Tierkrankheit Wenn kein Hahn mehr kräht: Was die Vogelgrippe für Thüringer Geflügelhalter bedeutet
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02. Februar 2023, 17:31 Uhr
Jeden Winter rafft die Vogelgrippe Wildtiere und Mastgeflügelbestände dahin. Immer wieder sind auch Betriebe in Thüringen betroffen. Das Friedrich-Loeffler-Institut rechnet zudem damit, dass sich die Geflügelpest auch außerhalb der Wintermonate etablieren dürfte. Wie gehen Geflügelhalter und Rassegeflügelzüchter mit der Seuche um?
- Was ein Ausbruch für einen Großmastbetrieb bedeuten würde.
- So leidet ein privater Entenhalter unter dem Tod seiner Tiere.
- Darum ist das Virus für Rassegeflügelzüchter ein Damoklesschwert.
Ein Virus geht um und es hat tödliche Folgen: 48 Millionen Tiere mussten allein im vergangenen Winter EU-weit wegen der Geflügelpest gekeult, sprich getötet werden. Das Virus macht keinen Halt vor Landesgrenzen und auch nicht vor Stalltoren. Während die Menschen das Coronavirus mittlerweile als Teil eines neuen Alltags kennen, bereitet die auch als Vogelgrippe bekannte Tierseuche vor allem Landwirten und Naturschützern immer noch zuverlässig unruhigen Schlaf.
Vogelgrippe oder Geflügelpest?
Die Klassische Geflügelpest ist eine besonders schwer verlaufende Form der Aviären Influenza (den Vogel betreffende Grippe) bei Geflügel und anderen Vögeln. Sie wird durch bestimmte Viren verursacht - anders als es die Bezeichnung "Geflügelpest" (Pest wird durch Bakterien ausgelöst) vermuten lässt. Erkranken die Tiere, können sie Atemnot oder Durchfall erleiden und in apathische Zustände geraten.
Diese "Vogelgrippe", wie sie in der Öffentlichkeit bezeichnet wird, ist eine Tierseuche, die bei Einschleppung in Nutzgeflügelbestände hohe Verluste verursachen kann und deshalb frühzeitig Maßnahmen erfordert.
Im schlimmsten Fall 10.000 Tiere auf einmal tot
Wenn nicht gerade Energiekrise ist und es sich wirtschaftlich lohnt, die Ställe zu beheizen, würden Toralf Hildebrand hier im Stall jetzt 4.000 Puten hinterherwatscheln. Hildebrand leitet die Son-Agro GmbH in Sonneborn in der Nähe von Gotha. Der Betrieb produziert Getreide und Putenfleisch. In seinen drei Ställe können insgesamt 10.000 Tiere gemästet werden. "Wir bekommen von einem Zuchtbetrieb hier vier Wochen alte Jungputen geliefert. Die Tiere sind circa 16 Wochen im Stall und werden gemästet. Im Alter von etwa 145 Tagen und einem Gewicht von etwa 21 Kilogramm werden sie dann zur Schlachtung gebracht."
Wenn wir die Geflügelpest hätten, das möchte ich nicht erleben.
Hildebrandt bezeichnet die Vogelgrippe als "schwebendes" Risiko, "aber wir müssen damit leben und können es nicht mehr aus der Welt schaffen". Das Unternehmen wäre zwar nicht ruiniert, da die Geflügelmast nur etwa zehn Prozent des Gesamtumsatzes ausmacht und es auch eine Versicherung im Falle einer Verseuchung gibt. "Aber die ganzen hygienischen Vorschriften für die Entsorgung und so weiter, das wäre nervlich schon sehr aufreibend."
Sollten in seinem Betrieb plötzlich auffallend viele Tiere verenden, müsste er das Veterinäramt des Landkreises einschalten. Und wenn tatsächlich ein positiver Nachweis dabei ist, müssen alle Tiere getötet werden. Außerdem wird dann rund um den Betrieb eine Schutzzone eingerichtet, wie jüngst nach zwei Vorfällen im südthüringischen Kreis Schmalkalden-Meiningen.
