In der Mediathek Als Mutti arbeiten ging: Der lange Weg zur Gleichberechtigung in Ost und West
Hauptinhalt
08. März 2024, 10:22 Uhr
Die Gleichberechtigung von Frau und Mann verkündeten DDR und BRD 1949. Der Alltag hinkte der Rechtslage in West wie Ost aus ganz unterschiedlichen Gründen hinterher. Wie und warum berichten in der "Nah dran"-Reportage drei Generationen Ost und West – Großmutter, Tochter, Enkelin. Nicht ohne auf die Gegenwart zu blicken.
"Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Um diese fünf schlichten Worte kämpfte die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, als es um eine neue Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland ging. Der Parlamentarische Rat weigerte sich zunächst, diesen Passus ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Juristin ging an die Öffentlichkeit, in Bonn kamen daraufhin säckeweise Protestschreiben von Frauen an. So ist es Elisabeth Selbert zu verdanken, dass im Paragraph 3, Absatz 2 die uneingeschränkte Gleichberechtigung im Mai 1949 schließlich doch verankert wurde.
Nicht geschäftsfähig: Die westdeutsche Frau nach 1945
Proklamiert war sie nun die Gleichberechtigung, doch die Rechtslage hinkte dem Grundgesetz hinterher. Frauen waren lange nicht geschäftsfähig: Wollten sie einen Beruf ausüben, musste ihr Gatte zustimmen. Sie konnten weder einfach arbeiten gehen, noch ein Konto eröffnen. Und nicht nur das: 1959 stellte das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil über Vergewaltigung in der Ehe klar, dass die Frau dem Manne zu Diensten verpflichtet sei. Die Hausfrau sollte die Kinder geräuschlos großziehen, den Haushalt so führen, dass der Mann und von der Arbeit abgekämpfte Ernährer wenig davon mitbekam, am besten noch schön und untertänig sein. So sah das Ideal der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft aus. Mit dem Wirtschaftsaufschwung änderte sich das, um 1960 arbeiteten etwa 33 Prozent der Frauen.
Immer, wenn er klingelte, sollte ich die Schürze abnehmen und mir die Lippen nachziehen und ihn liebenswert angucken.
Margrit Korge aus West-Berlin war zunächst Hausfrau. Sie heiratete jung, bekam drei Kinder und erklärt rückblickend: "Die Hausfrau hatte kein so schlechtes Image. Haushalt war kostbar. Heute ist es selbstverständlich, dass man zu Ikea gehen kann. Damals war es wichtig, dass man Sachen auch alleine machen konnte." Margrit Korges Tochter Juliane und Enkelin Corinna sind heute berufstätig, beide als Steuerberaterin. Juliane Ruppe machte sich selbständig, als das erste Kind kam. Sie erntete damals Unverständnis für ihren Wagemut, den Beamtinnenstatus aufzugeben. Corinna Rupp blickt staunend auf die Welt ihrer Großmutter und findet, heute sei es wichtig, nicht die Position eines Menschen zu sehen, zum Beispiel seine berufliche, sondern den Menschen an sich.
Im blauen Kittel in die Wochenkrippe?
In der DDR sah das proklamierte Rollenbild gänzlich anders aus. Schon 1970 waren in der DDR über 80 Prozent der Frauen berufstätig, bis 1989 stieg die Quote auf 92 Prozent. Die Unterdrückung der Frau galt mit der Abschaffung des Kapitalismus als gesellschaftlich überwunden. In Artikel 7, Absatz 1 der DDR-Verfassung von 1949 stand: "Mann und Frau sind gleichberechtigt." Und gleich im Absatz 2 der entscheidende Satz, der für die zügige Umsetzung sorgte: "Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben."
Damit war das Gesetz wesentlich fortschrittlicher als in der BRD. Freilich auch aus pragmatischen Gründen: Dem jungen sozialistischen Staat fehlten die Arbeitskräfte. In den 1950-erJahren wurde eine "Anti-Hausfrauen-Kampagnen" gefahren. Nach dem Motto: Die Heimchen am Herd erzögen ihre Kinder zu Egoisten, die dann – wie sie – nicht in der Lage seien, etwas Nützliches für die Gesellschaft zu tun. Hausfrau zu sein, galt nicht nur als peinlich, sondern war verpönt. Die Frau in der DDR sollte sich durchaus in Männerberufen bewähren, gegebenenfalls dafür gleich im blauen Kittel ihren Säugling in der Wochenkrippe abgeben.
