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Sicher im Sport Schutz vor Gewalt an Kindern: Vor welchen Herausforderungen Thüringer Vereine stehen
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03. März 2025, 05:00 Uhr
Kinder- und Jugendschutz spielt in Thüringer Sportvereinen nur teilweise eine zentrale Rolle. Der Landessportbund unterstützt Vereine mit Konzepten, Schulungen und Förderungen, um sichere Strukturen zu schaffen. Zwei Vereine befassen sich seit vielen Jahren intensiv mit dem Thema. Wie setzen der TC Kristall Jena und der Chikara Club Erfurt Kinderschutz konkret um? Und welche Maßnahmen sind noch nötig? Ein Blick auf aktuelle Entwicklungen und Perspektiven.
Sexualisierte Gewalt kommt sowohl im Leistungs- als auch im Breitensport vor. Das zeigt die bundesweite Studie "Safe Sport". Besonders problematisch ist laut Studie das Machtverhältnis zwischen Trainer und Athlet.
Weiterführend untersuchte die Studie "SicherImSport" konkret den Breitensport und zeigt alarmierende Ergebnisse: 63 Prozent der Befragten berichteten, im Vereinssport mindestens einmal psychische Gewalt erfahren zu haben, und 37 Prozent gaben an, mindestens einmal körperliche Gewalt erlebt zu haben. Ein zentrales Ergebnis ist, dass Betroffene von Gewalt im Sport selten über ihre Erfahrungen berichten und kaum Unterstützung bei Sportvereinen oder -verbänden suchen.
Herausforderungen bei kleineren Sportvereinen
Ein wichtiger Meilenstein war die Einrichtung der unabhängigen Ansprechstelle "Safe Sport e.V.", die sich speziell mit Fällen von sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt im Sport befasst. Diese Anlaufstelle wurde 2023 eröffnet und bietet Beratung für Betroffene sowie Unterstützung für Vereine im Breiten- und Leistungssport.
Etwa ein Drittel der gemeldeten Fälle kommen aus dem Spitzensport und etwa zwei Drittel aus dem Breitensport.
Ina Lambert, Geschäftsführerin der unabhängigen Ansprechstelle "Safe Sport e.V.", betont: "Etwa ein Drittel der gemeldeten Fälle kommt aus dem Spitzensport und etwa zwei Drittel aus dem Breitensport." Sie sieht Herausforderungen insbesondere bei kleineren Breitensportvereinen: "Die Ressourcen der Vereine sind oft gering, sowohl finanziell als auch zeitlich, und in manchen Vereinen hat das Thema noch nicht die gewünschte Relevanz."
Kinderschutz aus Sicht des Landessportbundes
Der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist eine zentrale Aufgabe des Landessportbundes Thüringen (LSB). Bislang haben nur etwa 50 bis 80 der insgesamt über 3.200 Thüringer Sportvereine ein Schutzkonzept. Der Handlungsbedarf ist groß. Steffen Sindulka, Kinderschutzbeauftragter des LSB, betont die Bedeutung klarer Schutzkonzepte: "Jeder Verein sollte einen Kinderschutzbeauftragten benennen und regelmäßig Schulungen für Trainer und Betreuer anbieten." Der LSB unterstützt Vereine dabei mit Handlungsempfehlungen, Informationsmaterialien und finanziellen Fördermöglichkeiten für Präventionsmaßnahmen.
Kinderschutzkonzept ab 2029 verpflichtend
Ab 2029 wird ein Kinderschutzkonzept für jeden Sportverein verpflichtend. "Wir haben als Thüringer Sport gesagt, dass wir sämtliche Förderung an die Vereine ab 1. Januar 2029 unter die Bedingung eines vorhandenen Schutzkonzeptes stellen. Wir wollen dies im Rahmen eines Stufenplans durchführen. Es wird auch Handreichungen für die Vereine geben. Es gibt jetzt eine Workshop-Reihe, wo es um die Erstellung von Schutzkonzepten geht", so Sindulka.
Was ein Kinderschutzkonzept enthalten muss:
1. Risikoanalyse
2. Leitbild des Vereins
3. Regelmäßige Fortbildungen
4. Transparenz im Umgang mit den Übungsleitern
5. Jugendordnung und Beschwerdemöglichkeit für Kinder
6. Eingangskriterien für Übungsleiter: Bewerbungsgespräche, Führungszeugnis, Ehrenkodex
7. Interventionsleitfaden: Welche Maßnahmen werden ergriffen, wenn der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung oder Missbrauch besteht?
Zwei Vereine, die sich aktiv für den Kinderschutz engagieren, sind der TC Kristall Jena und der Chikara Club Erfurt. Beide Vereine haben klare Richtlinien für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen etabliert und setzen auf regelmäßige Schulungen ihrer Mitglieder.
Das war eine der härtesten Erfahrungen in meinem Leben, weil es am Ende darauf hinausläuft, mich in einen Täter hineinzuversetzen.
Tanzclub Kristall Jena e.V.
