Das Altpapier am 28. Juni 2022 Krimis mit Klimazusammenhang
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28. Juni 2022, 10:35 Uhr
Bayern-Bilder am Rande des G7-Gipfels. Pessimismus in New York, Klimajournalismus im Krimisender. Ist Google gar nicht mehr gut (und hülfe "Goggles" dagegen)? Außerdem: "die mächtigste Medienpolitikerin" im Porträt. Ein Altpapier von Christian Bartels.
Gipfel in Bayern, Pessimismus u.a. in NY
Der Gipfel-Marathon ist Medien-Topthema. Am Rande der Veranstaltungen entstehen jede Menge inszenierte, symbolstarke oder symbolstark gemeinte Bilder – für Medien, für Menschen, die Medien beobachten, und für Medien, die Beobachtungen von Menschen in Medien beobachten. Lohnt es, etwa die Reaktionen-Übersichten zur Bayern-Inszenierung rund ums Schloss Elmau (die der vorläufig sehr ehemalige Shootingstar Markus Söder, der ja aber noch vergleichsweise jung ist, sicher sorgsam plante), länger zu beachten – von "Der Hass auf bayerisches Brauchtum ist enorm" ("Berliner Zeitung") bis zu "So stellt man sich Deutschland bei den Simpsons vor" (bayrische "Süddeutsche")? Lieber die oft immer noch guten Titelseiten der "taz" (die gestrige mit dem guten "Indigenen"-Witz ist z.B. hier groß zu klicken)?
Na ja, "das Twitter-Publikum ist winzig", sagt "New York Times"-Chefredakteur Joe Kahn in einem bemerkenswert pessimistischen "Spiegel"-Interview, und auf Twitter-Publikums-Reaktionen basieren solche Reaktionen-Übersichten ja.
So nachvollziehbar und sinnvoll es erscheint, dass die Regierungschefs des Westens auf pompös inszenierten Treffen Zuversicht verbreiten bis sich ihrer selbst vergewissern, so sehr sollte Journalismus Distanz halten und auch über das berichten, was solchen Selbstdarstellungen entgegen steht. Insofern lohnt es eher, das Interview auf spiegel.de (€) zu beachten. Da sorgt sich Kahn "ziemlich um unsere Demokratie", also um die US-amerikanische, und befürchtet künftige Wahlerfolge des derzeit ehemaligen Präsidenten Trump oder seiner Sympathisanten (durch die die G7 ja erodieren würden). Während er Selbstkritik locker abperlen lässt ("Ich finde nicht, dass es in unserem Newsroom einen Kulturkampf gibt"), sagt Kahn etwa noch:
"Ich halte es für besorgniserregend, dass es nicht mehr 'rechte' Qualitätsmedien gibt, die noch journalistische Standards einhalten."
Der Satz kann so oder so missverständlich klingen. Er meint, dass es in den USA ziemlich viele weit rechts stehende Medien gibt, die Standards, an die sie sich früher hielten, inzwischen nicht mehr einhalten, und bezieht das vor allem auf Fox News, den "meistgesehenen Nachrichtensender in den USA" ("Spiegel").
Zu dem, was G7-Selbstdarstellungen entgegensteht, gehört zum Beispiel auch, dass womöglich viele der oft und häufig verkündeten Sanktionen gegen den Aggressor Russland aus diesen oder jenen Gründen nicht so greifen, wie sie sollten – "Telepolis" macht eine klickattraktive "Top Ten des Scheiterns" daraus.
Klimakrise im Fernseh-Programmfluss
Noch vor wenigen Jahren gab es im Sommer öfter "Nachrichtensendungen, die am Anfang über fürchterliche Waldbrände und ihre Todesopfer berichteten, an deren Ende jedoch Wetterexperten 'für die Jahreszeit zu warme' Temperaturen als gute Nachricht präsentierten" (wie ich an anderer Stelle mal schrieb). Da hat sich was zum Besseren gewandelt – nicht die Waldbrand- und Klimalage, aber zumindest die Bedeutung der Nachrichten-abschließenden Wettervorhersage. Inzwischen werden dort stets knapp, aber häufig immerhin krisenhafte Klima-Themen angerissen.