Jenseits von Ideologie und Ideal spielte sich das wahre Leben ab. Ingrid Löwenberg kam als junges Mädchen vollkommen mittellos nach Eisenhüttenstadt. Der Ort wurde Anfang der 1950er-Jahre in der DDR als Planstadt rund um ein Hüttenwerk, das Eisenhüttenkombinat Ost, gegründet. 12.000 Menschen sollten dort einmal arbeiten. Ingrid Löwenberg begann zunächst als Landvermesserin und erinnert sich, wie Frauen Bäume fällen und Schienen verlegen halfen, um das Stahlwerk in die Einöde zu setzen. Die Männer verdienten im Osten auch nicht so viel, das zweite Einkommen wurde in den Familien gebraucht, sagt sie.Dank staatlicher Förderung gab es zu DDR-Zeiten Ingenieurinnen und Technikerinnen. Frauen standen an der Walze und bewegten Kräne.
Als Führungskräfte waren sie eher selten vorgesehen. Dafür begann für viele nach der Arbeit die zweite Schicht. Im Schnitt waren Mütter neben dem Beruf zusätzlich 50 Stunden im Haushalt tätig. Ingrid Löwenbergs Tochter, Kerstin Rönsch, erinnert sich, dass auch bei ihnen zuhause strikte Trennung herrschte. Schon deshalb deshalb weil sich der Vater nach der Arbeit noch um Hof, Scheune und Vieh zu kümmern hatte.
Die Abtreibungs-Frage
Nicht die mangelnde Gleichberechtigung im Arbeitsleben, sondern der Kampf um den Paragrafen 218 trieb Frauen in der Bundesrepublik dann auf die Straße. Sie wollten selbst entscheiden, ob sie ein Kind austragen oder nicht. Margrit Korge erinnert sich an die Zeiten vor der Pille, sie sah nach drei Kindern keine andere Möglichkeit, als eine unerwünschte Schwangerschaft in einem schmuddligen Hinterzimmer zu beenden: "Ich kann mich nur besinnen, das ich keine Narkose bekam, sondern mir einfach Eau de Cologne vor die Nase gehalten wurde und dass das wahnsinnig schmerzhaft war." Initiiert von Alice Schwarzer bekannten 1971 im "Stern" 374 Frauen: "Wir haben abgetrieben." Tausende formierten sich daraufhin mit dem Schlachtruf: "Mein Bauch gehört mir." Es sollte noch bis 1976 dauern, bis die Abtreibung in Westdeutschland unter bestimmten Voraussetzungen straffrei wurde.
In der DDR erhielten Frauen bereits ab 1972 das Recht, bis zur 12. Woche über den Abbruch ihrer Schwangerschaft zu entscheiden. Eine Volkskammerabgeordnete sah damit die vollständige Gleichberechtigung der Frau in der DDR erreicht.
Und heute?
Eines hat sich im Osten, 30 Jahre nach der Wende, deutlich angeglichen: Frauen wollen mehr in Teilzeit arbeiten als noch zu DDR-Zeiten, so wie Julia Rönsch, die Enkelin von Ingrid Löwenberg. Die junge Lehrerin wohnt mit Mann und drei Kindern auf dem Land in einer umgebauten Schule, etwas außerhalb von Eisenhüttenstadt. Sie sagt, sie ziehe den Hut vor ihrer Mutter Kerstin, die immer frühmorgens um Sieben auf der Arbeit gewesen sei. Von Teilzeit hält ihre Großmutter Ingrid Löwenberg aus eigener Erfahrung allerdings nicht viel: "Ich bin zu meiner Zeit auch nicht volle Stunden gegangen und kriege heute die Mindestrente. Ohne Witwenrente könnte ich mein Haus gar nicht halten." Auf solche Zusammenhänge sollte man heute schon in der Schule hinweisen, findet Corinna Rupp, die als Steuerberaterin bestens darum weiß.
Auch wenn die Ungleichbehandlung beim Thema Karriere und Gehälter heute immer wieder in der Debatte ist, bleibt viel zu tun. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt", so steht es im Grundgesetz. Auf die Frage, wie sie ihr Anliegen erfüllt sehe, antwortete Elisabeth Selbert 1958 mit einer Mahnung:
Wenn die Leute nicht weiter kämpfen, dann werden sie das, was sie haben, wieder verlieren.
Elisabeth Selbert wurde zwar spät gewürdigt, ihre eigene Partei aber, die SPD, schob sie nach ihrer eigenmächtigen Aktion aufs Abstellgleis. Ihre politische Karriere endete, in den Bundestag kam sie nie.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Nah dran | 05. März 2020 | 08:00 Uhr