Totensonntag 2023 Vom Friedhofssterben auf dem Land
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24. November 2023, 13:30 Uhr
Die Bestattungskultur hat sich in den letzten Jahren verändert. Viele Menschen ziehen es inzwischen vor, nach dem Tod anonym zu bleiben. Das wird zu einem Problem für die Friedhöfe, gerade in ländlichen Regionen. Denn obwohl viele Menschen sterben, herrscht dort Leerstand.
Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland verwaltet rund 1.600 Friedhöfe. So wie der Kirchturm gehört auch der Friedhof zum Dorf. Doch der aktuelle Trend geht auch an ihnen nicht vorbei. Gerade noch jede zehnte Bestattung erfolgt mit Sarg. Seit Jahren beobachtet Steffen Möbius vom Erfurter Büro für Freiraumplanung diese Entwicklung:
"Manche Friedhöfe, die ich betreue, haben seit zehn Jahren keine einzige Erdbestattung gehabt. Da werden deutlich weniger Flächen beansprucht. Damit verändert sich das Aussehen der Friedhöfe aber noch nicht. Das Entscheidende ist vielmehr: Wir haben einen Verlust an sichtbarer Erinnerungskultur. Die Friedhöfe sind auf einmal leer. Die Leute werden dort weiter bestattet, aber es werden keine Zeichen mehr gesetzt."
Bestattungen auf der grünen Wiese
Kein Grabstein, kein Kreuz, stattdessen eine grüne Wiese. Als würde sich der moderne Mensch still und heimlich davonschleichen wollen, ohne irgendeine Erinnerungsspur zu hinterlassen. Während historische Grabsteine denkmalgeschützt sind, bleibt heute von vielen Menschen kein sichtbarer Ort des Gedenkens.
Es ist ein großer Widerspruch. Wir leben einerseits sehr individuell. Gleichzeitig erleben wir auf Friedhöfen genau das Gegenteil: Man ordnet sich anonym in Gemeinschaftsanlagen unter.
Ein Widerspruch, den es aufzulösen gelte, meint Landschaftsarchitekt Steffen Möbius. Er fürchtet, dass die Erinnerungskultur Schaden nimmt.
Trotz Anonymität ist ein Erinnerungsort gewünscht
In früheren Zeiten bildete ein Dorffriedhof das soziale Leben ab, vom Grab des Bürgermeisters oder Pfarrers bis hin zu den Familiengräbern für mehrere Generationen. Heute gleicht so manche Friedhofsecke einem grünen Golfplatz. Allerdings gesäumt von Blumen und Grablichtern. Denn die Angehörigen wollen sich trotz aller Anonymität erinnern.
"Es gibt ein großes Bedürfnis, seiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Und es gibt ein großes Bedürfnis nach Verortung. Wir beobachten sehr wohl, dass in Wäldern, wo Menschen an Bäumen bestattet werden, ein großes Bedürfnis besteht, Dinge abzulegen. Das heißt, genau diesen Ort aufzusuchen", erklärt Steffen Möbius.
Der Aufwand für die Grabpflege und die Kosten, das sind die häufigsten Erklärungen, wenn man nach den Gründen für eine anonyme Bestattung fragt. Auch das Interesse für alternative Bestattungsformen gefährdet die Friedhofskultur:
Wenn Bürger das Angebot vor Ort nicht nutzen, dann wird es schwierig, das aufrechtzuerhalten und zu finanzieren. Es ist schon jetzt abzusehen, dass gerade kleinere Kommunen, auch manche Kirchen Schwierigkeiten haben werden, die Friedhöfe auf lange Sicht weiterzuführen.
Und das, so fürchtet Landschaftsplaner Steffen Möbius, könnte gerade auf dem Land zu einem Friedhofssterben führen.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 26. November 2023 | 10:00 Uhr