Sport | Diskussion "Ost-, Ost-, Ostdeutschland" – Kommentar nach den Schmähungen gegen RB Leipzig in Köln
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21. März 2024, 17:00 Uhr
"Wir hassen Ostdeutschland!" schallte es Profis und Fans von RB Leipzig ausgerechnet am "Aktionsspieltag gegen Diskriminierung" im Kölner Stadion entgegen. Ein Sinnbild für die seit jeher währende Abneigung gegen den Osten, meint MDR-Sachsen-Redakteur Sven Rohrbach.
Wie kann man die Absurdität der Schmähungen, denen die meisten Spieler und Verantwortlichen von RB Leipzig nicht erst seit dem letzten Auswärtsspiel beim 1. FC Köln immer wieder ausgesetzt sind, erklären? Sie, die bis auf das Trainertrio aus Österreich, Schwaben oder ferneren Ländern stammen, werden als Ostdeutsche beschimpft und verunglimpft. Der aus dem Westen stammende LVZ-Reporter Guido Schäfer hat seinen Kommentar zu dieser Abstrusität geschrieben.
Vereinfachte, vor Vorurteilen triefende Zuschreibungen
Dem stimme ich gern zu und behaupte: Der Hass, den RB vor allem im Westen auf sich zieht, ist ein Hass auf den Osten, geschürt durch die Erzählmuster über Ostdeutsche durch westdeutsche Medien, ostdeutsche gibt es ja kaum mehr. Über diese vereinfachenden und von Vorurteilen triefenden Zuschreibungen hat der Literaturwissenschaftler Dirk Oschmann in seinem Bestseller "Der Osten, eine westdeutsche Erfindung" alles gesagt.
Was bleibt, ist die empörte Verwunderung des Westens darüber, dass sich ein Weltkonzern wie Red Bull entschieden hat, in eine ostdeutsche Stadt zu investieren, eben nicht in eine westdeutsche. Wäre Red Bull nach Kassel oder Braunschweig (nach Jägermeister nun Red Bull) gegangen, hätte sich die Aufregung schnell gelegt, denn mit Leverkusen, Hoffenheim und Wolfsburg hat man ja schon drei Werksteams hübsch in die Bundesliga integriert.
Das westdeutsche Bild der DDR: Doping, Stasi, Drill
Gibt es eine Studie, eine wissenschaftliche oder journalistische, über die Integration Ostdeutscher in den gesamtdeutschen Sport? Mir ist keine bekannt. Wenn man überhaupt von Integration sprechen kann, war sie geprägt von Abneigung und den oben erwähnten Zuschreibungen, die so oft wiederholt wurden, bis sie zu Synonymen wurden: Doping, Stasi, Drill. Die oft gehörte Floskel, Sport sei ein Bild bzw. ein Teil der Gesellschaft trifft hier durchaus zu.
Sämtliche Infrastruktur des DDR-Sports, die Talentgewinnung, die Trainerausbildung, die Sportwissenschaft wurden mindestens in Frage gestellt oder abgebaut. Den Sportlern ging es nicht anders als anderen Ostdeutschen, schlimmer noch, kurz nach der Wende waren sie auch von Ostdeutschen ob ihrer Vorteile in der DDR angefeindet worden.
Weißwasser, Berlin oder Dresden erfuhren pure Ablehnung
Allein das Wort "ostdeutsch" kommt sicher manchem irritierend vor, doch es existiert bereits seit Anfang der 1990er Jahre. Die beiden Eishockeyvereine Dynamo Weißwasser und Dynamo Berlin wurden durch den DEB als erste schon 1990 in die Bundesliga aufgenommen. Und sie erfuhren, was später andere Mannschaften durchmachten: pure Ablehnung. Sie wurden von Schiedsrichtern benachteiligt, sie hatten keinen wirtschaftlichen Rückhalt, wurden von westdeutschen Managern übernommen, was nicht selten in Insolvenzen und oder in Abstiegen endete. In den Stadien riefen ihre Fans: "Ost-, Ost- Ostdeutschland". In diesem Zusammenhang darf ich die "Sport im Osten"-Serie von Uwe Karte über die Bundesligajahre von Dynamo Dresden empfehlen.