"Wir haben quasi ein 'Klima nach zehn'", sagt ZDF-Meteorologe Speerspitze ist Özden Terli, einer der Treiber dieser Entwicklung. Er sagt es in einem Interview beim boulevardigen, reichweitenstarken Portal GMX, wo es auch durch die Überschrift "ZDF-Wettermoderator: 'Wir müssen unseren Wohlstand abbauen'" Aufmerksamkeit zog. Fragen, ob Wohlstand sinkt (und wem dann daran Schuld gegeben werden könnte), polarisieren, und was polarisiert, klickt gut. Terli räumt gleich am Anfang grundsätzlich auf:
"Ob einzelne Wettererscheinungen auf die Klimakrise zurückzuführen sind, ist keine zeitgemäße Frage – die Klimakrise lässt sich schließlich nicht an einem Tag ein- und am anderen ausschalten."
Dann hat er sowohl prägnante Beispiele ("Schauen wir nach Frankreich, wo gerade weite Teile der Ernte ausfallen oder Atomkraftwerke wegen der Hitze nicht mehr gekühlt werden können") als auch Medien-(Selbst)-Kritik in petto. Wenn es um "Versagen im Journalismus" geht, von dem er spricht, ließe sich ein Bogen schlagen zu einer Darmstädter Tagung, die bereits im März stattfand, die ihr Mitorganisator und Moderator Uwe Krüger aber kürzlich erst für mmm.verdi.de zusammenfasste. Ziemlich unterschiedliche Ansichten zur Frage "Was bedeutet das Klima-Urteil des BVerfG für den Journalismus?" wurden dort ausgetauscht:
"Die stärkste Aussage in dieser Richtung traf Heiko Hilker, Ko-Geschäftsführer des Dresdner Instituts für Medien, Bildung und Beratung sowie MDR-Rundfunkrat: 'Die Medien sind eine Säule der bundesdeutschen Demokratie. Ihre Berichterstattung muss Grundrechte sichern und schützen. Wenn das Agieren von Exekutive, Legislative und Judikative dem Erreichen der Klimaschutzziele entsprechen müssen, dann gilt dieser Anspruch auch für die Berichterstattung der Medien.'"
Uff, das ist ja ein ganz großes Fass. Zu dem, wie gesagt, auch andere Ansichten formuliert wurden, von Vertretern von Medien wie "Tagesspiegel" und "Spiegel" wie des Netzwerks Klimajournalismus. Rasch zurück zum GMX-Interview, das dadurch rund wird, dass Fragensteller Adrian Arab am Ende den Bogen zum Rahmenprogramm schlägt, in dem Özden Terli auftritt. Und zwar mit dieser Frage:
"Das ZDF hat über 60 Krimiserien im Programm. 2015 kam eine Statistik auf 437 Krimis, die das ZDF im Jahr gesendet hat. Wenn Sie Programmchef wären: Wie viele Krimi-Stunden würden Sie pro Jahr umwidmen für Aufklärung über den Klimawandel?"
Terli erweist sich als guter ZDF-Mitarbeiter. Sein Sender müsse auf gar keine Krimis verzichten, sagt er, denn: "Es gibt so viele Drehbuchautoren, die ihren Geschichten einen Klimazusammenhang geben könnten. Ein abschmelzender Gletscher als Kulisse für den nächsten Tatort – so käme die Klimakrise in den Alltag der Menschen, genau dorthin, wo sie hingehört." Oder müsste es statt um bloß den nächsten "Tatort" (der ja in der ARD läuft, wobei: Für viele jüngere Menschen sind die Öffentlich-Rechtlichen eh eins) doch eher um den kontinuierlichen Programmfluss gehen, in dem ja eine Attraktion die nächste jagt und vergessen machen möchte – sozusagen um die Krimi-Flut?
