Das Altpapier am 1. Juni 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier am 1. Juni 2022 Kaum Anlass für Fröhlichkeit

01. Juni 2022, 10:35 Uhr

Springerchef Döpfner will nun doch nicht Verleger-Präsident bleiben. Der "wohl bekannteste Kinderfotograf der Welt" steht vor Gericht. Der vielleicht achte, vielleicht 32. Journalist wurde im Krieg in der Ukraine getötet. Die Öffentlich-Rechtlichen dürfen künftig wohl unterhalten wie bisher. Außerdem: ein kurioser Vorschlag zu Talkshows ... Ein Altpapier von Christian Bartels.

Döpfner wieder vorneweg

Dr. Mathias Döpfner, der alte Fuchs, settet die Medienmedien-Agenda und bekommt an diesem Mittwoch die meisten Erwähnungen. Der hauptberufliche Springerkonzern-Chef will sein Amt des Zeitungsverlegerverbands-Präsidenten nun doch "ab Herbst in geordneter Weise in neue Hände, vorzugsweise auch in neue Strukturen übergeben", teilt der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger mit.

Der in Alltags- und nachrichtlicher Sprache eher selten miterwähnte Doktor-Titel verdient hier Erwähnung, weil Doktorarbeits-Plagiatsvorwürfe inzwischen ja (z.B. "SZ") zu den insgesamt nicht wenigen Vorwürfen gegen Döpfner gehören. In seinem von seinem Verband auszugsweise zitierten Schreiben schreibt er dann von seinen Verpflichtungen in den USA – tatsächlich ist Springer ja der letzte deutsche Verlagskonzern mit internationaler Ambition – und ruft abschließend dazu auf, "fröhlich und mutig" in die Zukunft zu schauen. Wie der Fuchs sicher ahnte: Eher hämisch bis bissig auf unterschiedlichen Niveaus, aber recht vielfältig, wie es in der deutschen Medienlandschaft halt zugeht, fallen die Reaktionen aus.

Doppelt ärgert sich etwa die "Süddeutsche" (die es in ihrem Zeitungsverlag, der SWMH, ja auch nicht leicht hat) auf ihrer Medienseite. "Das Wort Rücktritt wird vermieden. Im Gegenteil, seine Begründung klingt eher triumphal", schreibt erstens Anna Ernst. Zweitens geht direkt daneben Nils Minkmar in einem Beitrag, der es vielleicht auf die Meinungsseite nicht mehr schaffte, auf eine Ebene, die Döpfner echt ärgern könnte: Seine Amtszeit werde zwar "in die bundesdeutsche Mediengeschichte eingehen", aber "als Ära der verpassten Gelegenheiten und vertanen Chancen".

"Geschickt ... getimt" nennt der eher Döpfner-/Springer-freundliche Micha Hanfeld in der "FAZ" den Rücktritt, hält ihn allerdings für nicht "freiwillig". Dass Döpfner die vielfältige "Kritik an ihm mit keinem Wort erwähnt ..., wirkt reichlich skurril", meint dwdl.de. Die lässigste Überschrift hat Jockel Huber vom "Tagesspiegel": "Zu viel Arbeit in Amerika".

Recht viel nachgefragt wurde bei der Funke-Zeitungsgruppe, die besonders Döpfners wegen eigentlich aus dem BDZV ausgetreten ist, was sie denn nun sagt und tut. Nicht überraschend sagt sie erst mal noch nichts (aber das eignet sich ja auch als Meldung).

Falls wer ob der von Döpfner selbst erhofften "neuen Strukturen" stutzte: Um den einst von Funke unterbreiteten Vorschlag der "Verschmelzung aller Medienverbände (BDZV, VDZ ...) zu einer gemeinsamen Interessensvertretung" (Altpapier) dürfte es sich da nicht handeln. Zwar bleibt dieser Ansatz sachlich richtig: Die Unterscheidung zwischen täglich bedrucktem Zeitungspapier und wöchentlich, monatlich oder in noch seltenerer Frequenz, dafür bunter bedrucktem Hochglanz-Zeitschriftenpapier gehört im Feld der zusammenwachsenden (und wenn, dann sowieso nicht mehr auf Papier wachsenden) Medien nicht mehr zu den 50 wichtigsten Gattungs-Unterscheidungsmerkmalen. Es bräuchte wirklich keine unterschiedlichen Zeitungs- und Zeitschriftenverlage-Verbände, die sowieso stets identische Positionen vertreten. Doch der BDZV befindet sich allein mitten "in einer Verbandsstrukturreform", heißt's im ersten "SZ"-Beitrag. Es gehe "um den Abbau von Verwaltungsarbeit und Doppelstrukturen": Oft spiegelt sich der Föderalismus der Medienpolitik in den Verbänden, die selber welche machen wollen.

