Ausbildung ausländischer Militärs in der DDR Know-how statt Kanonen
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06. August 2014, 09:41 Uhr
Beim Ausbau ihrer Militärbeziehungen stieß die DDR immer wieder an Grenzen: Die landeseigene Rüstungsindustrie war verhältnismäßig klein. Die massiven Wünsche aus Nahost und der Dritten Welt nach Militärtechnik konnten bei Weitem nicht befriedigt werden. Auf die Devisen aus jenen Ländern wollte und konnte man jedoch nicht verzichten. Zur Kompensation entwickelte die NVA in den 1970er-Jahren eine umfangreiche Infrastruktur zur Ausbildung ausländischer Militärs in der DDR.
Ende der 1970er-Jahre kam Ronnie Kasrils aus Südafrika ins mecklenburgische Teterow in das Erholungsheim "Bergring", doch nicht um sich zu erholen. Das sogenannte "Erholungsheim Bergring" war ein geheimes Ausbildungslager der DDR für Soldaten der südafrikanischen Befreiungsbewegung (ANC).
Die 1960 verbotene politische Organisation musste aus dem Untergrund arbeiten und suchte Unterstützer im Ausland. Die Deutsche Demokratische Republik zeigte sich schon in den sechziger Jahren solidarisch mit dem angeklagten ANC-Führer Nelson Mandela. Doch die Unterstützung blieb überschaubar. 1972 dann nahm die SED offizielle Beziehungen zum ANC auf und bot Bildungsmaßnahmen, medizinische Versorgung und finanzielle Unterstützung an. Doch erst nach dem blutigen Soweto-Aufstand 1976 sollten Taten folgen. Die DDR verpflichtete sich für die Militärausbildung von ANC-Kämpfern im eigenen Land.
Know-how statt Kanonen
Auch andere Staaten erbaten militärische Unterstützung von der DDR, vor allem die gerade unabhängig gewordenen Ex-Kolonien mit einer starken sozialistischen Ausrichtung. Doch die DDR-Rüstungsindustrie war zu klein für die massive Nachfrage nach Militärlieferungen aus dem Nahen Osten und anderen Ländern der Dritten Welt. Auf die Devisen aus jenen Ländern wollte und konnte man jedoch nicht verzichten. Zur Kompensation entwickelte die Nationale Volksarmee der DDR in den 1970er-Jahren eine umfangreiche Infrastruktur zur Ausbildung ausländischer Militärs.
Der damals 39-jährige Ronnie Kasrils erinnert sich an die Lage des Ausbildungslagers: "Es war etwas abgelegen vom Ort. Es lag isoliert, für sich, zum Teil im Wald. Es gab einen Sicherheitszaun darum herum. Und die Deutschen sind so fügsam. Es war nicht wie in Südafrika, wo die Leute am Zaun gehangen und versucht hätten hineinzulinsen."
Die Ausbildung der ANC-Kämpfer war top secret und erfolgte sogar fernab der üblichen Militärakademien. Da das Heim direkt an der beliebten Motorrad-Rennstrecke "Bergring" lag, wurden die Heimbewohner zum populären Pfingstrennen sogar ausquartiert. Keiner der Zuschauer an der Rennstrecke sollte auch nur ahnen, was hinter dem Absperrzaun vor sich geht. Drinnen gab es neben Deutschunterricht und politischer Erziehung im Sinne des Sozialismus eine fundierte militärische Ausbildung, die auch Ronnie Kasrils im Laufe seiner Karriere zugutekommen sollte: Er war von 2004 bis 2008 Chef des südafrikanischen Geheimdienstes.
Solidarität gegen Devisen
Bei dem Programm vermischten sich ideologische und ökonomische Interessen der DDR: Devisenerwirtschaftung auf der einen, unentgeltliche Ausbildung vermeintlich gleichgesinnter Waffenbrüder auf Solidaritätsbasis auf der anderen Seite. Die Kader aus Äthiopien gingen kostenfrei in die Lehre, während Libyen oder Syrien in harter Währung zu zahlen hatten. Über 3.000 ausländische Militärs aus über 20 Ländern, darunter auch aus der Volksrepublik Kongo oder Vietnam, wurden in der DDR gezielt auf verschiedenen Gebieten ausgebildet.
