Schabbat Schalom | Wochenabschnitt Toldot Katia Novominski: Vom Genuss echter Spriritualität
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28. Juli 2023, 11:18 Uhr
Mit echter Spiritualität verhält es sich wie mit frischem, kühlen Wasser: manchmal muss man in die Tiefe bohren, um sie zu entdecken. Umso schöner, wenn man sie findet und genießen kann, meint Katia Novominski in ihrer Auslegung des Wochenabschnitts "Toldot".
Diese Woche lesen wir weiter aus dem ersten Buch Mose, Bereschit. Diesmal den Wochenabschnitt Toldot – übersetzt "Generationen" oder "Nachkommen". Viele berühmte Geschichten sind diese Woche zu lesen – über die Geburt Jaakows und seines Bruder Esaus, über den Verkauf des Erstgeborenenrechts, die Segnung Jaakows durch Itzhak und vieles, vieles mehr. Vor allem steht unser Vorvater Jaakow im Mittelpunkt der Geschichte.
Und das kann uns ziemlich stutzig machen. Bisher haben wir wirklich sehr viel über den Werdegang Abrahams und über seine Prüfungen gelesen. Und ab jetzt setzt sich die Tora intensiv mit dem Leben von Jaakow auseinander. Fehlt da nicht jemand? Was ist denn mit unserem Vorvater Jitzhak? Was wissen wir über ihn? Was lesen wir über seine Handlungen? Wo agiert er überhaupt allein und nicht gemeinsam mit seinem Vater oder seinen Söhnen? Und natürlich eben auch die Frage: was können wir für uns daraus lernen?
Was hat das Graben von Brunnen mit Gerechtigkeit zu tun?
In unserem Wochenabschnitt lesen wir über das Lebenswerk von Jitzhak – er gräbt Brunnen. Wie bitte? Unsere Weisen erzählen uns, dass jeder unserer Vorväter ein großer Weiser und Gerechter war. Was hat das denn alles mit dem Graben von Brunnen zu tun? Es ist doch klar, dass man zur damaligen Zeit in der recht heißen Gegend Brunnen gebraucht hat. Auch wissen wir, dass unsere Vorväter große Herden hatten, natürlich müssen die Tiere etwas trinken. Da muss mehr dran sein! Die Tora ist ja sehr sparsam in ihrer Sprache und würde uns nie etwas Nebensächliches mitteilen.
Es gibt verschiedene Ansätze unserer Weisen und mehrere Erklärungen, wofür die Brunnen stehen. Ich möchte heute eine davon vorbringen.
Die Seele kann nicht ohne Spiritualität leben
Oft wird in unserer Tradition die Tora selbst, also ihre Weisheit, ihre Lehre von Gut und Böse, von den moralischen Grundsätzen, als Wasser bezeichnet bzw. mit dem Wasser verglichen. So wie unser Körper nicht ohne Wasser leben kann, so kann eine menschliche Seele nicht ohne Spiritualität leben, und eine Gesellschaft kann ohne Moral und Ethik nicht funktionieren.
Manchmal ist für uns alles kristallklar, und die spirituellen Erfahrungen oder richtigen Handlungen bei moralisch nicht eindeutigen Situationen liegen auf der Oberfläche. So wie reines klares Wasser an der Erdoberfläche – Flüsse, Seen, Meere, Teiche – sie sind sofort erkennbar und sofort greifbar.
Leider ist es aber nicht immer so. Manchmal tappen wir im Dunkeln und wissen nicht auf Anhieb, was zu tun ist. Oder wir finden keinen unmittelbaren Zugang zu unserer eigenen Seele. Manchmal wissen wir nicht, welchen Weg wir einschlagen sollen, welche Auseinandersetzungen oder welche spirituellen Praktiken uns weiterbringen.
Wenn die Mühen des Grabens belohnt werden
Genau an dieser Stelle kommt die Tora und sagt: Geht Brunnen graben! Manchmal muss man eben mehr Aufwand betreiben, um an das Wasser zu kommen. Diese Mühen werden auf jeden Fall belohnt, denn wenn erstmal frisches kühles Wasser aus der Tiefe ans Tageslicht kommt und uns Linderung und Freude bereitet, dann hat sich die ganze Mühe gelohnt.
Das erklärt, warum die echte Spiritualität oft schwer zu finden ist. Desto größer wird aber auch der Genuss, wenn man sie findet und sich zu eigen macht. Mögen wir alle in diesen Genuss kommen!
In diesem Sinne: Schabbat Schalom.
Zur Person: Katia Novominski Katia Bruria Novominski, geboren 1985 in Kiew, aufgewachsen in Dresden. Studierte Gymnasiallehrerin für Physik und Russisch. Vor 20 Jahren fing sie mit jüdischer Jugendarbeit in Sachsen an, später arbeitete sie sechs Jahre im Vorstand der Jüdischen Gemeinde in Dresden und leitete Bildungsprojekte bei der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Geschäftsführerin der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe, anschließend Leiterin der Repräsentanz der Jewish Agency for Israel in Berlin, jetzt Geschäftsführerin des Bundes traditioneller Juden in Deutschland (BtJ), Rebbetzin der jüdischen Gemeinden in Halle und Dessau, Religionslehrerin in Sachsen-Anhalt und – das ist ihr am wichtigsten - Ehefrau von Rabbiner Portnoy und Mutter von drei Söhnen.
Schabbat Schalom bei MDR KULTUR
Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.
Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.
"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 17. November 2023 | 15:45 Uhr