweijähriger Prozessdauer wird Davis am 4. Juni 1972 in allen Punkten der Anklage freigesprochen. Nach ihrer Freilassung reist sie in die DDR, um ihre Unterstützer persönlich zu treffen. Die DDR-Presse betitelt die Reise als "Triumphtour". In Berlin, Magdeburg und Leipzig macht Angela Halt, um sich zu bedanken. Allein in Leipzig kommen 200.000 sehnsüchtige Besucher, die gemeinsam mit ihr feiern und jubeln wollen. Auch in Berlin sammeln sich am 10. September 1972 50.000 Bürger am Flughafen Berlin Schönefeld. Auf die Frage einer Reporterin, was der Empfang von Davis für die Unterstützer bedeutet, antwortet eine junge Frau:
Wir haben gerade gesagt, dass der heutige Empfang von Angela Davis vielleicht ein Stück Geschichte für uns ist. Wir haben diesen Kampf alle gemeinsam geführt und es ist für uns praktisch ein Triumph, dass wir Angela Davis empfangen können.
Zum Beginn der Solidaritätskampagne wird eine Broschüre mit dem Titel "Freiheit für Angela Davis" verteilt. Das Heft wird über 500.000 Mal gedruckt und für den Betrag von Zwei Mark in der ganzen DDR verkauft. Der Erlös fließt dem zentralen "Solidaritätskonto" der DDR zu.
Diese halbe Millionen Exemplare gelangten in alle Betriebe, in alle Ecken des Landes. Schon zu diesem Zeitpunkt hat Angela Davis viel Post bekommen. Aber jetzt wurde voll aufgedreht.
Alles nur aus "freiwilligem Zwang"?
Die Broschüre wird auch ins Englische übersetzt und in Amerika verlegt. Als Herausgeber der Heften wird das DDR-Komitee für Menschenrechte sowie der Friedensrat der DDR genannt. Historiker Dr. Stefan Wolle schaut kritisch auf die Solidaritätskampagne, die die DDR für Davis inszenierte.
Das war organisiert bis ins Letzte. Also wenn die DDR etwas verstanden hat, dann die Organisation von Kampagnen. Und das wurde sehr, sehr gründlich gemacht. Da blieb kein Auge trocken.
Historiker Prof. Wolle ist der Meinung, dass sich die DDR mit Davis als eine der wenigen westlichen Ikonen schmückte. Seine Erklärung für Menschenmassen, die sich beim Empfang von Davis in Leipzig, Magdeburg oder Berlin sammelten, liegt in dem "freiwilligen Zwang", den die DDR-Bürger verspürten.
In der DDR war jeder an den freiwilligen Zwang gewöhnt. Es war alles formal freiwillig. [...] Das heißt wer sich dem verweigert, der hatte mehr oder weniger schon große Schwierigkeiten. Und so ähnlich war das auch mit den ständigen Solidaritätskampagnen.
Durch ihre Verhaftung und den späteren Freispruch wurde Angela Davis weltweit zu einer Symbolfigur der Bewegung für die Rechte von politischen Gefangenen in den USA. Seit September 1972 trägt sie die Ehrendoktorwürde, die ihr von der Karl-Marx-Universität, jetzt Universität Leipzig, verliehen wurde. Noch heute ist Angela Davis eine der bekanntesten Gesichter der Black-Power-Bewegung.