Landwirtschaft Braunes Gold: Wie Ackerflächen in Thüringen vor Spekulationen geschützt werden könnten
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25. März 2023, 06:00 Uhr
Nicht nur Wohnungspreise sind jahrelang gestiegen - auch Äcker und Weideflächen sind in den vergangenen Jahren immer teurer geworden. Zum Leid vieler Bauern. Dem könnte in Thüringen erstmals ein Gesetz den Riegel vorschieben. Doch noch steht das Vorhaben auf wackligen Beinen.
- Für Bäuerinnen und Bauern ist es schwer geworden, neue Flächen zur Bewirtschaftung zu finden.
- Ein Thüringer Agrarstrukturgesetz könnte den angespannten Bodenmarkt schützen.
- Auch außerlandwirtschaftliche Investoren drängen auf den Markt - um beispielsweise Erneuerbare Energien auf den Flächen zu nutzen.
Damit hatten die Scharfs nicht gerechnet: Vor gut einem Jahr wollte sich der familiengeführte Biohof Scharf aus Ollendorf im Kreis Sömmerda eigentlich vergrößern. In der Nähe von Weimar standen knapp 60 Hektar Ackerflächen zum Verkauf.
Doch die Ernüchterung kam schnell: Ein offenbar finanzstarker Investor aus dem Südwesten Deutschlands hatte ein Angebot für die Flächen abgegeben - samt Provision für über zwei Millionen Euro.
Gunther Scharf hätte mit seiner Familie gleichziehen können. Doch über Generationen hätten die Investitionen dem Betrieb auf der Tasche gelegen - Schulden für die Urururenkelinnen quasi.
Die Krux: Durch Landverkäufe wie diese steigen nicht nur die Kaufpreise für Agrarland, sondern auch die Preise für Pachten, da Investoren ihre Kosten in der Regel refinanzieren wollen und auf die Nutzer der Flächen - die Landwirte - umlegen.
Die erste Grafik zeigt, dass sich in Thüringen der durchnittliche Kaufpreis pro Hektar landwirtschaftlichem Grundstück zwischen 2005 und 2020 mehr als verdreifacht hat. Vor allem aufgrund der Bodengüte gibt es gleichzeitig deutliche regionale Unterschiede, wie der Blick auf die zweite Karte verrät. Dort sind die Bodenwerte für Äcker je Hektar dargestellt.
Immobilien-Investor schlägt in Brandenburg zu
Doch nicht nur der durchschnittliche Preis für den reinen Flächenkauf ist in den vergangenen Jahren rapide gestiegen: Durch Anteilskäufe - sogenannte Share-Deals - können Investoren bislang unproblematisch große Teile eines landwirtschaftlichen Betriebs kaufen und damit auch bäuerliche Kaufinteressenten ausstechen. Sie kaufen also nicht die Fläche an sich, sondern den Betrieb, dem das Land gehört. Gerade in Ostdeutschland nimmt diese Landübernahme durch die Hintertür durch Investoren zu.
So geschehen jüngst im brandenburgischen Elbe-Elster Kreis: Dort bot die Quarterback Immobilien AG zwei Millionen Euro mehr als der Landwirt Tobias Lemm, der ebenfalls gerne einen zum Verkauf stehenden, 2.500 Hektar großen Betrieb erworben hätte. Bauer Lemm konnte mit dem kapitalstarken Angebot von Quarterback - das zu 40 Prozent dem Immobilieninvestor Deutsche Wohnen gehört - nicht mitziehen. Quarterback kündigte an, die Rolle der Landwirtschaft auf den gekauften Flächen solle steigen. Gleichzeitig will das Unternehmen aber teilweise auch Solaranlagen auf den Äckern aufstellen.
Der Verkauf wurde bundesweit kritisiert, ähnlich wie der Verkauf eines großen thüringischen Betriebs an eine Tochterstiftung des Aldi-Konzerns im Jahr 2020.
Thüringen erstes Bundesland mit Agrarstrukturgesetz?
Doch nicht erst seit diesem Verkauf an die Aldi-Stiftung wird in Thüringen über die Frage gestritten, ob und wie Agrarland vor Spekulationen von Investoren geschützt werden soll. Mitte März stellte Thüringens Landwirtschaftsministerin Susanna Karawanskij (Linke) nun den Entwurf eines Agrarstrukturgesetzes vor. Das Gesetz mit dem ganzen Titel "Agrar- und Forstflächenstrukturgesetz" soll laut Karawanskij vor allem Transparenz auf dem Bodenmarkt herstellen und es richten für Landwirte, die kein neues Land mehr finden. Der Entwurf liegt MDR THÜRINGEN vor.
Darin ist unter anderem eine Preismissbrauchskontrolle vorgesehen, nach der in Regionen mit besonders hohen Bodenpreisen die Grenze bei 20 Prozent über dem in der Region durchschnittlichen Marktpreis gezogen werden könnte.
Zudem könnte die Thüringer Landgesellschaft Flächen vorkaufen, um sie direkt oder zu einem späteren Zeitpunkt an einen tatsächlichen Landwirt weiterzuverkaufen - eine Maßnahme, die beispielsweise auch der Familie Scharf aus Ollendorf vor einem Jahr hätte helfen können. Für den Fall, dass der Verkauf von Äckern und Wiesen nicht den Behörden bekannt gemacht wird, sieht der Entwurf zudem Bußgelder von bis zu einer Million Euro vor.
