Eine Gruppe Festivalbesucher in Themar auf einer Wiese
Diesen Sommer blieben die Rechtsrock-Konzerte in Thüringen aus. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Neonazi-Szene Weniger Rechtsrock-Konzerte in Thüringen: Innenminister Maier spricht von Trendwende

23. November 2022, 05:00 Uhr

Im Jahr 2019 hielt Thüringen einen traurigen Rekord: In keinem anderen Bundesland gab es mehr Neonazi-Konzerte. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Erfurt hatte in dem Jahr 65 Rechtsrock-Konzerte erfasst. Doch dann kam Corona. Und obwohl große Konzerte in diesem Sommer wieder möglich waren, blieben sie beim Rechtsrock offenbar aus. Thüringens Innenminister Georg Maier sieht darin eine Trendwende. Doch nicht alle teilen seine Einschätzung.

Noch vor ein paar Jahren gab es in Thüringen Rechtsrock-Konzerte mit Tausenden Besuchern. Doch das Geschäftsmodell so großer Festivals funktioniere nicht mehr, sagt Innenminister Georg Maier: "Weil wir verschiedene Maßnahmen ergriffen haben, um es unattraktiv zu machen. Zum Beispiel ein Alkoholverbot. Darüber hinaus haben wir es möglich gemacht, Journalistinnen und Journalisten jederzeit auf den Platz zu lassen."

Man habe auch andere Nadelstiche gesetzt, die dazu geführt hätten, dass angekündigte Rechtsrock-Konzerte mit mehreren Tausend Teilnehmern so klein geworden seien, "dass es sich einfach auch nicht mehr rechnet". Trotzdem gebe es solche Konzerte weiterhin – vor allem im kleinen Rahmen in geschlossenen Räumen.

Warum Rechtsrock-Konzerte für die Neonazi-Szene möglicherweise unattraktiv geworden sind

Aber stimmt die Aussage des Innenministers überhaupt, dass große Festivals jetzt nicht mehr funktionieren? Thorsten Hindrichs von der Uni Mainz forscht seit 15 Jahren zu Rechtsrock und beantwortet die Frage mit: Jein. "Vordergründig hat Herr Maier recht würde ich sagen. Er bezieht sich ja explizit auf diese riesengroßen Festivals, wie man sie so zwischen 2017 und 2019 gesehen hat in Thüringen und Sachsen. Und dieses Modell funktioniert, glaube ich, nicht mehr."

Das liege aber nicht allein an Interventionen von Politik und Zivilgesellschaft, sondern das sei auch Ergebnis eines szene-internen Erkenntnisprozesses.

Damit meint Hindrichs: Störend war für die Neonazis zum einen die Presse vor Ort. Zum anderen habe es eine Art Überbietungswettbewerb gegeben – je größer das Festival, desto besser. Doch diese Strategie ging nicht auf.

Dass auch Corona eine Rolle gespielt habe, meint Felix Steiner von der Mobilen Beratung in Thüringen – eine Beratungsstelle, die sich gegen Rechtsextremismus und Rassismus einsetzt. Man sehe, dass wichtigen Thüringer Rechtsrock-Unternehmern das Organisieren dieser Konzerte zu unsicher sei, solange noch Corona-Einschränkungen gelten würden.

"Was Herr Maier aber vergisst: Dass es auch eine ganze Reihe an Neonazis gibt, die nicht nur mit Rechtsrock Geld verdienen, sondern ganz normale 90er-Jahre-Partys organisieren, wo teilweise auch Personen aus der organisierten Kriminalität beteiligt sind", sagt Steiner.

Wissenschaftler warnt vor Fortbestand der Szene

Steiner betont, dass es auch viele Rechtsrock-Festivals im Ausland gebe, zu denen deutsche Neonazis hinreisen würden – zuletzt in Italien. Auch Maximilian Kreter ist vorsichtig bei der Aussage von Thüringens Innenminister.

Kreter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden. Er schreibt auch seine Doktorarbeit über Rechtsrock. "Grundsätzlich würde ich dem nicht zustimmen". Kreter sagt, er teile die Auffassung der Linke-Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss, die von einem Fortbestand der Szene ausgehe – mit angepassten Veranstaltungen und Geschäftsmodellen. Bei den Festivals stellt Kreter in Frage, ob man so fest damit rechnen könne, "dass 2023 nichts stattfindet". Das halte er momentan noch für offen. "Ich würde mir da keine Prognose wie Herr Maier zutrauen."

Offen bleibt also, wie der kommende Sommer aussieht - wenn die Corona-Lage sich wieder entspannt.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 23. November 2022 | 06:00 Uhr

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