In den Wäldern von Teterow wurden Übungen abgehalten, Tunnel gegraben und Fallen gebaut – die Ausbildung war speziell auf die Guerillakämpfer zugeschnitten. Hier wurden bis 1988 jedes Jahr 80 Südafrikaner ausgebildet – insgesamt knapp 1.000 Mann. Daneben gab es noch viele weitere Militärschulen, wie im sächsischen Löbau, in Dresden oder in Prora. Die Lehrgänge umfassten aber nicht nur theoretische Themen, sondern zum Beispiel auch die Ausbildung zu Kommandeuren von Panzereinheiten oder zu Artilleriezugführern. Gerade der praktische Teil lief nicht immer ohne Probleme ab. So wurden aus Nicaragua Minderjährige zur Militärausbildung geschickt, was eigentlich ein Vertragsbruch war. Die DDR bildete die Kindersoldaten aber schlussendlich trotzdem aus.
Was sich bewährt, wird gelehrt
Der Erfahrungsaustausch auf militärischem Gebiet vereinte die weit entfernten sozialistischen Bruderländer. Dabei profitierte offenbar auch die DDR von ausländischen Kriegserfahrungen, wie sich Kasrils erinnert: "Bei einer Gelegenheit bin ich mit dem Ausbildungsleiter frühmorgens in den Wald gegangen. Er sagte mir, hier würden sie Überlebenstechniken unterrichten, zum Beispiel, wie man sich in die Erde eingräbt und wie man unter der Erde überleben kann. Wir seien in einem Gebiet, wo es diese unterirdischen Höhlen gibt – ob ich sie entdecken kann. Und ich konnte es wirklich nicht. Da sprang er auf eine bestimmte Stelle. Und ich bemerkte etwas, was aussah wie eine Falle, versteckt unter den Blättern. Das Ganze basierte auf dem vietnamesischen Tunnel-System."
Lageralltag als Vorbild für das eigene Land
Nicht nur die Tunnel von Teterow kaschierten manch tiefen Graben zwischen den gegensätzlichen Welten, die hier aufeinander prallten. Die Mehrheit der auszubildenden Südafrikaner war schwarz, das ostdeutsche Personal war weiß: vom Ausbilder über den Hausmeister bis zur Küchenfrau. Für Kasrils, einer der wenigen hellhäutigen ANC-Funktionäre, war dies der bleibende Eindruck von der Zeit in Teterow, denn den meisten seiner schwarzen Mitstreiter waren Weiße nur als Herren bekannt, die sich von Schwarzen bedienen ließen. Dass ihnen hier weiße Frauen die Betten machten oder das Essen kochten, war eine ganz neue Erfahrung und wirkte wirklich persönlichkeitsbildend auf die Südafrikaner. Hier sahen sie die Gesellschaft, für die sie kämpften. Eine Gesellschaft, in der Schwarze und Weiße gleichberechtigt sind. Das Gesellschaftssystem war dabei aber, anders als von den DDR-Ausbildern gewünscht, egal.
Für Kasrils war "der Grund, warum wir zu den Waffen gegriffen haben, nicht, weil wir eine blutige Revolution wollten. Wir haben immer gesagt haben, es geht nicht gegen Weiße. Es wird keinen Terrorismus geben. Der Feind ist das Apartheid-Regime." In Teterow konnten viele diesen Traum leben: Nach dem Unterricht spielte die militärische Rangordnung für gewöhnlich keine Rolle mehr. Man hörte zusammen mit den Ausbildern Musik, trank Nordhäuser Doppelkorn und grillte Thüringer Rostbratwürste. Ein besonderer Spaß waren die Volleyball-Turniere. Niemals gab es ein Match Schwarz gegen Weiß, die Mannschaften waren stets gemischt. Etwas, das in Südafrika erst Anfang der 90er-Jahre erlaubt wurde. 1994 sollten Ronnie Kasrils und seine Teterower Mitschüler noch erleben, wofür sie all die Jahre gelernt und gekämpft haben: Nelson Mandela wird der erste schwarze Präsident in Südafrika.
Buchtipp
Klaus Storkmann: "Geheime Solidarität - Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die 'Dritte Welt'"
erschienen: 06.2012 im Ch. Links-Verlag
Gebundene Ausgabe, 704 Seiten: 39,90 Euro, ISBN 978-3-86153-676-5