Reportage Woran Schamanen, Hexen und Neuheiden glauben
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21. Oktober 2024, 11:00 Uhr
Götter anrufen, Met auf dem Altar opfern und das Trinkhorn kreisen lassen – solche Rituale wirken für Außenstehende befremdlich. Woran glauben die Neuheiden und was ist dran am Vorwurf, sie seien rechte Esoteriker? Ist das Neuheidentum nur ein harmloser Kult, der die Sehnsucht nach Naturnähe und Spiritualität in durchdigitalisierten Zeiten stillt? Oder Nährboden für völkisch-rassistisches Gedankengut? Das ergründen die Filmemacher Alexander Bartsch und Peter Podjavorsek in ihrer Doku "Schamanen, Hexen, neue Heiden: Die Rückkehr der alten Götter".
Voenix ist Schamane und in der neuheidnischen Szene bekannt. Er ist auf Veranstaltungen in ganz Deutschland unterwegs, etwa beim Wolfszeit-Metalfestival in Leipzig. Er ist Künstler und baut Masken, er ist Buchautor und betreibt den You-Tube-Kanal "Heiden-TV" mit immerhin 12.000 Abonnenten.
Schamane Voenix: Rückbesinnung auf Traditionen und Natur
Der 53-Jährige sagt, er wolle alte Kulte wiederbeleben und in den Zusammenkünften der alten Götter gedenken, so wie in den Zeiten "bevor die Kirche kam" mit ihren Hierarchien und Dogmen. Bei Ritualen wie den so genannten Blots macht üblicherweise ein Horn mit Met die Runde.
Das Heidentum zieht schon sehr viele bunte Vögel an. (...) Man darf individuell sein. Man muss sich nicht den Regeln einer monotheistischen Religion unterordnen.
Voenix, der mit bürgerlichem Namen Thomas Vömel heißt, sieht nicht nur das Christentum, sondern auch das moderne Leben skeptisch. Er ist überzeugt, dass sich die Menschen zurückbesinnen sollten: Weg von der Hektik, der Missachtung der Traditionen und dem rücksichtslosen Umgang mit der Natur. Die erlebten viele heute nur noch bei Freizeit-Events am Wochenende, obwohl sie doch die Grundlage unseres Lebens sei, sagt Voenix. Er will die Verbindung zur Natur wiederherstellen, "vor allem zu den Geistern, den Elementarwesen" und beruft sich auf altes, spirituelles und heilsames Wissen.
Germanenforscher Simek: Wenig Überlieferung
Von den ursprünglichen Kulten oder Traditionen ist allerdings wenig überliefert, wie der Philologe, Skandinavist und Mediävist Rudolf Simek betont, der seit langem zur germanischen Religion und Mythologie forscht und lehrt. Zwar gebe es archäologische Funde, die auf Opfer- oder Grabbräuche schließen ließen. Da die germanischen Völker aber nicht schriftkundig gewesen, stammten erste Überlieferungen, die etwa von deren Naturverehrung erzählten, aus Quellen wie der "Germania" des römischen Geschichtsschreiber Tacitus oder von christlichen Missionaren, wie Simek weiter erklärt. Ausgerechnet von denjenigen also, die die Heiden zu "Ungläubigen" stempelten.
Was wir über die Religion der Germanen der Frühzeit wissen, wir sprechen ja hier von den ersten fünf Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, ist herzlich wenig.
Phänomen der Moderne: Neuheiden als rechte Esoteriker?
Deren selbsternannte Nachfolgerinnen und Nachfolger bezeichneten sich bewusst als neue Heiden, um sich von der christlich-jüdischen Tradition abzugrenzen und das schon zum Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich mit den Nationalstaaten auch nationalistisch-völkisches Gedankengut und Rassetheorien etablierten. Dabei handelt es sich damals wie heute bei der neuheidnischen Szene um keine einheitliche Gemeinschaft, sondern eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Gruppen. Als Schamanen oder Druiden, als moderne Hexen oder Magier lebten und leben sie ihre Vorstellung vom Heidentum meist unabhängig voneinander. Was sie für Außenstehende immer noch zu einen scheint, ist ein zweifelhafter Ruf: Sie gelten vielen als rechte Esoteriker.
Die Literaturwissenschaftlerin Stefanie von Schnurbein hat die Ursprünge und Facetten des Phänomens 30 Jahre lang intensiv erforscht. Sie schrieb darüber, wie das moderne Heidentum letztlich aus der völkischen Szene des frühen 20. Jahrhunderts entstand.
Man muss sich das als ein lebendiges Feld von Erneuerungsbewegungen vorstellen, die aber auch sehr konservativ oder reaktionär ausfallen konnten. Und sie alle reagierten auf die technisch-industrielle Modernisierung der Zeit.
