Betrugsverdacht Neue Vorwürfe gegen Sozialverein Talisa - Landesverwaltungsamt stoppt drei Projekte
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06. April 2023, 15:00 Uhr
Erneut ist die Auszahlung von Fördermitteln an den Thüringer Sozialverein Talisa gestoppt worden. Es geht um 60.000 Euro für drei Projekte in Erfurt und Gera. Erst jetzt wurde bekannt: Bei Überprüfungen im Herbst 2022 waren Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung entdeckt worden. Talisa steht seit Frühjahr vergangenen Jahres unter Betrugsverdacht.
Talisa hat viel vor im Nachbarschaftszentrum auf dem Wiesenhügel in Erfurt. Im Februar gab es einen Faschingsbrunch, bei dem Hütchen und Verkleidung Pflicht waren. Im März gab es eine Frauentagsfeier, und auch zu Ostern wird zum Basteln eingeladen.
Das Nachbarschaftszentrum in der Plattenbausiedlung ist bekannt und wird vor allem von den älteren Menschen genutzt. Dafür braucht es aber auch Mitarbeiter vor Ort, die sich um diese ganzen Angebote kümmern. Doch diese zu bezahlen, ist nicht so ganz einfach und meistens abhängig von einem Förderprogramm - ob vom Bund, dem Land oder über die Jobcenter.
Soziale Träger brauchen Fördermittel
Eines der wichtigsten Programme dabei ist die sogenannte "Öffentlich geförderte Beschäftigung" - kurz ÖgB genannt. Diese Gelder stammen aus dem Fördertopf des Thüringer Sozialministeriums. Soziale Träger können sich mit einem entsprechenden Projekt bewerben und bekommen dann vom Land eine oder mehrere Stellen finanziert.
Auch Talisa hat für seine Projekte in ganz Thüringen über die vergangenen Jahre dutzende von ÖgB-Stellen beantragt und finanziert bekommen. Allein zwischen 2016 und 2021 sind so rund 2,3 Millionen Euro an den Verein geflossen.
Ermittlungen gegen Talisa nach MDR-Recherchen
Doch für den seit Jahren in Thüringen tätigen Verein hat sich seit dem Frühjahr vergangenen Jahres die Lage dramatisch verändert. MDR THÜRINGEN machte im April 2022 Vorwürfe öffentlich, dass Projekte des Vereins möglicherweise nur auf dem Papier existiert haben und trotzdem dafür Fördergelder kassiert worden sein könnten.
Der Verein hatte das stets zurückgewiesen. Das für die Überprüfung der Fördermittel zuständige Landesverwaltungsamt in Weimar hingegen, betrachtete die MDR-Recherchen offenbar als stichhaltig und leitet eine Überprüfung ein, die derzeit noch andauert.
Dabei verdichteten sich die Vorwürfe, so dass auch die Staatsanwaltschaft Erfurt gegen den Verein wegen des Verdachts des Fördermittelbetruges ermittelt. In Folge der MDR-Recherche wurde der Fall im Justiz- und im Sozialausschuss des Landtages debattiert. Sozialministerin Heike Werner (Linke) musste mehrfach im Ausschuss zu den Zahlungen an Talisa Stellung nehmen.
Wirtschaftsfördergesellschaft überprüft gezahlte Förder-Millionen
Bereits damals begann auch die Thüringer Wirtschaftsfördergesellschaft GfAW mit einem Tiefenprüfungsverfahren. Es ging um besagte ÖgB-Förderungen. Im Herbst 2022 wurde die GfAW bei Talisa fündig.
Bei einem Projekt in Gera und zwei Projekten in Erfurt wurden die Mittel aus der ÖgB-Förderung offensichtlich nicht dem Zweck entsprechende verwendet. Gesamtsumme der Förderung: 60.000 Euro.
Davon waren bis zum Oktober 2022 bereits insgesamt über 30.000 Euro ausgezahlt worden. Die wollte die GfAW von Talisa wiederhaben. In einem Fall zahlte der Verein, aber gegen die Rückforderung des größten Anteils legte der Verein Widerspruch ein. Unter den geförderten Einrichtungen war auch das Talisa-Nachbarschaftszentrum auf dem Wiesenhügel.
Fördergelder trotz laufender Rückforderung
Seit Frühjahr 2022 sind eine ganze Reihe von Förderungen an Talisa thüringenweit gestoppt worden - bis die Vorwürfe untersucht sind. Trotzdem hat der Verein auch im Jahr 2022 Förderungen indirekt vom Land erhalten, während die staatsanwaltschaflichen Ermittlungen bereits liefen.
Im Rahmen des Landesprogramms Solidarisches Zusammenleben der Generationen (LSZ) gab es im August knapp 50.000 Euro für Talisa. In dem Programm können Kommunen und Landkreise Gelder beim Sozialministerium beantragen und dann eigenständig an Träger weitergeben.
Das machte die Stadt Erfurt und unterstützte so das Talisa Nachbarschaftszentrum am Wiesenhügel. Dabei hätten die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft keine Rolle gespielt, heißt es aus dem Rathaus. Offensichtlich hatte der Verein in der kommunalen Politik eine Lobby, die sich für eine weitere Förderung - trotz der Betrugsvorwürfe - eingesetzt hatte.
Ministerium wusste von GfAW-Prüfung
Das Sozialministerium bestätigte auf MDR THÜRINGEN-Anfrage, im November von der Förderung an Talisa erfahren zu haben. Allerdings sei die Auszahlung der Gelder Sache der Kommunen, in diesem Fall Erfurt, heißt es aus dem Haus von Ministerin Werner. Darauf habe man keinen Einfluss, weil es im LSZ-Programm so festgelegt worden sei.
Was das Ministerium aber auch wusste: Dass die GfAW bereits im Oktober gegen Talisa vorgegangen war und Geld zurückgefordert hatte. Auch in diesem Fall führt die Spur auf den Wiesenhügel in Erfurt. Denn das Nachbarschaftszentrum, das im August 2022 rund 50.000 Euro aus dem LSZ-Topf bekommen hatte, ist eines der drei beanstandeten GfAW-Projekte im Bereich der "Öffentlich geförderten Beschäftigung", bei dem der Verdacht auf zweckfremde Verwendung von Fördermitteln besteht.
Der Verein wollte sich auf MDR THÜRINGEN-Anfrage zu den Rückforderungen der GfAW und zu der Förderung im Landesprogramm Solidarisches Zusammenleben der Generationen nicht äußern.
MDR (lke,ar,mm)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 06. April 2023 | 12:00 Uhr