Das Altpapier am 10. Mai 2022: Porträt des Altpapier-Autoren Christian Bartels
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Das Altpapier am 10. Mai 2022 Medienpolitik darf keine Nische (mehr) sein

10. Mai 2022, 10:58 Uhr

Gefährden Werbeverbote die Demokratie? Gerät digitales Antennenfernsehen in Gefahr? Wird in Kürze der nächste Medienstaatsvertrag fertig? Außerdem: Facebooks Instagram möchte sich tiktokisieren. Ein Altpapier von Christian Bartels.

Wo die Privatmedien-Lobby jedenfalls recht hat

Natürlich ist der Vaunet-Verband Privater Medien eine Lobbyorganisation, die ebenso mit Recht eigene Positionen vertreten darf, wie alle anderen diese hinterfragen müssen. Doch wo der Verband recht hat, hat er einfach recht, zum Beispiel mit der Aussage:

"Aus Sicht der Politik ist Medienpolitik eine Nische, das ist aber eine Fehleinschätzung."

Das sagte der noch neue Vorstandsvorsitzende Claus Grewenig vorige Woche in einem "Welt"-Interview. Was er gleich darauf nachschob ("... wichtiger Motor der Kultur- und Kreativwirtschaft, die nach der Automobilindustrie und dem Maschinenbau der drittgrößte Wirtschaftszweig in Deutschland ist"), klingt nach Lobby-Gedöns. Und wie die "Welt", die als Fernsehsender selber Vaunet-Mitglied ist, das Interview obendrüber ankündigte, mit womöglich bald drohenden Werbeverboten, die eine "mögliche Gefahr für die Demokratie" darstellten, mutet überkandidelt an. Wobei Grewenigs konkrete Aussage dazu, dass es "bei Lebensmittelprodukten, die viel Fett, Salz oder Zucker enthalten und die in der Werbung gezielt an Kinder gerichtet sind", absurd wäre, wenn "vor allem die Werbung selbst eingeschränkt wird, nicht aber das weiterhin vollkommen legale Produkt", völlig zutrifft. Sind die Lobbys von Unternehmen, die Lebensmittel mit zu viel Fett oder Zucker herstellen, längst einflussreicher als die, die Medieninhalte herstellen, weshalb politische Versuche, Verbote zu verhängen, dann halt eher letztere treffen?

Es lohnt jedenfalls, das Interview zu lesen – auch weil es auf welt.de, ohne Bezahlschranke, zwischen solchen Werberahmen zu lesen ist, in denen Nutzern nach dem, was über ihre mutmaßlichen Vorlieben bekannt ist, sehr präsente, leicht bewegte Werbung angezeigt wird. Was kein Vorwurf ist: Private, nicht aus dem Rundfunkbeitrag bezahlte Medien finanzieren sich eben vor allem so. Und wegen weiterer angesprochener Randaspekte. Schließlich müssen Lobbyvertreter immer einen Bauchladen an Forderungen dabei haben, damit die eine oder andere durchdringt. Grewenig sagt etwa noch:

"Es gibt Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Werbetöchter, Podcasts auf Plattformen wie Spotify, Apple, Amazon und so weiter mit Werbung auszuspielen. Das würde die Grenze zum Onlinewerbeverbot, was ja gilt, auflösen"

Wie genau Öffentlich-Rechtliche mit Konzernen des Plattformkapitalismus, die oft ja sowohl Infrastrukturen mit Riesen-Reichweite als auch unmittelbare Wettbewerber (privater wie öffentlich-rechtlicher) Medienanbieter sind, umgehen sollen, zählt zu den ungeklärten Fragen in der Politik-Nische Medienpolitik. Dabei wären Vorgaben sinnvoll, schon weil wenig dafür spricht, dass die Öffentlich-Rechtlichen von alleine sinnvolle Antworten finden.

