Echtes Zielgruppenverständnis als erfolgsentscheidendes Differenzierungsmerkmal
Offen gestanden wird es in der regulären Zusammenarbeit zwischen Produzenten und Auftraggebern kaum möglich sein, jeden der skizzierten Schritte 1:1 umzusetzen. Insbesondere, weil sich Kreativität in der Stoffentwicklung nicht schablonenhaft auf vorab definierte Prozessschritte legen lässt. Trotzdem sind wir gefragt, das Mindset und die Zielstellung zu verinnerlichen, die dem Modell innewohnen: Nutzer:innen-Erkenntnisse „als kreativer Kompass“, um intuitive Entscheidungen zu stützen und neue Perspektiven auf Geschichten und ihre Auswertungspotenziale zu gewinnen. Ein konkretes Best Practice, das im Detail im Workshop vorgestellt wurde, ist die Anthologie-Serie Modern Love auf Amazon Prime. Zum Zeitpunkt ihres Starts standen zumindest in Nordamerika die Chancen nicht schlecht, dass bereits hunderttausende Fans den Episoden entgegenfieberten.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich Modern Love als eine der bekanntesten Kolumnen der Vereinigten Staaten hervorgetan und war dabei nie ganz fertig, sondern immer in Entwicklung. Sozusagen „agil“ ohne es geplant zu haben: vom Print-Essay zum Online-Kult, vom Newsletter zum Taschenbuch - und natürlich: Podcast. 2020 dann die Anthologie-Serie und mit ihr ein Beispiel, welches Potenzial sich eröffnet, wenn man als Produzent das crossmediale Spielfeld für die (Weiter-)Entwicklung von IP begreift. Denn Modern Love ist mehr als eine Kolumne. Modern Love ist eine Marke. Und noch mehr als das: eine Community. Millionen Fans von Geschichten, inspiriert vom wahren Leben, erzählen Geschichten von der Liebe im Alter, der platonischen Liebe, manchmal aber auch nur von der Sehnsucht nach Liebe – samt aller Zwischentöne. Und genau auf diese bauten die Macher:innen um John Carney, als sie die Essays mit der richtigen Tonalität und Tiefe in fiktionale Erzählwelten übersetzten.
Zugegeben: in Deutschland mag es keine Stadt geben, die Geschichten wie New York City produziert, und keinen Sender oder Verlag mit internationaler Kolumnenmarke. Umso entscheidender ist das, was sich in den Ideenansätzen der Kolleg:innen des MDR widerspiegelte: in der Zusammenarbeit cross-divisionaler Redaktionsbereiche können die Weichen für eben solche Erfolgsgeschichten gestellt werden. Vielleicht wird schon das nächste Social-Media-Projekt zum Impulsgeber einer fiktionalen Serienproduktion? Oder sogar einer 360-Grad konzipierten Programmmarke aus journalistischen und fiktionalen Formaten? Fest steht: der ohnehin immer stärker fragmentierte Medienkonsum verändert sich mit unterschiedlichen Implikationen für alle Alters- und Zielgruppensegmente extrem dynamisch - nicht zuletzt auch in Bezug auf Erzählformen, Genre- & Formatpräferenzen.
Welche Erfolgsfaktoren zählen, damit Formate auf den digitalen Wettbewerb um Aufmerksamkeit ausgerichtet sind und wie man es schafft, den Weg von Nutzer:innen dorthin zu gestalten, veranschaulicht das Modell in seinem weiteren Verlauf. Nach der Bedarfsanalyse folgt das Konkretisieren und Konzipieren. Erste Formatierungen werden entworfen - immer in Rückkopplung an bereits durchgeführte und neue Datenanalysen. So wird sicher gestellt, dass die Redaktionen ihren Fokus auf die User nicht verlieren. Neben Nutzungsversprechen und ersten Distributionsansätzen bietet dieser Abschnitt des Modells Raum für Kreativität sowie inhaltliche Recherche und den Aufbau von Fachwissen passend zum Thema des neuen Formats.
Das Modell verbindet auch an dieser Stelle wieder Kreativprozesse mit klarem Nutzer:innen-Fokus durch wiederholtes Testen und dem Feinschliff des neuen Formats. Im kompletten Verlauf des Modells werden neue Ideen, Ausarbeitungen und Details des Formats immer wieder rückgekoppelt an Ergebnisse aus Datenanalysen und mehreren Zielgruppen-Testings. Im Vergleich zu anderen Formatierungsprozessen lässt dieser viel Raum für Kreativität, Ideen und Gestaltung und sorgt frühzeitig dafür, dass diese in die richtige Richtung gelenkt und kein Potenzial verschenkt wird.
Außerdem wichtig: Benchmarks und Qualitätsmanagement. Was soll das Format erreichen? Wie viele Zuschauer:innen, Abos, wie hoch soll die Watchtime sein, ….? Umso differenzierter die Benchmarks, desto genauer kann der Erfolg gemessen werden. Und: Spätestens jetzt sollte das Distributionskonzept finalisiert werden. Nutzer:innen im digitalen Raum erwarten inzwischen ohne Wenn und Aber, dass wir die Produkte zu ihnen bringen und nicht anders herum. Es gilt also, strategisch vorzugehen und passende Produkte rein für die Distribution zu kreieren. Wie viel Kreativität hierbei möglich ist, haben auch die Teilnehmer:innen des Workshops unter Beweis gestellt. Von einer Spotify-Playlist über einen Podcast zusätzlich zum Format bis hin zu moderierten End-Cards auf YouTube ist alles möglich. Wichtig nur: Es muss zur Zielgruppe und zum Format passen.