Schwangerschaftsabbrüche in Mitteldeutschland Mediziner: "Es gibt hier keine Versorgungslücken"
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17. März 2022, 13:45 Uhr
Ekkehard Schleußner führt seit 1988 Schwangerschaftsabbrüche durch. In Mitteldeutschland gibt es seiner Erfahrung nach keine Versorgungslücken, was Schwangerschaftsabbrüche angeht. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen könnten Betroffene überall innerhalb eines Tages zu einem Eingriff hin- und wieder zurückkommen.
Professor Ekkehard Schleußner ist Direktor der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Jena. Er führt seit 1988 Schwangerschaftsabbrüche durch und arbeitet aktuell an der Erstellung einer bundesweiten Leitlinie zum sicheren Schwangerschaftsabbruch mit. MDR hat ihn gefragt, wie er die Versorgungslage im Bereich Schwangerschaftsabbrüche in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wahrnimmt.
MDR: Machen Sie in Ihrem Berufsalltag die Erfahrung, dass es unzureichende medizinische Versorgung für Menschen gibt, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen?
Ekkehard Schleußner: Nein, in Mitteldeutschland ist das meiner Meinung nach nicht der Fall. Es verunsichert Frauen nur unnötig, wenn das behauptet wird. Wir sollten nicht das schlecht machen, was im Osten eben gerade ganz gut läuft. Dass nicht alle Kliniken Abbrüche durchführen, heißt nicht, dass es Versorgungslücken gibt. Überwiegend finden Schwangerschaftsabbrüche meiner Erfahrung nach in Praxen statt. Kliniken spielen dabei eher eine geringe Rolle. In der Klinik finden in der Regel schwierigere Abbrüche statt, zum Beispiel von Menschen mit Vorerkrankung.
Ich sehe in Mitteldeutschland in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche keine Versorgungslücke in räumlicher oder zeitlicher Struktur.
Wenn es eine Versorgungslücke gibt, dann betrifft sie möglicherweise Frauen ohne Versicherungsschutz oder Frauen, für die es zum Beispiel wegen einer Sprachbarriere schwieriger ist, an Informationen zu kommen. Ich weiß es nicht genau, aber da könnte eine Versorgungslücke sein. Aber nicht die Tatsache, dass in meinem Heimatstädtchen kein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt wird. Das ist keine Versorgungslücke.
Ich arbeite gerade an der Erstellung einer bundesweiten fachlichen Leitlinie "Sicherer Schwangerschaftsabbruch" mit. Da sind ganz viele verschiedene Parteien dabei, Mediziner und Interessengruppen aus ganz Deutschland. Im gemeinsamen Austausch hat sich herausgestellt: Keiner kann belegen, dass es wirklich Versorgungslücken gibt. Das wird nur von verschiedenen Seiten vermutet.
Wenn die Daten, die es gibt, keine Versorgungslücke belegen können – dann können sie doch auch nicht belegen, dass die Versorgung ausreicht. Oder?
Das ist falsch. Wenn irgendwo Frauen aufschlagen würden, die keinen Abbruch bekommen haben, die ungewollt schwanger bleiben mussten oder illegal abtreiben oder wenn Frauen im großen Stil die ins Ausland gehen müssten, um eine Schwangerschaft abzubrechen, so wie das in Polen der Fall ist, dann ist das der Nachweis für eine Versorgungslücke.
Aber das ist hier nicht der Fall. Ich kenne keine Schwangere, die gegen ihren Wunsch schwanger bleiben musste. Das ist mir in meinem ganzen Berufsleben noch nicht begegnet. Ich weiß nicht, wie das zum Beispiel in Süddeutschland ist. Aber für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kann ich das mit großer Sicherheit sagen.
Ab wann würden Sie denn die Versorgungslage als lückenhaft beschreiben? Wie weit kann man Betroffenen zumuten, zu fahren?
Ich würde das in eine andere Situation übertragen: Wie weit sind Sie bereit, zu fahren, um noch ins IKEA zu kommen? Oder in die Metro, um einzukaufen, oder ins Konzert? Die Leute fahren hunderte Kilometer, um zu ihrem Freizeitvergnügen zu kommen. Da kann ich nicht verlangen, dass die medizinische Versorgung innerhalb von 20 oder 30 Kilometern erreichbar sein muss. Das entspricht nicht der Lebensrealität in unserer Gesellschaft. Etwas anderes wäre das vielleicht, wenn wir nur zu Fuß oder in Pferdekutschen unterwegs wären.
Die Leute fahren hunderte Kilometer, um zu ihrem Freizeitvergnügen zu kommen. Da kann ich nicht verlangen, dass die medizinische Versorgung innerhalb von 20 oder 30 Kilometern erreichbar sein muss.
Ich würde das anders definieren: Es braucht eine wohnortnahe Betreuung. Das bedeutet für mich, dass man innerhalb eines Tages hin- und wieder zurückkommen kann bei einem ambulanten Eingriff. Eine ähnliche Diskussion gibt es auch um die Forderung, dass kleine Krankenhäuser alle eine Geburtsstation haben soll. Die Qualität kann in kleinen Häuser gar nicht aufrechterhalten werden, wenn vielleicht 200 Geburten im Jahr stattfinden. In dem Kontext stellt sich auch die Frage, welche Distanz ist zu weit für eine Anreise. Ich finde, 65 Kilometer sind da durchaus eine realistische Größe.
Manche Frauen berichten, dass sie mit der ärztlichen Versorgung rund um ihren Schwangerschaftsabbruch negative Erfahrungen gemacht haben, zum Beispiel, weil sie dazu gedrängt wurden, die Schwangerschaft nicht abzubrechen. Wie stehen Sie dazu?
Dass man als Frauenarzt erstmal pro Schwangerschaft berät und auf die schwerwiegende Konsequenz des Schrittes hinweist, ist legitim. Das heißt ja nicht, dass der Abbruch verweigert wird. Ich führe selbst seit über 30 Jahren Abbrüche durch und stehe auch dazu, weil ich denke, es ist ein legitimes Abwägen zwischen dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung und dem Recht auf Leben. Aber das geht nicht so nebenbei. Das ist immer eine Entscheidung zwischen Leben und Tod. Man darf das nicht kleiner machen, als es ist.
Die Kommunikation ist nicht easy. Das darf nicht flapsig sein, aber auch nicht verharmlosend.
Wie man das dann kommuniziert, hat natürlich mit der ärztlichen Kommunikationskompetenz zu tun. Wie kann ich bei mir bleiben, ohne die Patientin zu verletzen. Wenn das so flapsig passiert, der liebe Gott hat das gewollt und so, dann halte ich das nicht für richtig. Aber auf der anderen Seite haben auch wir das Recht als Ärzte, zu sagen, ich kann diesen Schwangerschaftsabbruch nicht mittragen. Niemand darf gezwungen werden, bei einem Schwangerschaftsabbruch dabei zu sein.
MDR (Alisa Sonntag)