Privatzüchter verliert alle Tiere
Einer von ihnen ist Gunther Hüller aus Rhönblick. Er steht immer noch unter Schock: "Ich war wie benommen, es war furchtbar. Meine Frau und ich haben beide geweint." 24 schwarzgrün gefärbte Cayuga-Enten nannte Hüller sein Eigen. Als in seinem Ort ein erster Fall von Geflügelpest bei einem anderen privaten Halter festgestellt wird, ahnt Hüller noch nichts von dem "Desaster".
Doch als nach und nach bei allen Geflügelhaltern in der Gegend Proben von den Tieren genommen werden, zeigen sich auch seine Tiere positiv.
Wir hingen alle an denen.
Im Rückblick sind sich er und auch der Amtstierarzt von Schmalkalden-Meiningen ziemlich sicher: Hüllers Enten haben sich bei Wildenten infiziert, die ebenfalls immer wieder im Fluss direkt neben dem Grundstück schwammen. "Die sind mit meinen Enten im Verband geschwommen und irgendwann, als immer weniger Wildenten vor Ort waren, hat mir das doch Bedenken gegeben."
Hüller will wieder Enten haben
Auch seinem Enkel habe eine der Cayugas gehört. "Er hat gesagt, Opa lass die Ente nicht schlachten, sonst hole ich die Polizei. Das hat so weh getan. Wir hingen alle an denen."
Momentan reinigt er den Stall, erzählt Hüller. Man merkt ihm den tiefsitzenden Schmerz über den Verlust der Tiere an. "Meine Frau und ich überlegen, ob wir uns wieder welche anschaffen. Nicht mehr so viele zwar, aber ein paar schöne für uns - auch dann zum Essen."
Friedrich-Löffler-Institut: "Ruhepause ab Frühjahr ungewiss"
Mittlerweile können Geflügelhalter auch nicht mehr entspannteren Sommermonaten entgegenblicken. So schätzt es zumindest das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit ein: Eine Sprecherin des Friedrich-Loeffler-Instituts sagte MDR THÜRINGEN, dass sich die Geflügelpest auch außerhalb der bisherigen Vogelgrippe-Saison etablieren dürfte. Demnach hat sich die Infektionskrankheit offenbar bereits festgesetzt.
Das Institut bewertet das Infektionsrisiko von Wildtieren und Geflügel in Betrieben weiterhin als hoch. Erst im Frühjahr sei absehbar, wie sich Wildvögel von der aktuellen Virus-Saison erholen. Besonders in den vergangenen Wochen hätten sich die Fälle von der Küste ins Inland verschoben.
Auch das Thüringer Gesundheitsministerium sieht in der "fehlenden Saisonalität" ein Problem. Auf Anfrage hieß es: "Im Vergleich zu den Vorjahren ist das Geflügelpestgeschehen über den Sommer nie zum Stillstand gekommen."
Rassegeflügelzüchterverein vor Problemen
"Beim letzten Mal hab ich 45 Eier in den Brutapparat eingelegt und 41 Eier waren befruchtet. Also ist er ein ganz fleißiger Hahn", sagt Thomas Stötzer, stolzer Besitzer von Italienerhühnern, Spaniertauben und Thüringer Zwerg-Barthühnern. Der Vorsitzende des Thüringer Rassegeflügelzüchtervereins hat auf seinen Hof in Erfurt-Gispersleben eingeladen.
Ich habe mich dem Erhalt dieses Kulturguts verschrieben.
"Rassegeflügelzüchter bin ich schon von Kindesbeinen an", erzählt Stötzer, wenn man ihn fragt, warum er ähnlich wie Gunter Huller in Südthüringen nach strengen Kriterien Vogelrassen züchtet. "Mein Vater hat das schon gemacht und da bin ich mit aufgewachsen." Früher sei die Selbstversorgung mit Fleisch und Eiern natürlich noch wichtiger gewesen - jetzt sieht er sich als Bewahrer einer Tradition: "Rassegeflügel ist natürlich auch das Erhalten von Kulturgut, dem ich mich verschrieben habe."