1992: Pfiffe gegen Astrid Strauß, Tränen von Dagmar Hase
In nämlicher Zeit rührten die Tränen von Dagmar Hase bei ihrem denkwürdigen ZDF-Interview mit Günther Jauch zumindest für einen Moment gesamtdeutsch zu Herzen. Dagmar Hase hatte gerade sensationell gegen Janet Evans Gold über 400 Meter Freistil bei den Olympischen Spielen in Barcelona gewonnen. Ihre Tränen waren nachholende, da ihre ostdeutsche Schwimmkollegin Astrid Strauß nach einem Dopingbefund noch im Mai 1992 ein Olympia-Ausscheidungsrennen bei der Deutschen Meisterschaft in München bestreiten durfte.
Nachdem sie sich über 800 m Freistil qualifiziert hatte, wurde sie gnadenlos von der ganzen Halle ausgepfiffen, sie musste den Weg der 50 Meter Bahn an den hasstriefenden Bayern vorbeigehen. Der Verband empfahl dem NOK trotz Qualifikation, Strauß nicht für Barcelona zu nominieren. Dagmar Hase weinte unter anderem ihretwegen.
Etwas anders der Doping-Fall Dieter Baumann: Als einigermaßen sicher feststand, dass eine manipulierte Zahnpastatube der Grund für seine positive Probe sein sollte, wurde mittels eines anonymen Briefs ein Täter ausgemacht. Es war Bernd Schubert, Bundestrainer beim DLV, Ostdeutscher, der in die DDR-Dopingpraktiken involviert war und natürlich hinter der Zahnpasta-Manipulation stecken musste. Die Ermittlungen liefen ins Leere.
Und was war mit dem BRD-Dopingsystem?
DDR-Sportler haben vor der Wende gedopt, und manche haben es nach der Wende getan, siehe die Trainingsgruppe Springstein, Falk Balzer oder später der Radsportarzt Mark Schmidt. Die Aufarbeitung des DDR-Dopingsystems ist unter anderem dem Biologen Werner Franke und seiner Frau Brigitte Berendonk zu verdanken. Er war es aber auch, der die Dopingpraktiken der BRD schon in den 1970er Jahren aufzudecken versuchte.
Was aber war mit dem Dopingsystem der BRD? Aufgearbeitet wurde dieses durch zwei Kommissionen von der Universität Freiburg, dem Hort des organisierten Dopings. Die Veröffentlichungen der Ergebnisse verzögerte sich, wurden teilweise gekappt. Klar ist nun, an dieser Universität wurde jahrelang systematisch gedopt. Wie viele hat dies interessiert, ging ein Aufschrei der Empörung durch das Land? Nein. Für die Universität war das Kapitel mit der "Aufklärung" erledigt. Dirk Oschmann erwähnt die Verhinderung der Veröffentlichung einer Studie der Berliner Humboldt-Universität von 2013 zu diesem Thema, angeblich wegen möglicher Verletzungen von Persönlichkeitsrechten.
Christian Prokop – der einstige Nagelsmann des Handballs
Ich kann und will hier nicht alle Fälle der letzten 34 Jahre aufzählen, in denen ostdeutsche Sportler, Trainer und Funktionäre nicht wegen ihrer Fähigkeiten ausgebremst wurden, sondern wegen ihrer Herkunft. Ein komplexer Fall wäre sicher der Gewinn Leipzigs bei der deutschen Vorauswahl für die Olympiabewerbung 2012, der größte anzunehmende Betriebsunfall des NOK. Was danach passierte, glich einer medialen Vernichtung der gesamten Leipziger Bewerbung. Das zu erörtern, würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen.
Ein Beispiel wäre aber der Handballcoach Christian Prokop. Er wurde 2017 Nationaltrainer, nachdem man ihn, um Prokop im Westen attraktiv zu machen, als Nagelsmann des Handballs (immerhin nicht des Ostens) bezeichnete. Er blieb es drei Jahre lang, bis er nach einem 9., 4. und 5. Platz bei den Jahreshöhepunkten entlassen wurde. Bei einem seiner letzten Spiele riefen die DHB-Fans "Ossis raus!" Sein Nachfolger durfte bei einer schlechteren Bilanz die Olympia-Qualifikation vorige Woche noch spielen, dies war dem gebürtigen Köthener Prokop 2020 nicht mehr vergönnt.
