Hintergrund Jubiläum: 100 Jahre Gottesdienst im Radio
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29. September 2024, 15:00 Uhr
Obwohl die meisten Menschen in Ostdeutschland konfessionslos sind, gibt es im Programm des MDR religiöse und insbesondere christliche Inhalte. Eine Tradition, die so alt ist wie das Medium Radio selbst: Vor 100 Jahren – wenige Monate nach dem Start des ersten Radiosenders – wurden die ersten kirchlichen Sendungen ausgestrahlt. An den Beginn der christlichen Verkündigung im Rundfunk auch in Mitteldeutschland wurde am 29. September 2024 mit einem Ökumenischen Gottesdienst in der Universitätskirche St. Pauli in Leipzig erinnert:
"Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin, im Vox Haus. Auf Welle 400 Meter." Mit diesen Worten startet in der Potsdamer Straße im Herbst 1923 der erste deutsche Radiosender "Funkstunde" seinen regelmäßigen Sendebetrieb.
Erst Bedenken gegen "geschmackloses Predigtfunken"
Schon wenige Monate später werden die Kirchen gebeten, sich an dem neuen Medium zu beteiligen. Doch die Begeisterung hält sich in Grenzen und die Bedenken seitens der Kirche sind groß. "Da hatte man Bedenken: Darf man denn das Wort Gottes über so ein technisches Medium senden? Ist das angemessen?", erinnert die Germanistin Anna-Maria Balbach, die sich eingehend mit der Geschichte der Radio-Verkündigung beschäftigt hat. Der Theologe und Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim MDR, Guido Erbrich formuliert die damaligen Befürchtungen so:
Was machen wir, wenn die Leute bei den Morgenfeiern lieber vor dem Radio sitzen, Zigarre rauchen, Kaffee trinken, als zum Gottesdienst zu gehen?
Balbach fügt hinzu: "Es ging so weit, dass es nicht nur Skepsis gab, sondern in Breslau hatte die evangelische Landeskirche all ihren Seelsorgern verboten, im Radio mitzuwirken, weil man dieses 'Predigtfunken' für eine absolute Geschmacklosigkeit hielt."
Potenzial der Radio-Verkündigung: Viel mehr Gläubige erreichen
Doch es dauerte nicht lange, da erkennen auch die Kirchen die Möglichkeiten der Radio-Verkündigung. Mit den sonntäglichen Morgenfeiern kann man hunderttausende Hörerinnen und Hörer erreichen. Auch die Konkurrenz zwischen Protestanten und Katholiken beflügelt die Anstrengungen: Man will vermeiden, hinter der jeweils anderen Konfession zurückzubleiben.
Hitler verbannt religiöse Sendungen aus dem Radio
Die Münsteraner Germanistin Anna-Maria Balbach stellt bei ihren Recherchen überrascht fest, dass die Nationalsozialisten den Kirchen zunächst mehr Sendezeit zur Verfügung stellen. Denn sie wähnen anfangs vor allem die damals nationalkonservative evangelische Kirche auf ihrer Seite.
Doch das hält nicht lange an und Hitler verbannt per Befehl die religiösen Sendungen aus dem Radio, wie Balbach weiter ausführt: "Auch erboste Zuschriften von Hörerinnen und Hörern können daran nichts ändern. Der Befehl hat Bestand."
1945: Siegermächte erlauben Radio-Andachten
Nach 1945 wollen die Siegermächte, auch die Sowjetunion, dass den Kirchen Sendezeiten im Radio garantiert wird. Denn die Kirchen gelten als unbelastet. Am Stil der Radioandachten hat sich wenig verändert, wie Guido Erbrich weiter ausführt: "Die ersten Prediger hatten immer die Vorstellung: 'Ich predige jetzt vor 100.000 Leuten!' Und dann haben sie vor dem Mikrofon rumgebrüllt als versuchten sie, einen Riesenplatz mit ihrer Stimme zu füllen."
Sonntägliche Verkündigungs-Sendungen auch im DDR-Radio
Auch im Radio der DDR erhalten die Kirchen ihre sonntäglichen Sendezeiten. Christhard Wagner, dessen Vater Heinz über 30 Jahre der Rundfunkbevollmächtigte der evangelischen Kirchen in der DDR war, sagt, dass es eine Zensur nicht gegeben habe. Seinen Berichten zufolge habe er keine Predigten jemals vorlegen müssen, so Wagner. Auch zu einem Verbot sei es nie gekommen.
Mein Vater berichtete, dass er keine seiner Predigten jemals vorgelegen musste.
Christhard Wagner, der ab 2011 zehn Jahre lang Beauftragter der evangelischen Kirche beim Thüringer Landtag war, erinnert sich an die Hoffnungen im Wende-Jahr 1989: "Wir hatten 1989 recht naive Träume. Es öffneten sich viele Türen, aber nicht für uns allein. So schwierig es war, in der DDR Öffentlichkeit herzustellen, so schwierig ist es heute, in der Flut der Bilder und im Lärm der Stimmen wahrgenommen zu werden."
So schwierig es war, in der DDR Öffentlichkeit herzustellen, so schwierig ist es heute, in der Flut der Bilder und im Lärm der Stimmen wahrgenommen zu werden.
Und das gilt noch immer – gerade im Sendegebiet des Mitteldeutschen Rundfunks, in dem nur noch 20 Prozent der Bevölkerung einer Kirche angehören.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 01. Januar 2024 | 10:00 Uhr