Überhaupt nicht fröhlich geht es in den beiden nächsten Abschnitten des heutigen Altpapiers zu.

Medienseiten-Thema Kindesmissbrauch

Kindesmissbrauch ist auch Medienmedien-Thema, schon weil er häufig als eines der einleuchtendsten Argumente gegen Datenschutz angeführt wird.

Kurzer Überblick: Sollen etwa Gerätehersteller und App-Anbieter gezwungen werden, auf Geräten ihrer Nutzenden, also Kunden private Online-Chats und Bildmaterial, bevor es versandt oder veröffentlicht wird, zu kontrollieren, wie es unter dem kritischen Begriff "Chatkontrolle" diskutiert wird? Die Vorratsdatenspeicherung ein schwebendes "Damoklesschwert" nannte gerade die Journalistengewerkschaft DJV. "Datenschutz nicht zum Täterschutz machen" lautet hingegen der letzte Satz im "SZ"-Kommentar zum jüngsten bekannt gewordenen, besonders erschütternden Fall von vielfachem Kindesmissbrauch.

Und weiterer mutmaßlicher Kindesmissbrauch taucht heute auf der Medienseite derselben Zeitung auf: "Einer der weltweit gefragtesten Fotografen für Kinder ..., der für die 'Vogue', für Dolce & Gabbana, für McDonald's, auch für das 'SZ-Magazin' und viele andere fotografierte", steht in Köln vorm Landgericht. Er soll, lautet die Anklage, "sechs der von ihm fotografierten Jungen im Alter zwischen sieben und 13 Jahren sexualisierte Gewalt angetan" haben, auch schwere, auch über Jahre.

Die "Süddeutsche", die also selbst zu seinen Auftraggebern zählte, nennt ihn auch vor der Bezahlschranke mit Klarnamen – was deshalb nicht neu ist, weil ein (online bei der "SZ" verlinkter) "Zeit"-Magazin-Artikel (€) schon vorige Woche den Mann als "wohl bekanntesten Kinderfotografen der Welt" namentlich nannte.

Während die "SZ" heute Argumente des Verteidigers, der von "Vorverurteilung" sprach, ausdrücklich nicht überzeugend findet, berichtet die "FAZ" auf ihrer bunten Seite mit Fragezeichen in der Überschrift "Missbrauch nach dem Fotoshooting?" und dem Satz "Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung" am Schluss vorsichtiger.

Da insgesamt 28 Verhandlungstermine "bis in den Herbst" geplant sind, dürfte von diesem Fall noch allerhand zu hören sein.

Ein weiterer im Krieg getöteter Journalist

Der Krieg gegen die und in der Ukraine ist weder vorbei, noch harmloser geworden, hat es bloß in der medialen Aufmerksamkeitskonkurrenz schwerer. Zu den neuen Todesopfern zählt nun auch ein westeuropäischer Journalist, Frédéric Leclerc-Imhoff vom privaten französischen Nachrichtensender BFM TV. Er ist "the eighth journalist to be killed in the field in Ukraine since the start of the invasion", zählen die internationalen Reporter ohne Grenzen.

Bislang sind 32 Journalisten getötet worden, sagte der ukrainische Präsident Selenskyj, schreibt die "Welt" (die zugleich von Instrumentalisierung durch russische Angreifer berichtet). Und dass Leclerc-Imhoff "gerade gedreht hatte, als er von einem Splitter getroffen wurde und starb", berichtet "Welt"-Fernsehreporter Max Hermes im dwdl.de-Interview.