Hoeneß, Mateschitz und Werners Schwalbe
Was hat dies alles mit RB Leipzig zu tun? Von Anfang an wurde RB eben nicht nur wegen des Konstrukts des Vereins, sondern wegen der ostdeutschen Herkunft kritisch beäugt, von den die Bundesliga begleitenden Medien und natürlich von den Kontrahenten. Unvergessen die Einlassung von Ulrich Hoeneß: "Wir haben neben Dortmund einen zweiten Feind", was ihn nicht daran hinderte, zusammen mit Dietrich Mateschitz in München eine neue Großarena aufzubauen.
Als im Dezember 2016 der Ur-Schwabe Timo Werner gegen Schalke 04 – RB war Tabellenführer und spielte erfrischenden Fußball – eine Schwalbe in Minute 1 vollführte, brach sich erstmals der gesamte Hass auf Leipzig Bahn. Der Sky-Reporter bekam sich nicht mehr ein, erzählte bis zur Pause mehrmals, dass diese Schwalbe eine Schwalbe sei, die den Spielverlauf auf den Kopf stellte, dass sie ein Unding sei usw. Die gesamte Presse stimmte ein. Timo Werner wurde danach als Nationalspieler ausgepfiffen, wird immer noch als Hurensohn singend tituliert. Würde er woanders, sagen wir in Leverkusen oder Wolfsburg, gespielt haben, hätte er ein ruhigeres Leben, auch nach einer Schwalbe.
Der Unterschied zwischen Schalke und Cottbus
Der gleiche Sky-Reporter bekam sich ebenfalls nicht wieder ein, als Schalke sich mit einer eindrucksvollen Choreographie von der Steinkohle 2018 emotional verabschiedete. Dies geschah mit Hilfe von vielen Milliarden an Steuergeldern. Dass dies nun in der Lausitz zum Teil auch in Leipzig mit der Braunkohle passiert, wurde bei diesem Sender nie thematisiert, warum auch? Als Energie Cottbus sich ab dem Jahr 2000 für drei Jahre in der Bundesliga hielt, spielte nur eine Rolle, dass Eduard Geyer kaum Deutsche aufstellte, was sich leicht durch die finanzielle Lage erklären ließ, eine Erklärung, die aber in vielen Medien ausblieb.
Der Lausitzer Liedermacher Gerhard Gundermann sagte kurz nach dem Pogrom in seiner Heimatstadt Hoyerswerda 1991: "Wenn all jenen, die nicht wissen, wovon sie reden, die Zunge herausgeschnitten wird, würde sich doch eine erholsame Stille ausbreiten und in den Fleischerläden gäbe es viel billige Wurst."
Die meisten RB-Akteure haben mit Ostdeutschland nichts zu tun
Nun, ich plädiere nicht für die Stille, was ich anmerken wollte, dass RB Leipzig ein ostdeutscher Verein ist und als solcher behandelt wird, auch wenn die meisten der RB-Akteure mit Ostdeutschland nichts zu tun haben. Eine Absurdität, die sich durch eine generelle Abneigung vieler Westdeutscher gegenüber Ostdeutschen entwickelt hat und die sich durch eine vereinfachende, herablassende und verhöhnende Sicht auf uns ergibt.
Der westdeutsche Dichter Goethe, der sich im ostdeutschen Weimar sehr zu Hause fühlte, bezeichnete dieses Phänomen als "velociferisch", frei übersetzt: "Die Eile ist des Teufels." Er glaubte, dass schnelle Urteile ohne Erfahrungswerte zu gesellschaftlichen Spaltungen führten. Dies wird auch der Sänger Gil Ofarim nunmehr wissen, der übereilt ein Vorurteil über Ostdeutsche bediente und log. Er hatte – übereilt – nicht bedacht, dass er in Leipzig weilte, seit jeher eine weltoffene Handelsstadt.
Einfach, das haben die letzten 34 Jahre gezeigt, ist das Weltbild der Westdeutschen in Bezug auf den Osten durchaus, nicht nur in Eile. Wir werden es nicht differenzierter machen können. Aber wir können als MDR weiterhin versuchen, ein der Realität nahes Bild der Ostdeutschen zu zeigen.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Sport im Osten | 16. März 2024 | 14:00 Uhr
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