Perspektivwechsel zulassen und provozieren
Im Workshop wurde an dieser Stelle die 2017 von Buzzfeed entwickelte Content-Kartographie veranschaulicht – die sogenannte Cultural Cartography. Hört sich kompliziert an, sorgt im Kern aber für einen wichtigen Perspektivwechsel in der Entwicklung von Ideen: weg vom Thema oder Genre, das eine spezifische Zielgruppe vermeintlich interessiert, hin zur unbedingten Fokussierung auf eine Emotion, Handlung oder Erkenntnis, die ein Format auslösen soll. Hierfür hat BuzzFeed unzählige Formate auf der Basis von Interaktions- und Metadaten auf sozialen Plattformen und nicht – wie üblich – nach Themen kategorisiert. Verhaltens- und Denkweisen von Nutzer:innen wurden sichtbar. BuzzFeed spricht in diesem Kontext von den Jobs, die Inhalte für Nutzer:innen erfüllen. Zumindest für einen Zwischenschritt inspiriert das BuzzFeed-Projekt in der gewöhnlichen Entwicklung zu einem Perspektivwechsel: ist die Geschichte Identifikationsstiftend? Lässt sie bestimmte Interessensgruppen ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln? Und welche Interaktion soll gegebenenfalls sogar provoziert werden? All diese Fragen helfen nicht dabei aus einer schlechten Grundidee eine Gute zu machen, aber sie können auf Produzentenseite wichtige Weichen stellen: ob in der Ausarbeitung von Erzählsträngen im Writers Room, dessen Besetzung mit authentischen Vertreter:innen der gezeigten Lebensrealitäten bis hin zu Cast-Entscheidungen.
Außerdem ist das Modell ganzheitlich angelegt und lässt die Redaktionen im Auge behalten, wann zum Beispiel ein Qualitätsmanagement etabliert werden muss, Workflows erarbeitet werden sollten und stoppt auch nicht beim Launch des neuen Formats. Danach geht der Prozess noch so lange weiter, bis ein Qualitätsmanagement so implementiert ist, dass Redaktionen in der Lage sind, mit Hilfe der gewonnen Daten das Format nachzuschärfen und aus den Daten wirklich zu lernen.
Rückkanäle nutzen
Dass sich jüngere „Always-on“-Zuschauer:innen in ihrer Unterhaltungswahl längst aus einer passiven Rezipientenrolle emanzipiert haben und dabei mehrfach ihre Devices wechseln, wurde von allen Teilnehmer:innen der Workshop-Tracks als Chance für die Programmkonzeption wahrgenommen. Um diese insbesondere im Rahmen von Online-First-Strategien in Mediatheken voll auszuschöpfen, werden Produzenten künftig noch stärker schon in frühen Entwicklungsphasen an einer übergreifenden, kreativen Vision arbeiten müssen, die ein ausgeprägtes Zielgruppen- und Plattformverständnis voraussetzt. Welche Geschichten sind relevant und wie gestalte ich den Weg von Nutzer:innen dorthin? Es wird dabei kein Allheilmittel darstellen zu jeder Serienidee künftig auch einen Podcast zu konzipieren, aber wenn ich spezifische Interest Communities als meine Zielgruppe begreife, dann sollte ich als Produzent alle Chancen nutzen sie zu involvieren und dem Sender/Streamer eine entsprechende Vision vermitteln.
Informationen zu den Autor:innen:
Pola Sarah Nathusius, Teamlead Audience Development ida Innovations- & Digitalagentur
Linkedin: https://www.linkedin.com/in/polasarah/
Karsten Günther, Head of Innovation & Ausführender Produzent, Bavaria Fiction