Zweifel an Googles Güte
"Gut klicken" kam in variierten Formulierungen schon zweimal vor in diesem Altpapier. Was nicht gut klickt, dringt kaum durch. Ganz wichtig ist da außerdem Suchmaschinenoptimierung. Diese von so gut wie allen Seiten betriebene Optimierung, also das vorauseilende Anpassen an veröffentlichte Andeutungen zum geschäftsgeheimen, laufend veränderten Algorithmus der Suchmaschine, sei mit Schuld daran, dass Google "immer schlechter" wird.
Das schrieb Michael Moorstedt gestern in der Netzkolumne der "Süddeutschen" unter der Überschrift "Googles liebstes Suchergebnis: Google" (die demzufolge sehr gut googlebar sein müsste). Sie "SZ" bezieht sich da natürlich vor allem auf US-amerikanische Medien. U.a. werde
"kritisiert, dass Google immer öfter auf seine eigenen Seiten verweist anstatt auf Ressourcen im Web. Wie das Datenjournalismus-Portal The Markup bei einer Untersuchung von 15 000 Suchanfragen herausfand, verweisen zwischen 40 Prozent und zwei Drittel aller Links auf der ersten Ergebnisseite inzwischen auf Google-Seiten."
Das wäre dann eine geradezu positive Entwicklung, wenn der phänomenale Erfolg der einst gewiss guten Google-Suche am Ende doch dazu führte, dass die Hyperdominanz eines der größten Datenkraken bricht. Eher knapp stellt Moorstedt dann noch ein Tool des Browsers Brave vor: "Mit der nicht gerade subtil 'Googles' genannten Funktion kann man die Auswahl der Websites, die zuerst in den Suchergebnissen erscheinen, mittels Filtern neu justieren", unter anderem dahingehend ob Ergebnisse "politisch eher links- oder rechtslastig" sein sollen. Ob so was sinnvoll ist, ob solche Einstellungen nicht sowieso überall nach vermeintlichen Bedürfnissen vorgenommen werden, wären ganz andere Fragen. Übrigens heißt die (auch auf deutsch verfügbare, allerdings notdürftigst übersetzte) Brave-Funktion nicht "Googles", sondern "Goggles, Ohne Grenzen suchen...".
Hier noch mal wieder die Hinweise, dass erstens sowieso niemand googeln muss, da die allermeisten Anfragen auch von jeder Menge anderen Suchmaschinen gut erledigt werden können, z.B. von europäischen wie Metager oder Qwant, und dass zweitens genau das Suchmaschinen hilft, besser zu werden, weil es ihnen solche Trainingsdaten zur Verfügung stellt.
Claudia Roth und ihre Baustellen
Rasch noch in die Medienpolitik. Ein Porträt der "mächtigsten Kultur- und Medienpolitikerin des Landes" liegt vor. So bezeichnet Senta Krasser bei dwdl.de die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth. Das mag etwas übertrieben anmuten. Schließlich sind bei Kultur und Medien die Kompetenzen aus historischen Gründen zwischen Bund und Bundesländern so verteilt, dass in diesen Ressort eigentlich keine mächtigen Politiker gibt, auf Bundesebene gleich gar nicht (außer, es werden doch noch Presse-Subventionen in dreistelliger Millionen-Höhe vergeben, aber dann wohl kaum von Roth). Andererseits, zu wem könnte Übertreibung noch besser passen als zu Claudia Roth?
Krasser wählt einen schönen szenischen Einstieg: wie Roth aus der englischsprachigen Ukraine-Kriegs-Diskussion bei der Deutschen Welle in Bonn hinauseilt, um für die "Tagesschau" rasch was zur Documenta zu sagen. Einen Zusammenhang bildet, dass es auf beiden Baustellen, bei DW (deren Rundfunkrat inklusive Roth zuvor tagte) und Documenta, auch um Antisemitismus-Vorwürfe geht.