Infektionen nach einer Geflügelschau
Die Geflügelpest macht auch vor den Hobby-Züchtern nicht Halt: Nach einer Rassegeflügelschau in Eckartsberga im Weimarer Land Ende November waren erstmals im Winter 2022/2023 Fälle der Vogelgrippe in Thüringen nachgewiesen worden. "Die Geflügelpest bringt jedes Jahr Spannung rein in unsere Haltung", meint Stötzer. "Geflügelpest ist Geflügelpest. Wenn sie kommt, kann man sich nicht mehr wehren."
Bangen vor nächster Wettbewerbsaison
Noch warten die ungefähr 6.000 Mitglieder in Thüringen ab, ob sie für das Jahresende wieder ihre Landesschau planen können, erzählt Thomas Stötzer: "Die Ausstellung ist das Muss für unsere Mitglieder. Denn was bringt die Zucht, wenn wir dann keinen Wettbewerb haben?" Doch momentan ist unklar, welche Gesundheitsvorschriften die Politik für die Züchter erlassen wird.
Was bringt das denn, wenn wir keinen Wettbewerb mehr veranstalten dürfen?
Sollten die Züchter kurz vor der Landesschau alle ihre Tiere virologisch - also wie Menschen bei Corona mit einem Stäbchen - untersuchen lassen müssen, dann sieht Stötzer keine Chance für den Wettbewerb in diesem Jahr: "Diesen Aufwand macht keiner für die ganzen Tiere. Ich persönlich auch nicht."
Wie ein Sprecher des Gesundheitsministeriums MDR THÜRINGEN sagte, befindet sich die nationale Geflügelpestverordnung momentan in der Überarbeitung, um aktuellen, europäischen Tiergesundheitsstandards zu entsprechen. Das Thüringer Ministerium geht aber davon aus, dass nach der Überarbeitung eine Untersuchung der Tiere im Vorfeld der Ausstellungen Pflicht sein dürfte. Wie es konkret in diesem Jahr geregelt wird, hänge zudem von der Entwicklung des Pestgeschehens ab und "kann zum heutigen Zeitpunkt nicht vorhergesehen werden".
Aufwendiger Schutz vor dem Virus
Fragt man den Mastbetriebsleiter Toralf Hildebrand bei Gotha, wie sich sein Betrieb vor der Geflügelpest schützen könne, fällt immer wieder das Wort "vorbeugen". Neben dem sogenannten direkten Eintrag - wenn sich beispielsweise Stallgeflügel bei Wildtieren ansteckt - gibt es auch noch den indirekten Eintrag: Um keine Keime in den Stall zu bringen, lege sein Betrieb deshalb großen Wert auf Hygiene. "Jeder, der hier in den Stall geht, muss sein Schuhwerk desinfizieren. Und von Stall zu Stall wird das Schuhwerk gewechselt. Auch die Reifen von Fahrzeugen werden gesäubert."
Ob denn die hohe Tierzahl in den Ställen eine Auswirkung habe? "Nein", sagt Hildebrand, das spiele keine Rolle. Vielmehr verweist er darauf, dass in Betrieben mit Auslauf für die Tiere das Ansteckungsrisiko höher sei, da die Tiere sich dort auch mit anderen Wildvögeln infizieren könnten.
Zukunft konventioneller Putenmastbetriebe ungewiss
Es sind unsichere Zeiten für die Puten-Produzenten. Neben der Vogelgrippe ringt Hildebrand auch mit den hohen Energiekosten. Erst ab März, so rechnet er, könnte der nächste Mastdurchgang bei ihnen starten. Dann, wenn die Temperaturen nicht mehr so niedrig sind und die großen Heizungen den Stall für die Puten nicht mehr intensiv wärmen müssen, damit sie planmäßig ihr Schlachtgewicht erreichen können.
Und auch ein Eckpunktepapier des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das erstmals die Haltung von Puten reglementieren will, bereitet Hildebrand Sorge: Es sieht unter anderem eine geringere Besatzdichte in den Ställen vor. Hildebrand, auch Vorsitzender des Kreisbauernverbands Gotha, sieht deshalb viele Putenmastbetriebe, wie seinen, am Ende - sollte das Vorhaben Gesetz werden.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 26. Januar 2023 | 17:30 Uhr
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