Interview mit Bert Pampel "Sachsenburg erschien nicht als ein KZ wie Sachsenhausen"
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22. Juni 2018, 10:11 Uhr
Das ehemalige KZ Sachsenburg bei Frankenberg galt lange als "vergessenes KZ" und verfiel. Das ändert sich nun, denn ein Teil der geplanten Gedenkstätte ist finanziert. Außerdem werden - dank vieler Ehrenamtlicher - alle Forschungsergebnisse zum Lager veröffentlicht. MDR ZEITREISE sprach mit Dr. Bert Pampel, dem Leiter der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, über die Geschichte und Bedeutung des KZ Sachsenburg sowie seine Erforschung.
ZEITREISE: Das KZ Sachsenburg wurde im Mai 1933, also schon wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, errichtet. Wie kam es dazu?
BERT PAMPEL: Nach dem Reichstagsbrand, mehr noch aber nach der Reichstagswahl am 5. März 1933 verhafteten die Nationalsozialisten ihre wichtigsten politischen Gegner, vor allem aus der Arbeiterbewegung. Sie sperrten sie in die vorhandenen Gefängnisse, aber auch in Turnhallen, verlassene Fabriken oder Burgen und Schlösser. Jeder örtliche NS-Führer, vor allem von der SA, konnte willkürlich Menschen verhaften und einsperren. Diesen Wildwuchs wollten die staatlichen Behörden beenden. So wurde das Lager Sachsenburg gezielt auf Veranlassung der "Schutzhaftzentrale" im Sächsischen Landeskriminalamt in Dresden errichtet, um später die Verhafteten aus den vielen kleinen, den sogenannten wilden KZs dort zu konzentrieren. Außerdem benötigte man weiteren Haftraum, weil in den normalen Gefängnissen der Platz nicht mehr ausreichte.
In dem im Sommer erscheinenden Sammelband geht es auch um Überläufer in der Anfangszeit im KZ Sachsenburg. Was hat es damit auf sich?
Dieser Aspekt hat die Sicht auf die Frühphase des Lagers verändert. Durchaus namhafte und bekannte kommunistische Gefangene – zwei Funktionäre und Abgeordnete aus Leipzig und einer aus Chemnitz – sagten sich öffentlich vom Kommunismus los und bekannten sich zum Nationalsozialismus. Die zwei Leipziger verfassten darüber sogar eine 20-seitige Propagandaschrift. Die drei Überläufer machten auch im Lager Propaganda. In den Quellen wird davon gesprochen, dass weitere 70 gefangene Kommunisten übergelaufen und in die SA eingetreten seien. Das passte natürlich nicht so recht in die antifaschistischen Heldengeschichten, die in der DDR über die Kommunisten im KZ Sachsenburg erzählt worden sind. Dieses kollektive Überläufertum steht im Zusammenhang mit dem damaligen SA-Lagerleiter Max Hähnel.
Was hat Max Hähnel, der erste Lagerleiter von Sachsenburg, gemacht?
Max Hähnel war ein überzeugter Nationalsozialist, der zugleich einen gewissen Umerziehungsanspruch hatte und die Anwendung physischer Gewalt ablehnte. Das heißt, er hielt viele Gefangene für verführt und irregeleitet und wollte sie zu "brauchbaren Gliedern" der "Volksgemeinschaft" erziehen. Er ist dann, weil ihm vorgeworfen wurde, er würde die Häftlinge besser behandeln als die SA-Wachleute, von seinen eigenen Untergebenen denunziert und aus dem Amt entfernt worden.
Worin besteht die Besonderheit des KZ Sachsenburg?
Das Besondere war, dass es nicht, wie die vielen kleineren ersten Lager, schnell wieder aufgelöst wurde, sondern dass es bis Spätsommer 1937 bestand. Dadurch fungierte es als Experimentierfeld und Brücke zum späteren vollständig entfalteten KZ-System. Man kann an seinem Beispiel die Entwicklung vom SA-"Schutzhaftlager" zum SS-Konzentrationslager nachvollziehen.
Können Sie das näher beschreiben?