Der TC Kristall Jena ist deutschlandweit der erste Verein mit dem Siegel "Sportverein aktiv im Kinderschutz". Der Verein hat über 250 Mitglieder, darunter mehr als 90 Kinder. Mike Ogorsolka, Kinderschutzbeauftragter des Vereins, ist durch das gesamte Gebäude gegangen, um eine Risikoanalyse durchzuführen: "Das war eine der härtesten Erfahrungen in meinem Leben, weil es am Ende darauf hinausläuft, mich in einen Täter hineinzuversetzen und zu überlegen, an welchen Verstecken kann ich mich an Kindern vergehen. Das hat mir und dem Verein sehr bewusst gemacht, warum wir das alles umsetzen."
Ein weiteres zentrales Anliegen war die Verbesserung der Umkleidesituation. Ursprünglich gab es nur eine gemeinsame Umkleide. Deshalb wurde eine zweite eingerichtet, um den Schutz der Kinder und Jugendlichen zu verbessern.
Ein entscheidender Schritt sei zudem die Verankerung des Kinderschutzes in der Vereinssatzung. "Erfahrungsgemäß sind Mitgliederversammlungen nicht die am besten besuchten Veranstaltungen. Aber was dort entschieden wird, gilt für jedes Mitglied im Verein", so Ogorsolka.
Niedrigschwellige Anlaufstellen für Kinder
Neben Umbauten setzt der Verein auf Sensibilisierung: "Wir informieren unsere Trainer und Eltern jährlich über Ansprechpartner und Kinderschutzmaßnahmen. Zudem haben wir ein transparentes Kommunikationskonzept. Kinder sollen sich jederzeit an uns wenden können, wenn sie sich unwohl fühlen." All das ist auf der Website des Vereins TC Kristall Jena nachzulesen.
Karate Chikara Club Erfurt e.V.
Frank Sattler vom Chikara Club Erfurt hebt hervor, dass Kinderschutz in seinem Verein generationsübergreifend verankert ist: "Unsere Mitglieder wachsen bei uns auf - vom Kindesalter bis ins Erwachsenenalter. Das Thema Kinderschutz lebt in unserer Vereinsstruktur."
Ein besonderes Augenmerk legt der Club auf die Schulung der Trainer und das Bewusstsein für mögliche Gefahren: "Die Vorschriften, die wir haben, egal in welcher Form, ob Datenschutz, ob Ehrenkodex oder Führungszeugnis bringen nur was, wenn man es lebt und dann müssen sie aber auch kontrolliert werden, so Sattler.
Er kritisiert jedoch, dass der Austausch zwischen Vereinen, Schulen und politischen Entscheidungsträgern verbessert werden muss: "Viele Vereine schieben das Thema noch weg oder fühlen sich nicht ausreichend unterstützt. Es braucht eine stärkere Zusammenarbeit, um Schutzmechanismen zu etablieren."
Thüringer Ministerium fördert den Kinderschutz im Sport
Die anteiligen Fördermittel des Landes Thüringen für Kinderschutzmaßnahmen im Sport sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen - von etwa 29.000 Euro im Jahr 2019 auf gut 63.000 Euro im Jahr 2025. Zusätzlich leistet der LSB einen Eigenanteil von 30 Prozent. Gemeinsam werden damit die Stellen des Kinderschutzbeauftragten und verschiedene Projekte finanziert. 2025 betragen die Projektgesamtkosten mehr als 90.000 Euro.

Im April 2024 wurde in Thüringen ein Landesbetroffenenrat für Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend eingerichtet. Ehrenamtliche Experten sind hier beratend tätig und kommen auch aus dem Bereich des Sports, wie das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Arbeit und Familie mitteilte.
Zukunft des Kinderschutzes in Thüringen
Wenn Kinder mit Kinderschutz aufwachsen, wird es für sie selbstverständlich, diesen auch später als Trainer oder Verantwortliche weiterzugeben.
Langfristig sehen Experten wie Frank Sattler die Lösung in einem Wandel der Vereinsstruktur: "Wenn Kinder mit Kinderschutz aufwachsen, wird es für sie selbstverständlich, diesen auch später als Trainer oder Verantwortliche weiterzugeben."
Auch Ogorsolka betont, dass der Austausch zwischen Vereinen mit bestehenden Kinderschutzkonzepten und solchen, die noch keines umgesetzt haben, intensiviert werden muss. Durch die enge Zusammenarbeit von Landessportbund, Vereinen und ehrenamtlichen Helfern kann ein sicheres Umfeld für Kinder und Jugendliche im Sport geschaffen werden. "Das Falscheste, das man machen kann, ist, nicht anzufangen", so Sindulka.
Die beiden Vereine zeigen, dass Kinderschutz nicht nur eine Verpflichtung, sondern eine Chance ist, das Vertrauen in den Sport zu stärken. Davon profitieren alle Vereinsmitglieder.
MDR (jm/caf)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 03. März 2025 | 18:00 Uhr