Vor gut zwei Wochen hier Thema war die Frage, ob Streit zwischen Außen- und Innenministerium die Idee der ideell mit dem Thema befassten Kultur-/Medienstaatsministerin, "Berlin zu einem Zentrum der demokratischen russischen Gegenöffentlichkeit zu machen", unterlaufen. Inzwischen hat Bundesinnenministerin Faeser eine erleichterte Aufnahme regimekritischer russischer Journalisten angekündigt. "Erfreulich, aber es kommt viel zu spät", sagte der Chef der deutschen Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, mehreren Medien, etwa Deutschlandfunks "@mediasres" und der dpa, und zählte jeweils fortbestehende bürokratische Probleme auf.

Eine Reaktion aus Russland, nämlich die Forderung, "'Deutsche, die Olaf Scholz oder die Bundesregierung kritisieren' bevorzugt nach Russland einreisen zu lassen", entdeckte die "Berliner Zeitung" auf dem (in ihrem Artikel verlinkten) Telegram-Kanal des vorübergehenden kurzzeitigen Putin-Nachfolgers Dmitri Medwedew. Als Zeichen für einen wenigstens in der Form friedlichen Austausch über mediale Kanäle lässt sich das wohl nicht interpretieren. Ob sich aber Russen auf Medwedews Behauptung, Russland lasse Kriegsgegner "so schnell wie möglich zu den Deutschen gehen", beziehen können?

Noch mal ein harter Schnitt in diesem Altpapier, hinein in die Medien-Nische...

Die Shows gehen weiter

Nur vier Minuten, nachdem unsere ARD gestern den Einschaltquoten- und Marktanteils-Erfolg ihrer vorgestrigen Königin-Elisabeth-Doku vermeldete, konnte sie um 11.00 Uhr einen noch größeren Triumph verkünden: Ganze "11 der insgesamt 16 Preise" beim Grimme-Fernsehpreis 2022 gehen an ARD-Produktionen.

Das ZDF kann sich zwar über einen Preis für die wohl bekannteste aktive Kriegsreporterin der Öffentlich-Rechtlichen, Katrin Eigendorf, freuen (auch wenn es bei diesjährigen Preisen um den Ende Februar begonnenen Ukrainekrieg noch gar nicht geht). Insgesamt kommt es aber auf nur drei Grimme-Preise für die "ZDF-Familie" – und Torsten Körners Dokumentarfilm "Schwarze Adler" koproduzierte es ja mit dem Streamingdienst des Datenkraken Amazon.

Insgesamt laufen private Sender unter noch ferner liefen. Eine Preisträger-Liste mit kleiner Einordung ("Das 'ZDF Magazin Royale' geht damit in diesem Jahr ebenso leer aus wie die XXL-Reportage 'Nicht selbstverständlich', für die ProSieben im vorigen Jahr stundenlang das Programm freigeräumt hatte ...") gibt's bei dwdl.de. Dort wie auch beim Grimme-Institut selbst wird übrigens eine Politikerin zitiert, die beinahe mal hätte Bundeskanzlerin werden können, dann aber aus dem Verteidigungsministerium in die mediale Versenkung ging – außer beim Deutschen Volkshochschul-Verband, der bei Grimme-Preisen eine traditionell-historisch wichtige Rolle einnimmt.

Ebenfalls zitiert wird natürlich Institutsdirektorin Frauke Gerlach. Sie sagt,

"dass die Unterhaltung in ihrer vielschichtigen Ausprägung ein unentbehrlicher Bestandteil des Fernsehens ist. Dies gilt nicht nur für die privaten Sender, sondern auch für die öffentlich-rechtlichen, deren Programmauftrag gegenwärtig reformiert wird."

Dürfte ungefähr heißen: Wenn unter den sehr, sehr vielen Unterhaltungsangeboten, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen auf seinen sehr vielen linearen und nonlinearen Kanälen bietet, sich auch gute, preiswürdige finden, muss da nicht viel reformiert werden.

Wird wohl auch nicht, meldet tagesaktuell die "FAZ"-Medienseite (€). Sie hat den jüngsten Entwurf des novellierten Medienstaatsvertrags vorliegen, der von den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten schon morgen verabschiedet werden könnte. Zur strittigen Frage, ob und wie der sog. Auftrag künftig das Genre Unterhaltung umfasst, lautet die Passage nun:

"Die öffentlich-rechtlichen Angebote haben zu informieren, zu bilden, zu beraten, kulturelle Inhalte zu vermitteln und zu unterhalten/sollen auch unterhalten. Soweit sie unterhalten, sollen sie in besonderem Maße einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen."