Anfangs bestand die Wachmannschaft aus einfachen SA-Leuten ohne besondere Ausbildung, etwa im Strafvollzug. Der Lagerführer Hähnel war Weltkriegsveteran und zog das Lagerregime militärisch auf. Im Juni 1934 übernahm die SS das Lager. Sie verfolgte einen völlig anderen Ansatz. Da ging es nicht mehr um Erziehung. Da ging es um das Ausmerzen der "Volksschädlinge", seien es Kommunisten oder Zeugen Jehovas, seien es Juden, Homosexuelle oder sogenannte Berufsverbrecher. Das ging mit einer neuen Form von Brutalität einher, die nicht mehr durch individuellen Sadismus geprägt war, sondern durch kollektive Entmenschlichung.
1935/36 unterstanden neben Sachsenburg das KZ Dachau bei München, die Lichtenburg in Prettin bei Torgau, das KZ Esterwegen im Emsland und das Columbia-Haus in Berlin der SS. Dort wurden SS-Leute zu KZ-Wachpersonal herangebildet und zugleich militärisch ausgebildet sowie ideologisch geschult. Die SS-Leute durchliefen diese Lager in verschiedenen Funktionen. Und als 1936/37 die neuen Lager Sachsenhausen und Buchenwald aufgebaut wurden, bildeten sie das Stammpersonal.
Zu den etwa 20 namentlich bekannten Todesopfern gehört Max Sachs. Was wissen Sie über sein Schicksal?
Dr. Max Sachs war Sozialdemokrat, ehemaliger Landtagsabgeordneter und Redakteur der "Dresdner Volkszeitung". Außerdem war er Jude, das machte ihn besonders verhasst bei den SS-Leuten. Nachdem er im September 1935 in das Lager eingeliefert worden war, begann ein mehrtägiges Martyrium. Kriminelle Häftlinge misshandelten ihn unter Anstiftung und Mitwirkung von SS-Männern zu Tode. Dieser Todesfall sorgte damals noch für einige Aufregung, weil Sachs kein Unbekannter war und seine Ermordung nach außen drang. Es kam sogar zu Ermittlungen durch die Chemnitzer Staatsanwaltschaft und zu einer Verurteilung der Häftlinge. Die SS-Leute blieben jedoch unbehelligt.
Wie ist die Geschichte des KZ Sachsenburg in der Vergangenheit aufgearbeitet worden und wie ist der aktuelle Forschungsstand?
In der DDR gab es keine systematische wissenschaftliche Forschung zum Lager. Die Bearbeitung der Lagergeschichte beschränkte sich weitgehend auf die Veröffentlichung von Berichten ausgewählter Insassen. Das war eine eingeschränkte Sicht, denn vorrangig ging es um die Kommunisten und ihren vermeintlichen heroischen Widerstandskampf im Lager. Gleichwohl wurde damit die Erinnerung an das Lager wachgehalten.
1992 erschien im "Gemeindeanzeiger" Sachsenburg ein kleiner Beitrag, der diese Geschichtsschreibung grundsätzlich in Frage stellte und anzweifelte, ob Sachsenburg überhaupt ein KZ gewesen sei. Weil man in der DDR kaum differenziert hatte, erschien Sachsenburg nicht als ein KZ wie Sachsenhausen. Ehemalige Häftlinge empörten sich über den Artikel zu Recht, da Sachsenburg kein Erholungsheim war. Es folgten erste Bemühungen, das Lager differenzierter zu beschreiben und dabei auch andere Häftlingsgruppen zu berücksichtigen.
Was wir heute wissen, haben Historiker und Heimatforscher in oft jahrelanger, nicht selten ehrenamtlicher Forschung zusammengetragen, vor allem, was die Zahl der Häftlinge, Einzelbiografien und die Täterseite betrifft. Aber nach wie vor gibt es weiße Flecken in der Geschichtsschreibung zum Lager. Wie gestalteten sich die Beziehungen zur Gemeinde? Wie wurde das Lager in der lokalen und regionalen Presse sowie von den Anwohnern wahrgenommen? Wer gehörte zur SA-Wachmannschaft?
Im Juni geben Sie gemeinsam mit Mike Schmeitzner einen Sammelband verschiedener Autoren zum KZ heraus. Was leistet dieses Buch?
Es ist die erste umfassende Darstellung der Lagergeschichte in ihrer gesamten Breite auf dem aktuellen Forschungsstand. Es geht um die Gründung des Lagers und seine Entwicklung, um die Wachmannschaften von SA und SS sowie ausgewählte Führer, um die verschiedenen Häftlingsgruppen und schließlich um die Rezeption und Aufarbeitung des Lagers in der Öffentlichkeit. Wir verstehen das Buch auch als eine wissenschaftliche Grundlage für die Gedenkstättenarbeit vor Ort. Es wird von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten gemeinsam mit dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden herausgegeben.