MStV, "mächstigste Medienmaschine", Frequenzenstreit

Zwei medienpolitisch wichtige Zeitpunkte kündigte die "FAZ"-Medienseite am Samstag an: Am 2. Juni könnten die Ministerpräsidentinnen und -denten den Medienänderungsstaatsvertrags als Entwurf verabschieden, der am 1. Januar 2023 "in Kraft treten könnte". Allerdings reißt Helmut Hartung dann noch ein kleines Füllhorn weiterer weiterhin offener Fragen aus. Neben der aus der öffentlichen Debatte am ehesten vertrauten Unterhaltungs-Frage (vereinfacht: ob ARD-Sender und ZDF auch künftig derart viele Quizshows senden dürfen bis sollen, weil da ja auch Wissen gamifiziert wird) zähle auch das "Qualitätsmanagement der Gremien" dazu. Bislang managt die Medienpolitik die Besetzung der Rundfunkgremien ja so, dass vor allem Mitglieder bzw. Freunde der jeweiligen Bundesland-Regierung darin vertreten sind.

Zu wesentlich größeren, abstrakteren Fragen der Medienpolitik bietet ein weiterer der zahllosen Twitter-/Elon Musk-Artikel einen guten Erklärungsansatz dafür, warum die Politik in der was-mit-Medien-Nische der tatsächlich umso dynamischeren Entwicklung der Medien hinterherhinkt (und das auch nicht anders geht, solange Politik nicht, wie es Diktaturen oft erfolgreich tun, Medien ins eigene System zwängt). Das hänge damit zusammen, meint die "Neue Zürcher Zeitung",

"dass die Politik nachholt, was in der Wirtschaft seit zwanzig Jahren läuft: Die Digitalisierung bewirkt, dass das Angebot explodiert und sich in vielen Bereichen ein Aggregator als 'Navigationshilfe' durchsetzt, dessen Bewertungsmassstäbe von einer Mehrheit der Nutzerinnen unhinterfragt akzeptiert werden. Google liefert die besten Websites, Amazon die besten Waren, Spotify die beste Musik. Und zunehmend finden die sozialen Netzwerke die 'besten' Meinungsäusserungen."

Die Politik bzw. deren Vertreter setzen sämtliche Mittel ein, damit ihre jeweiligen Äußerungen dazu gehören. Auch Twitter zeigt eingeloggten Nutzern ja voreingestellt "die besten Tweets zuerst" an – wobei diese "besten" die nach algorithmischer Einschätzung auf Basis heftigen Trackings mutmaßlich emotionalisierendsten Tweets sind. Daher sei das "notorisch ertragsschwache" Twitter dennoch "die wohl mächtigste Medienmaschine der Welt", lautet ungefähr Ulrich Macholds These.

Und zu technischen bis physikalischen, daher schwerer vermittelbaren und umso seltener behandelten Themen der Medienpolitik gibt's auch Neues. Nich dass Vaunet-Vertreter Grewenig im erwähnten Interview gestellten Frage, ob denn noch/ schon "ein Abschaltdatum für UKW" (um den schon lange erwarteten Durchbruch des digitalen Antennenradio zu befördern) feststehe, sagt: "Diese Debatte findet aktuell nicht statt". Sondern dass das mögliche "Aus für DVB-T2", also das digitale Antennenfernsehen, drohe.

Dieses neue bzw. wenig beachtete Fass macht Torsten Zarges bei dwdl.de auf. Da geht es um Frequenzen im ultrahohen Spektrum zwischen 470 und 694 MHz, auf die "Polizei, Militär und Mobilfunk ... Anspruch" erheben, obwohl derzeit DVB-T2-Fernsehen sowie drahtlose Mikrofone bei Kultur- und überhaupt Veranstaltungen dieses Spektrum nutzen.

"Die Abwägung zwischen Rundfunk, Kultur und innerer Sicherheit dürfte sich noch als dicker Brocken erweisen", glaubt Zarges. Und sie läuft bereits. Zwar habe die Rundfunkkommission der Länder, die ja auch die Medienstaatsverträge austüftelt, sich für die DVB-Nutzung ausgesprochen, doch nähmen die "Innenminister derselben Bundesländer", die im Zweifel mehr Durchsetzungskraft besitzen, die Gegenposition ein. Und die für so was auch mit zuständige Bundesnetzagentur hält einen "Wegfall der Rundfunknutzung" für eines der denkbaren Szenarien.