Schnurbein zeigte auf, dass einige der Gruppen heute tief in der rechten Szene verankert sind. Zugleich meint sie, dass sich viele neue Heiden seit den Neunzigerjahren intensiver mit der Altlast auseinandersetzten und sich glaubhaft von Rechts abgrenzten. Das bekam auch Voenix zu spüren, als er 2018 auf Heiden-TV eine vierteilige Filmreihe über die Swastika, also die Symbolik des Hakenkreuzes herausbrachte. Damit würde er der Öffentlichkeit nun wieder Munition für die Diskreditierung der gesamten Neuheiden-Szene liefern, lautete die Kritik.
Wicca Sinmara: Von der Theologin zur modernen Hexe
Gudrun Pannier alias Sinmara spricht lieber von Paganismus als von Heidentum, um die Assoziation mit rechts-völkischem Gedankengut zu vermeiden. Zudem sähen viele Menschen in Heiden die Gottlosen, so betont die 54-Jährige: "Heiden sind aber nicht die ohne Gott, sondern die mit den vielen Göttern." Und:
Wir Menschen sind Teil der Natur. Wir sollten aufpassen, dass wir sie nicht zerstören. Das ist etwas, was der Paganismus uns lehrt. Auch im Blick auf die, die nach uns kommen: Sei die Ahnin oder der Ahne, auf die andere mal mit Stolz blicken.
Aufgewachsen zu DDR-Zeiten in der Chemieregion Bitterfeld kam Pannier über die Umweltbewegung zur Kirche, ließ sich mit 16 taufen, studierte Theologie, hatte nach dem Mauerfall ihr Coming Out als Lesbe. Gleich nach dem Examen trat sie aus der protestantischen Kirche aus, weil sie sich dort nach eigenem Bekunden nicht mehr zuhause fühlte.
Heute praktiziert sie als Hexe oder Wicca, wie es in der Szene heißt. Trotz ihrer Faszination für Mystik und Spiritualität will Sinmara, die als IT-Dozentin arbeitet, nicht zurück in eine angeblich bessere Zeit. Nach einem Ritual draußen in Regen und Kälte wisse sie ihre Zentralheizung zu schätzen. Sie betreibe ihren Paganismus "mit beiden Füßen in der modernen Welt" und glaube nicht irgendwelchen "Schwurbelquatsch".
Darüber hinaus engagiert sie sich religionspolitisch. Sinmara vertritt die neuen Heiden bei der "Langen Nacht der Religionen" in Berlin und setzt sich für eine Anerkennung der Heiden als Religionsgemeinschaft ein.
Luna: Jüngstes Mitglied im Eldaring
Mit rund 400 Mitgliedern ist der Eldaring der größte germanisch-heidnische Verein in Deutschland. Als jüngstes Mitglied wurde die 18jährige Luna Schmeing aufgenommen. Mit ihrer Familie lebt sie im katholisch geprägten Münsterland. Während ihr Vater sich dem keltischen Heidentum nahe fühlt, bezeichnet sich Luna als germanische Heidin. Was sie eint, sind familiäre Rituale wie das Binden eines sogenannten Wintermannes aus Getreidehalmen – der soll vor Kälte und Hunger schützen und zeigt an, dass der Jahreskreis zum Ende kommt, um zugleich wieder neu zu beginnen.
Über all das öffentlich zu sprechen, etwa über ihre Gottheiten Odin, Thor oder Loki wie neulich vor ihrer Berufsschulklasse, das war für sie und ihre Familie lange nicht selbstverständlich. Inzwischen zieht Luna aus ihrem Bekenntnis Kraft:
Ich habe eine schwere Zeit hinter mir, ich wurde in der Schule gemobbt. Ich hatte das Bedürfnis, Hilfe zu suchen. Da habe ich das erste Mal gemerkt: 'Ja, ich bin religiös.' Dadurch bin ich auch ein großes Stück gewachsen.
Am Eldaring schätzt Lina die Offenheit und Diversität der Gruppe: Jeder werde hier so akzeptiert, wie er/sie ist, betont sie. Für Luna gehört die Regenbogenflagge genau so dazu wie das Met-Horn und die Götterfiguren.
Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt, MDR Religion und Gesellschaft
Reportage aus dem Jahr 2022
Literatur- & Linktipps
Matthias Pöhlmann (Hg.): Odins Erben. Neugermanisches Heidentum: Analysen und Kritik, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (2006)
Rudolf Simek: Die Germanen, Reclam (2011)
Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen, wbg (2014)
Rudolf Simek: Götter und Kulte der Germanen, C.H.Beck
Stefanie von Schnurbein: Göttertrost in Wendezeiten - neugermanisches Heidentum zwischen New Age und Rechtsradikalismus
Matthias Pöhlmann: Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen, Herder (2021)
Franziska Hundseder: Wotans Jünger. Neuheidnische Gruppen zwischen Esoterik und Rechtsradikalismus, Heyne (1998)
Andrea Röpke, Andreas Speith: Völkische Landnahme. Alte Sippen. Junge Siedler. Rechte Ökos,
Ch. Links Verlag (2019)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 24. Oktober 2024 | 22:40 Uhr