Veröffentlichen Sie damit auch neue Erkenntnisse zum KZ?
Ja, obwohl sich gute Geschichtsschreibung nicht darin erschöpft, neue Entdeckungen zu verkünden. Wichtiger ist, dass sie zu einem besseren Verständnis der Vergangenheit beiträgt. Die Stärke des Bandes liegt meiner Meinung nach darin, dass er durch seine Breite und Differenziertheit die Grautöne der Lagergeschichte wesentlich besser ausleuchtet, als dies bislang geschehen ist. Dies gilt insbesondere für die SA- und SS-Wachmannschaften und ihre Führer, aber auch für die Lebenswege ausgewählter Häftlinge. Persönlich habe ich durch die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Schicksal meines Urgroßvaters, der im Lager inhaftiert war, mehr über die Geschichte des Nationalsozialismus gelernt als in den meisten Büchern.
In welcher Form wird es denn eine Gedenkstätte geben? Dass sie kommt, ist doch unbestritten, oder?
Im Mai 2018 wissen wir mehr, denn dann haben sich alle Gremien der Stiftung mit der von der Chemnitzer Lehrerin Anna Schüller im Auftrag der Stadt Frankenberg erarbeiteten Gedenkstättenkonzeption befasst. Sie sieht im Kern eine Innenausstellung im ehemaligen Zellenhaus und eine Außenraumausstellung auf dem ehemaligen KZ-Gelände und in der Umgebung vor. Für Letztere gibt es bereits eine Förderzusage der Stiftung Sächsische Gedenkstätten für 2018. Offen sind die Finanzierung der Baumaßnahmen und der Erarbeitung und Gestaltung der Innenausstellung. Ich würde sagen, die Ampel steht auf gelb-grün.
Also werden das Fabrikgebäude und die Villa nicht zur Dauerausstellung gehören?
Nach jetzigem Stand nicht. Sowohl die Errichtung der Gedenkstätte als auch deren Betrieb, einschließlich des Bauunterhalts, müssen finanziell tragbar sein. Das Fabrikgebäude allein ist ja riesig. Die ehemalige Kommandantenvilla ist wegen ihrer Baufälligkeit für den Abriss freigegeben, außerdem liegt sie im Hochwassergebiet. Das ist bedauerlich, weil sie ein durchaus bedeutendes Zeugnis der KZ-Geschichte ist.
Bert Pampel
Der Politikwissenschaftler, geboren 1967 und aufgewachsen in Ostberlin, leitet die Dokumentationsstelle Dresden der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit ist die Erinnerungskultur und deren Rezeption. Dabei entstanden u.a. diese beiden Veröffentlichungen:
* "Mit eigenen Augen sehen, wozu der Mensch fähig ist." Zur Wirkung von Gedenkstätten auf ihre Besucher, 2007.
* Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft und die Erweiterung des Gedenkstättenbegriffs in der Gegenwart, in: Häuser der Erinnerung. Zur Geschichte der Personengedenkstätte in Deutschland, hrsg. von Anne Bohnenkamp u.a., 2015, S. 305–331.
KZ Sachsenburg Das Konzentrationslager Sachsenburg bestand von 1933-1937. Damit gehört es zu den ersten KZ in Deutschland. Es besaß im "System Konzentrationslager" eine Schlüsselrolle für die später errichteten Lager wie Buchenwald oder Sachsenhausen, denn hier wurde die SS ausgebildet und brutalisiert; für ihre späteren Einsätze in den anderen KZ und an der Front. Vieles von dem Wissen über das KZ Sachsenburg ist erst in den vergangenen Jahren erforscht worden: Etwa, dass Anfang 1936 über 600 SS-Wachmänner gleichzeitig in dem Lager ausgebildet wurden. Oder dass, nicht nur - wie lange angenommen - 2.000 Häftlinge das Lager durchlaufen haben. Inzwischen sind mehr als 7.000 Namen bekannt.
Über dieses Thema berichtet MDR ZEITREISE auch im TV: 03.04.2018 | 21:15 Uhr