Im Porträt geht es dann noch um die Scherben und darum, was Verbände von Roth fordern und was Nico Hofmann von ihr hält ("Ich mag ihre Direktheit und Ehrlichkeit und nehme ihr das Authentische ab"). Und dass die zumal medienpolitisch unscheinbare Staatsministerin einen "beachtlichen Stab aus 400 Beschäftigten" unter sich hat, sollte man auch im Hinterkopf behalten.
Altpapierkorb (Plädoyer pro Nannen, RBB-CNC, Drei-Finger-Trick, Comité Diderot, unter Dreißig & möglichst Frau, China)
+++ "Die Stunde null hat es nicht gegeben, nicht in der Weise, wie man es suggeriert hatte. Es konnte sie nicht geben, weil jeder, der 1945 noch lebte, vorher nicht tot war", und "je mehr Zeit vergeht, desto härter das Urteil im Rahmen der Neubewertung von Geschichte": Da springt Herausgeber Stephan-Andreas Casdorff im "Tagesspiegel" Henri Nannen zur Seite, der sich "um die Republik verdient gemacht, ... zwei Generationen von Journalisten der damals noch jungen, von vielen angefeindeten liberalen Demokratie geprägt" habe.
+++ Außerdem geht's im Berliner Blatt um das neue Crossmediale Newscenter des RBB: "Die Kosten für sämtliche technischen Einrichtungen des CNC haben sich übrigens auf vier Millionen Euro belaufen, insgesamt kostete der Aufbau des Nachrichtencenters 13 Millionen Euro teure Euro."
+++ Mehr zu Themen, um die es gestern hier ging I: Um nicht auf Fakes bei Videotelefonaten reinzufallen, rät Daniel Laufer, an Gesprächspartner überraschende Bitten zu richten, z.B. sich mal kurz drei Finger vors Gesicht zu halten ("@mediasres"). +++ Und auch in Österreich geht man nun eher von einem "Cheap" statt einem Deepfake aus, also, dass "es nur Filmeffekte" waren (futurezone.at).
+++ Mehr zu Themen, um die es gestern hier ging II: "Das 'Zweite' krault woanders", kommentiert die "FAZ" im Sportressort die unglückliche ZDF-Entscheidung, seine Senderechte an der aus deutscher Sicht erfolgreichen Schwimm-WM ungenutzt zu lassen.
+++ Ein schwer vermittelbares Medien-Thema, an dem die "FAZ" dran war (Jürg Altwegg neulich groß per Interview/€ mit einem Vertreter des "Comité Diderot", das sich dagegen engagiert) und auf das Michael Hanfeld heute nochmals hinweist: französische Wirtschaftsinteressen an Satelliten, die nicht zuletzt russische Fernsehsender global verbreiten.
+++ Außerdem heute auf der wieder prallvollen "FAZ"-Medienseite: "Bring mir wen, der unter Dreißig ist und möglichst Frau", heiße die Devise im Fernsehgeschäft, wenn Regisseurinnen gesucht werden. Darüber beklagten sich beim Münchener Filmfest die, auf die das nicht zutrifft. +++ Und Heike Hupertz lobt den RTL-Spielfilm über den mehrfach ver-"doku"-ten Massenmörder und Krankenpfleger Niels Högel.
+++ "Nahezu existenzialistische Zwischentöne", "elegisch kommentierte Rückblicke": Da schreibt Nils Minkmar über einen heute bei Arte zu sehenden Ukraine-Dokumentarfilm von Bernard-Henri Lévy ("SZ"/€).
+++ Und "China will alle Kommentare auf Social Media vorab prüfen", was in den noch halbwegs freien Kommentaren derzeit stark diskutiert wird, berichtet Zeyi Yang (MIT Technology Review/heise.de).
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.
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