Geht das so oder so (der "/" ist ja Verhandlungsmasse) durch, "müssen ARD und ZDF am Unterhaltungsüberfluss kaum etwas ändern", ordnet Helmut Hartung ein, lässt sich die Laune aber dennoch nicht verdrießen, sondern steigt in den Beitrag mit einem hübschen Wilhelm-Busch-Zitat ein. Diese "Ausdauer wird früher oder später belohnt – meistens aber später" dürfte trotz leichter Resigniertheit wohl das fröhlichste Satz dieses für Fröhlichkeit wenig Anlass bietenden Medien-Tages sein.


Altpapierkorb (Talkshows, Frauenfußball-EM-Fernsehrechte, ZDF-Fehlerkultur, Frankreich, Influencer, Schertz-Interview)

+++ Huch, hier eine selten zu hörende Ansicht, die ARD und ZDF vielleicht tatsächlich zu einer kleinen Programmreform veranlassen könnte: "Die Polit-Talkshows beginnen zu spät", klagt im "Tagesspiegel" Malte Lehming mit guten Argumenten vom Tagesablauf in Familien mit schulpflichtigen Kindern: "Wer den Informations- und Orientierungsauftrag ernst nimmt, sollte diesen Verdacht durch frühere Sendezeiten entkräften." Findet diese Ansicht Unterstützung, lagern die Öffentlich-Rechtlichen vielleicht doch ein paar ihrer unterhaltsam gedachten Krimis und Quizshows ins Nachtprogramm, in die Dritten oder zu 3sat aus.

+++ Immerhin in den diesjährigen Sommerferien, kann, wer möchte, mehr Getalke sehen als in der vorigen Sommerpause, weil da in dieser kein großes Sportereignis stattfindet ("Welt").

+++ Okay, außer der UEFA Frauen-Europameisterschaft im Fußball, deren Übertragungsrechte ARD und ZDF offenbar für Geld ("Deal"), aber ohne dass digitalfernsehen.de Zahlen nennen kann, auch an DAZN weiter vergab.

+++ Weitere Nachbereitung der Champions League-Finale-Berichterstattung (Altpapier): "In der Korrektur der eigenen Berichterstattung haben [Jochen] Breyer und das ZDF am Ende bewiesen, dass man medial auf Augenhöhe kommunizieren kann", lobt Andrej Reisin bei uebermedien.de transparenten Umgang mit Fehlern.

+++ "Wer auf Youtube, Instagram oder Facebook unterwegs ist, muss den Eindruck bekommen, dass Kinder im Netz digitales Freiwild sind", beklagen auf der "FAZ"-Medienseite die Youtuberin Alicia Joe und der Datenschutzrechtler Benedikt Buchner.

+++ Zwei Blicke nach Frankreich: Im "Tagesspiegel" sieht Joachim Huber die von Präsident Macron vorangetriebene Ersetzung der Rundfunkkgebühren durch Steuern als Ausweitung des staatlichen Einflusses, also kritisch. +++ Mehrheitlich direkt im Besitz des französischen Staates ist der Satellitenbetreiber Eutelsat, der weiterhin russische Staatssender ausstrahlt, berichtete Jürg Altwegg in der "FAZ".

+++ Der, nun ja, Influencer Fynn Kliemann wurde in der erwähnten Sendung "ZDF Magazin Royale" offenbar zurecht kritisiert. Andere, äh, Influencerinnen und Influencer bezahlte das ZDF für die Influencer-Dienstleistung des Werbens, und zwar fürs Werben für eine ZDF-Neo-Serie ("Welt": "Die kostenträchtigen Social-Spots laufen bei Instagram schon mal zwischen Werbung für Chanel-Handtaschen oder für das 9-Euro-Ticket").

+++ Und das hier schon erwähnte "epd medien"-Interview, in dem der prominente Medienanwalt Christian Schertz u.a. auch beklagt, dass "das Bundesverfassungsgericht unter der Leitung des Präsidenten, der ja aus der Politik kommt und sehr nah bei der Kanzlerin war", aus politischen Motiven gar nicht über Böhmermanns Erdogan-Schmähgedicht verhandelte, steht derzeit vollumfänglich frei online.

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.

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