Interview zum Film "Schamanen, Hexen, neue Heiden" "Religion muss nicht dogmatisch sein"
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29. Januar 2024, 09:28 Uhr
Auf der Suche nach Sinn und Orientierung interessiert sich eine wachsende Zahl von Menschen für alte Mythen und Riten. Sie sehen im Neuheidentum eine Alternative zur modernen, auf Konsum ausgerichteten Lebensweise und zum Angebot der klassischen Kirchen. Die Filmemacher Alexander Bartsch und Peter Podjavorsek sind in die schillernde Szene eingetaucht. Welche Erfahrungen haben sie gemacht?
MDR Religion & Gesellschaft: Das Neuheidentum ist eine schillernde, unübersichtliche Szene. In Ihrem Film kommen mit dem Schamanen Voenix, der Wicca Gudrun Pannier oder Eldaring-Mitglied Luna Schmeing einige Menschen ausführlicher zu Wort. Nach welchen Gesichtspunkten haben Sie die Gesprächspartnerinnen ausgewählt?
Alexander Bartsch, Filmemacher: Bei der Auswahl war es uns vor allem wichtig, eine gewisse Bandbreite abzudecken. Es gibt ja viele unterschiedliche Zugänge zum heidnischen Glauben:
Viele Menschen kamen zum Beispiel in den Achtziger- und Neunzigerjahren mit dieser Szene in Kontakt, im Kontext einer allgemeinen gesellschaftlichen Suche nach Sinn und Spiritualität – Stichwort New Age.
Junge Menschen heute hingegen werden häufig durch die Popkultur auf das Heidentum aufmerksam – durch Filme und Serien, die z.B. die nordische Mythologie aufgreifen oder auch durch Videospiele. Diese Generations-Unterschiede zeigen unsere Protagonistinnen abbilden.
Neuheidnische Gruppen stehen im Verdacht, mit rechtem, völkischen Gedankengut zu sympathisieren. Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrer Recherche gemacht?
Ich glaube nicht, dass man das so pauschal sagen kann. Richtig ist: Die germanische neuheidnische Religion ist Symptom und Produkt des völkischen Nationalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die ersten Gruppen dieser Art waren explizit antisemitisch und rassistisch ausgerichtet, sie verstanden ihren Glauben als sogenannte "artgerechte", germanische Religion. Diese Vorstellung hielt sich ungebrochen bis in die Achtziger- und Neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts.
Erst dann begannen einige Heidengruppen, sich mit dieser Herkunft kritisch auseinanderzusetzen, also die Ursprünge ihrer Religion im völkischen Denken aufzuarbeiten. Daraus entstanden Gruppierungen wie der Eldaring, die sich heute klar und glaubwürdig von rechter Ideologie abgrenzen; sie betonen ihre Offenheit und Toleranz.
Literatur- & Linktipps
Matthias Pöhlmann (Hg.): Odins Erben. Neugermanisches Heidentum: Analysen und Kritik, Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (2006)
Rudolf Simek: Die Germanen, Reclam (2011)
Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen, wbg (2014)
Rudolf Simek: Götter und Kulte der Germanen, C.H.Beck
Stefanie von Schnurbein: Göttertrost in Wendezeiten - neugermanisches Heidentum zwischen New Age und Rechtsradikalismus
Matthias Pöhlmann: Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen, Herder (2021)
Franziska Hundseder: Wotans Jünger. Neuheidnische Gruppen zwischen Esoterik und Rechtsradikalismus, Heyne (1998)
Andrea Röpke, Andreas Speith: Völkische Landnahme. Alte Sippen. Junge Siedler. Rechte Ökos,
Ch. Links Verlag (2019)
Für den Film haben wir uns bewusst auf diese Gruppen konzentriert, weil die bislang weniger wahrgenommen werden. Aber natürlich existieren weiterhin auch Gruppen, die an die alten völkischen Wurzeln anknüpfen und bis heute eine gewisse Vernetzungsfunktion ins rechtsextreme Milieu haben.
Von welchen Erfahrungen berichten wiederum Menschen, die im Neuheidentum ihre religiöse Heimat gefunden haben, wie reagiert die Umwelt?
Von unseren Protagonistinnen hat niemand von negativen Erfahrungen berichtet. Vor einigen Jahrzehnten war das noch anders, die Gesellschaft ist da generell toleranter geworden. Allerdings sind manche Heiden immer noch vorsichtig, wenn sie z.B. bei christlichen Trägern beschäftigt sind, da möchten sie ihren Glauben lieber nicht öffentlich machen.
Was nehmen Sie persönlich mit aus der Begegnung mit Schamanen, Hexen, Neuheiden?
Dass Religion nicht dogmatisch sein muss, dass Glaube individuell und frei gelebt und ausgestaltet werden kann. Das ist das Prinzip vieler heutiger Heiden, und das finde ich sympathisch.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 16. Juni 2022 | 22:40 Uhr