Tag des weißen Stocks | 15.10.2020 Inklusion im Internet: Mehr Teilhabe für blinde Menschen
Hauptinhalt
08. November 2023, 17:57 Uhr
Am Tag des weißen Stocks fordern Menschen mit Sehbehinderung zu mehr Rücksichtnahme auf. Der Blindenstock ist ein Erkennungs- und Hilfsmittel, um sich unabhängig und selbstbestimmt im öffentlichen Raum zu bewegen. Doch auch im digitalen Raum stoßen Menschen mit Sehbehinderung noch oft auf Hindernisse.
Öffnet man die App Instagram, fluten bunte Bilder und Videos den Bildschirm. Waldaufnahmen und Stadtpanoramen, viele Gesichter, Urlaubsfotos und Tiere, Erklärvideos. Manche sind mit Musik oder Tonaufnahmen unterlegt, auf anderen Bildern ist zusätzlicher Text platziert. Das soziale Netzwerk Instagram ist vor allem eine Welt der Bilder.
Blinde Menschen sind oft noch eine unsichtbare Personengruppe, unsere Anliegen brauchen Bilder.
Für ihren Instagram-Account entwickelte die MDR-Moderatorin und Inklusionsbotschafterin unter anderem die Rubrik "Dumme Fragen gibt es nicht". Dort beantwortet sie etwa, ob blinde Menschen in Farbe träumen oder wie sie die Nummer einer Straßenbahn erkennen. Und zwar in Bild- oder Videoform. "Da ich selber bis Anfang zwanzig sehend war, weiß ich, wie Bilder funktionieren. Durch die Arbeit mit Kamerateams kann ich mir im Geiste gut vorstellen, wo in einem Bild zum Beispiel kein Schatten sein sollte, wo zu viel oder zu wenig Licht ist."
Sie lade aber nichts hoch, was sie vorher nicht mit ihren Vertrauenspersonen abgesprochen habe, denn sie brauche die Unterstützung von sehenden Menschen. "Ich möchte nicht vermitteln, dass ich als vollblinde Frau meinen Insta-Kanal alleine mache", betont Jennifer Sonntag.
Screenreader machen das Internet barrierefrei
Eine Möglichkeit, sich als sehbehinderter oder blinder Mensch auf Instagram zurecht zu finden, ist der Alternativtext. Dabei handelt es sich um ein zusätzliches Eingabefeld vor der Veröffentlichung eines Beitrags. Dieser Text kann dann von spezieller Software, sogenannten Screenreadern, per Sprachausgabe oder Braillezeile hör- und tastbar wiedergegeben werden.
Der Screenreader sei ein dem Blindenstock vergleichbares Standard-Hilfsmittel für sehbehinderte Menschen, sagt Oliver Nadig vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband. Nadig leitet den Fachausschuss für Informations- und Telekommunikationssysteme (FIT). Die Barrierefreiheit beim Schreiben einer Software zu berücksichtigen sei wesentlich komplexer als beispielsweise beim Bau einer Straßenkreuzung, betont Nadig. Während die verantwortlichen Personen beim Bau einer Kreuzung direkt ansprechbar sind, ist es Nadig zufolge ungleich schwieriger, den Kontakt Software-Firmen herzustellen.
"Orte, an die man sonst nie hinkommen würde"
Für Webseiten gehört die Wahrnehmbarkeit zu einem der wichtigsten Prinzipien der Barrierefreiheit. Da Screenreader nur Textinhalte vermitteln, müssen etwa Grafiken mit Beschreibungen versehen sein. Außerdem sollten die Seiten per Tastatur bedienbar sein. Problematisch seien zum Beispiel Aufklapp-Menüs, die sich nur per Mausklick öffnen lassen oder Links und Buttons, deren Funktion nicht beschrieben ist, erklärt Oliver Nadig: "Die Anforderungen an barrierefreie Hard- und Software hört sich schwer erfüllbar an, lässt sich aber leicht und kostengünstig umsetzen, wenn die Barrierefreiheit schon bei der Planung und Entwicklung mit bedacht wird."
Ihren Blindenstock zu akzeptieren sei Jennifer Sonntag anfangs schwer gefallen, erzählt die Moderatorin. "Wenn man den Stock verdrängt, hat man mehr soziale Hürden als wenn man ihn benutzt", sagt Sonntag. Um sich mit ihrem Stock anzufreunden habe sie ihn mit einem Kristall versehen, sodass sich der Stock in ihren Kleidungsstil einbette. Das Internet biete den Raum, sehr barrierefrei zu sein. Man komme als blinder Mensch an Orte, an die man sonst nie hinkommen würde, sagt Sonntag. Während der Corona-Pandemie hätten sich beispielsweise blinde Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen und Städten in Zoom-Meetings vernetzt.
Gleichzeitig ist das Internet ein Ausschlusskriterium, wenn man sich nicht im Netz auskennt. Das betrifft zum Beispiel ältere blinde Menschen.
Internetnutzung setzt Technik-Affinität voraus
Auch FIT-Leiter Oliver Nadig beobachtet, dass besonders jüngere, technikbegeisterte blinde Menschen die Herausforderungen im Umgang mit sozialen Netzwerken gerne annähmen. Die Herausforderung sei pro Netzwerk eine andere. Während Twitter zwar hauptsächlich textbasiert ist, kann Nadig zufolge die Nachrichten-Fülle des Mediums überfordernd sein. Dagegen gelte es bei Facebook, den Überblick über die Posts zu behalten, die oft ohne zeitliche Reihenfolge auftauchen. "Die Betreiber sozialer Netzwerke versuchen, blinde Menschen durch KI-gestützte Bildbeschreibungen zu unterstützen", sagt Nadig.
Das klappt aber nicht immer. Umso wichtiger ist der Alternativtext, mit dem sich etwa Bilder auf Instagram barrierefrei posten lassen. "Als blinde Menschen wollen wir Bilder miterleben", betont Jennifer Sonntag.
Wie schreibe ich einen Alternativtext?
Der Alternativtext bei Instagram ist ungefähr 100 Zeichen lang und kann vor dem Teilen eines Bilds in den erweiterten Einstellungen hinzugefügt werden. Es handelt sich nicht um eine Bildunterschrift, sondern um eine Bildbeschreibung. Das heißt, der Alt-Text beschreibt möglichst knapp und präzise, was auf einem Bild zu sehen ist. Zum Beispiel, welche Kleidung eine Person trägt, Haarfarbe und Gesichtsausdruck oder welche Elemente im Vorder- und Hintergrund des Bildes zu sehen sind. Gegebenenfalls kann auch die Stimmung oder Farbgebung des Bilds beschrieben werden, etwa, wenn es sich um ein schwarz-weiß-Foto handelt.