Kritik vom ostdeutschen Betroffenenbeirat Wie unabhängig sind die Aufarbeitungskommissionen der katholischen Kirche?
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09. Dezember 2022, 12:01 Uhr
Vor zwölf Jahren wurden in der katholischen Kirche im größeren Umfang Fälle sexuellen Missbrauchs bekannt – seither versprechen die Bischöfe Aufklärung. Doch die stockt immer wieder. Erst vor zwei Jahren beschlossen die Bischöfe die Einrichtung unabhängiger Aufarbeitungskommissionen – doch in den ostdeutschen Bistümern Dresden-Meißen, Görlitz und Berlin gibt es sie noch immer nicht. Denn die Betroffenen haben Zweifel, ob diese Kommission wirklich unabhängig arbeiten kann. Andreas Roth über die Hintergründe.
Beim Gipfeltreffen zwischen Politik und Kirche in der Dresdner Hofkirche stand das Thema Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt nicht auf der Tagesordnung. Die Staatsregierung verweist auf MDR-Anfrage auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen – die kirchliche Aufarbeitung sei einer staatlichen Kontrolle oder Bewertung entzogen.
Der Sprecher des ostdeutschen Betroffenenbeirats Michael Köst sieht das etwas anders: "Die Betroffenen hier im Bistum sind Bürger des Freistaats Sachsen und haben ihren Missbrauch hier in Sachsen erlebt. Daher sehen wir es schon als Verantwortung des Freistaats, jetzt bei der Aufarbeitung auch aktiv mitzumachen.“
Vor dem Start: Streit in der Kommission
An die Unabhängigkeit der gerade entstehenden Aufarbeitungskommission der Bistümer Dresden-Meißen, Görlitz und Berlin kann Michael Köst nicht mehr glauben. „Die Mitglieder der Aufarbeitungskommission werden von Bischöfen berufen. Der zweite Punkt ist, dass die Satzung der Aufarbeitungskommission von den Bischöfen erlassen worden ist, und damit legen sie die Regeln fest.“
So ist es deutschlandweit von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Beauftragten der Bundesregierung für die Fragen des sexuellen Missbrauchs festgelegt. Doch seit die ostdeutschen Bischöfe die Betroffenen ohne Absprache von der Leitung der Aufarbeitungskommission ausschlossen, lassen diese ihre Mitarbeit ruhen. Und warten bis heute auf eine Antwort.
"Das werden wir aber durch Gespräche, die federführend der Erzbischof von Berlin führt, jetzt nachholen und versuchen, dass wir wieder auf einen gemeinsamen Weg kommen“, meint der Bischof des Bistums Dresden Meißen, Heinrich Timmerevers. Er glaubt weiterhin, dass mit der neunköpfigen Kommission aus Vertretern von Betroffenen, Staat und Kirche eine unabhängige Aufarbeitung möglich ist, weil die Mitglieder nicht an Weisungen der Kirche oder des Bischofs gebunden sind.
Betroffenen sehen Machtgefälle innerhalb der Kommission
Doch für die Betroffenen bleibt ein Machtgefälle. Ein Beispiel: Anders als die Deutsche Bischofskonferenz erlauben die ostdeutschen Bischöfe keinen Einblick in die Akten der Kirchengerichte – kritisiert Michael Köst.
„Die sind dahingehend brisant, weil da natürlich Täter und Betroffene benannt sind und wir auch davon ausgehen, dass es Zusammenhänge gibt, wie es zum Missbrauch gekommen ist, wer eventuell davon gewusst hat, wer da eventuell etwas vertuscht hat“ meint der Betroffenensprecher.
All diese Fragen und Verzögerungen lassen Betroffene am Willen der Kirche zu einer wirklichen Aufklärung zweifeln – und manchmal auch verzweifeln. Das beobachtet der Dresdner Traumatherapeut Gregor Mennicken, der einige von ihnen begleitet.
Bei einer traumatischen Erfahrung da entsteht Misstrauen. Und was jetzt bei dieser Verschleppung im Aufarbeitungsprozess wieder geschieht, ist, dass Misstrauen wiederbelebt und auch größer wird.
Der Therapeut würde gern an den Erfolg einer Unabhängigen Aufarbeitungskommission innerhalb der Kirche glauben, doch mittlerweile macht er sich keine Illusionen mehr. Er denkt, dass die Institution Kirche das nicht allein regeln kann und somit kläglich scheitern wird.
Auch im Erzbistum Köln kam der Vorsitzende der dortigen Aufarbeitungskommission in dieser Woche zu diesem Schluss – und trat zurück. In den ostdeutschen Bistümern Dresden-Meißen, Görlitz und Berlin ist dieses Gremium der Aufklärung noch früher blockiert: Schon vor seinem Start.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 11. Dezember 2022 | 09:15 Uhr