Insofern hat sich eine ungewöhnliche "Allianz für Rundfunk- und Kulturfrequenzen" gebildet, der außer unserer ARD, ZDF und Deutschlandradio auch der erwähnte Vaunet-Verband, der Sendernetz-Betreiber Media Broadcast und die Audiotechnik-Firma Sennheiser angehören (Und dass Sennheiser den Adorno/Horkheimer-Begriff "Unterhaltungsindustrie" verwendet, wenngleich wohl nicht ganz in Adornos Sinne, verdient Respekt ...). Anlass für Zarges' Artikel ist eine von ihm moderierte Podiumsdiskussion auf der Angacom-Messe, die heute in Köln beginnt. Etwas mehr vom Thema dürfte man also demnächst hören.

Instagram tiktokt, DLF vertont "SZ"-Redakteur nach

Beliebte oder zumindest gewohnte Publikumsmedien verändern sich, allerdings keineswegs unbedingt zu ihrem Vorteil. Dafür gibt es zwei aktuelle Beispiele, eines bei den sogenannten sozialen und eines bei den alten, klassischen Medien.

"Instagram will Tiktok werden", beklagt heute auf der "FAZ"-Medienseite Andrea Diener. Das bezieht sich auf eine Videobotschaft des Instagram-Chefs Adam Mosseri, denen zufolge die Plattform mit größeren, Smartphone-Displays ausfüllenden Fotos und vor allem Videos "immersiver" werden möchte, sowie auf entsprechende Experimente, die bei einigen Nutzern des Dienstes bereits ausgespielt werden. Wer immer sog. sozialen Medien skeptisch gegenüber steht, sollte sich diese Videobotschaft nicht entgehen lassen.

Diener erklärt gut, wie Instagram bislang funktioniert und was seinen Reiz ausmacht (dass es "von allen sozialen Netzwerken das noch am wenigsten toxische und auch deshalb bei weiblichen Nutzern so beliebt" sei), aber auch, was sich in ihrem Account änderte. Das gehe vor allem zu Lasten unbewegter Fotos, durch die Instagram ja groß wurde:

"Neu ist nun, dass die Bilder ihren ruhigen weißen Rahmen verlieren. Sie bekommen am unteren Rand einen dunklen Verlauf verpasst, in dem nun weiß die Bildunterschrift einläuft, aber nur die erste Zeile. Den Rest muss man erst anklicken, dann scrollen. Das geht nicht nur auf Kosten des Bildes, das nicht mehr komplett zu sehen ist, sondern auch auf Kosten des Textes. Viele große Medien müssen sich nun neue Strategien überlegen – die bisher beliebten Zitatkacheln sind unlesbar geworden ..."

Wobei Zitatkacheln ja eher nicht zu den 50 idealsten Formen des schriftlichen Journalismus gehören und es aus der Perspektive der Plattformkapitalismus-Kritik gut wäre, wenn der Facebook-Konzern sein Instagram selber zerstören würde. Wer sonst hätte die Möglichkeiten dazu?

Wer sich womöglich auch selber zerstört, weil der Eigentümer von "etwa 90%" des Ladens Stellen streicht und offenkundig weniger zahlt als die Konkurrenz: die "Süddeutsche Zeitung". Das vermutet zumindest Deutschlandfunks "@mediasres" in einem bemerkenswerten Beitrag. Wer das Münchener Blatt (und Onlinemedium) kürzlich verließ, sind

"Kommentarchef Stefan Ulrich, die Korrespondenten Christoph Giesen, Leo Klimm, Thorsten Denkler, Nadia Pantel, Oliver Das Gupta, der Religions-Experte Matthias Drobinski, Charlotte Haunhorst, Bastian Obermayer, Frederik Obermaier",

sowie dann noch Nico Fried aus der Berliner Parlamentsredaktion. Dass auch er, wie diverse der Genannten, zum "Spiegel" geht, der mit höheren Gehältern für bekannte Journalisten "neues Renommee aufzubauen" versuche, wird vermutet. Jedenfalls fühlt sich der Bamberger Medienwissenschaftler Markus Behmer an die "Abwerbeschlacht" (DLF) bzw. den "Feuilleton-Krieg" (Behmer) ums Jahr 2000 herum erinnert, als "FAZ" und "SZ" einander mit viel Geld, wenn nicht Blankoschecks prominente Namen abwarben. Wozu streng genommen erwähnt werden müsste, dass dieser – unglückliche Metapher heute – "Krieg" auf jeweils fataler erst Über-, dann Unterschätzung des damals jungen Internets basierte und seine Gewinner, wenn es welche gab, mittelfristig die heutigen Giganten des Plattformkapitalismus waren.

Nicht unspektakulär jedenfalls, wie der Deutschlandfunk einen "SZ"-Redakteur, der ihm Sätze wie "Aktuell ist es grauenvoll bei der 'Süddeutschen'" sagte, wegen erwünschter Anonymität nachvertonte – als handele es sich um eine Recherche bei der Camorra (oder bei Amazon). Nicht unspektakulär aber auch, dass die redaktionelle "SZ"-Doppelspitze Wolfgang Krach und Judith Wittwer, die ein DLF-Interviewanfrage abgelehnt habe, im "medium magazin" die eigene Geschäftsführung kritisierte, aber auch ankündigte, gleich auch wieder "rund 50 Journalistinnen und Journalisten neu einstellen" zu wollen, wie kress.de meldet.


Altpapierkorb (Shitstorm wg. Welzer bei Will, Verbot russischer Staatsmedien, EU-Kommission vs. Apple, IFA, Fuhst)

+++ Das wird die Social Media-Redaktionen der ARD freuen: Einer "der heftigsten Shitstorms seit Kriegsbeginn" wurde in der "Anne Will"-Show erzeugt, wie die "taz" notiert. Okay, durch Harald Welzer (also einen "taz Futur zwei"-Spezi), aber in der ARD. +++ Am überzeugendsten zwischen Welzers Auftritt ("sehr unglücklich") und seiner Meinung, die niemand teilen muss, die aber legitim ist, differenziert Nele Pollatschek auf der "SZ"-Medienseite (€): "Diese Verbreiterung des Meinungsspektrums ist wichtig, schließlich ist laut einer in der Sendung zitierten Umfrage fast die Hälfte der Deutschen gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Und es ist nie gut, wenn in den öffentlichen Medien einer Demokratie die Meinung einer Hälfte der Bevölkerung nicht sichtbar wird." Dafür haben auch unsere Öffentlich-Rechtlichen schon viele Beweise geliefert.

+++ "Von Niklas Luhmann stammt die Feststellung, dass im Rechtsstaat der Schluss vom richtigen Zweck auf die Mittel verboten sei": Da führt der Rechtsphilosophie-Professor Christoph Möllers auf der "FAZ"-Medienseite (€) die Debatte fort, ob es richtig oder eher kontraproduktiv ist, wenn die EU (und die deutschen Medienanstalten ja auch) russische Staatsmedien per verbieten.

+++ Sozusagen auch Medienpolitik: wie die EU-Kommission gegen Apple vorgehen möchte, aktuell wegen dessen Weigerung, Banken und unabhängigen Dienstleistern Zugriff auf die "verschlüsselte Nahfeldkommunikation", also die NFC-Funktion seiner Mobilgeräte zu erlauben. Es handele sich um "ein Vorspiel für die Anwendung des Digital Markets Act", meint Christian Rath in der "taz".

+++ Da es oben um eine Messe-Veranstaltung (bei denen man sich ja immer vergegenwärtigen muss, wann sie zuletzt und ob sie künftig wieder real stattfinden) ging: Einiges ist auch los um die Alt-Berliner IFA, die im Sommer wieder steigen soll. Eine Rolle spielt auch ein Unternehmen aus dem "Imperium des Berliner Unternehmers Werner Gegenbauer" (also des aktuellen Präsidenten des Fußballvereins und mittelfristigen Champions League- und kurzfristigen Zweitliga-Aspiranten Hertha BSC). Hier fasst heise.de u.a. zusammen, was die "Berliner Morgenpost" berichtete.

+++ Und ein auf dem Umweg über David-Bowie-Fantum menschelndes Porträt des "Tagesthemen"-Redaktionsleiters Helge Fuhst, an dessen Ende auch noch verraten wird, welchem Fußballverein Fuhst anhängt, schrieb Senta Krasser für den "Tagesspiegel".

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.

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