Wirklich neu und bislang in Deutschland einzigartig ist die sogenannte Share-Deal-Regelung. Würde das Gesetz nach aktuellem Stand umgesetzt, müssten Anteilskäufe an landwirtschaftlichen Unternehmen ab einem Kauf von 50 Prozent der Anteile angezeigt, und ab einem Kauf von 90 Prozent auch genehmigt werden. Die Idee dahinter: Das Land Thüringen hätte dann auch in Betriebsverkäufen wie 2020 an Aldi ein Mitspracherecht. Und könnte beispielsweise auch einen Verkauf wie den an den Investor Quarterback verhindern.
Ministerium will Flächendruck durch Erneuerbare verhindern
Erneuerbare Energien auf Agrarflächen könnten ein wichtiger Faktor in der Energiewende sein. Dass aber damit auch außerlandwirtschaftliche Investoren auf den Bodenmarkt drängen und die Flächen für den Ausbau Erneuerbarer Energien nutzen, erhöht gleichzeitig den Druck auf die Landwirtschaft. Die sogenannte Agri-Photovoltaik, also die ergänzende Nutzung mit Solarmodulen auf Äckern und Weiden, ist daher ein weiterer Bereich, in dem das Thüringer Agrarstrukturgesetz wirken könnte. Viele Bauernvertreter sind gegen Agri-PV, da sie fürchten, dass dadurch die Preise zusätzlich angetrieben werden.
Das Thüringer Landwirtschaftsministerium erklärt diesbezüglich, dass Agri-PV-Anlagen durchaus eine wichtige, zusätzliche Einkommensquelle für Landwirte sein können. Betont aber, dass "die Produktion von Lebensmitteln immer Vorrang" haben soll. Ein Strukturgesetz, so die Hoffnung, soll verhindern, dass zu viele Ackerflächen zum Beispiel in Solar- oder Windparks umgewandelt werden. Doch das klappt nur, wenn das Gesetz zum scharfen Schwert wird und im Einzelfall gut eine Gefahr für die Agrarstruktur definieren kann - und genau an dieser Effektivität des aktuellen Entwurfes gibt es bislang noch Zweifel.
Von der Thüringer Landesenergieagentur Thega kommen in dieser Frage erste zustimmende Signale. "Agrarflächen sind ein hohes Gut, mit dem wir sorgsam umgehen müssen", schreibt Ramona Rothe, Bereichsleiterin für Erneuerbare Energien auf Anfrage. Besonders das Vorkaufsrecht und die Anzeigepflicht sind daher aus Thega-Sicht geeignet, die Agrarstruktur nicht noch weiter zu überfordern.
Forscherin: Entwurf ist Tiger mit Gebissprothese
Seit Anfang dieser Woche zirkuliert das Papier nun in den Kreisen der Landtagsfraktionen und bei den Bauernverbänden. Auch Professorin Antje Tölle hat sich den Gesetzesentwurf schon einmal angeschaut. Sie sei einfach neugierig gewesen, sagt sie im Interview. Tölle forscht an der Hochschule Wirtschaft und Recht Berlin - es dürfte nicht viele Menschen in Deutschland wie sie geben, die sich so gut mit Gesetzgebungsverfahren und gleichzeitig mit dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt auskennen.
Der Entwurf hat ein bisschen aufpolierte Zähne.
Tölle zufolge ist der aktuelle Entwurf aus Thüringen zwar kein zahnloser Tiger, um gegen die Probleme am Bodenmarkt vorzugehen. Im Vergleich zu dem, was bestehende Gesetze wie das Grundstücksverkehrsgesetz in der Summe bereits regeln, seien die Preismissbrauchsbremse und das Vorkaufsrecht aber nur wie "ein bisschen aufpolierte Zähne". Ansonsten bleibt Tölle zufolge vor allem die Share-Deal-Regelung viel zu unkonkret. Sie meint damit, dass Anteilsverkäufe zwar angezeigt und ab 90 Prozent genehmigt werden müssten, "aber es wird nicht gesagt, aus welchen Gründen ein Geschäft versagt wird".
Die Forscherin verweist auf Brandenburg. Auch dort gibt es noch kein Agrarstrukturgesetz, doch in einem Eckpunktepapier werde überlegt, Share Deals auf andere und eventuell wirksamere Weise einzuschränken: Demzufolge könnte es in Brandenburg eine Obergrenze an Hektar geben, bis zu der ein Käufer Land erwerben dürfte - und nicht mehr.
Wichtig wird laut Antje Tölle aber letztlich, wie konkret und vollzugstauglich die Abgeordneten des Thüringer Landtages den Entwurf in den kommenden Monaten verfeinern und letztendlich beschließen.
Alles hängt an den Abgeordneten im Landtag
Derzeit haben die Landwirtschaftsverbände noch Zeit für eine Stellungnahme gegenüber der Landesregierung. Anschließend wandert der Entwurf ins Plenum des Thüringer Landtages. Das zuständige Landwirtschaftsministerium hofft, dass das noch Ende Mai oder spätestens vor der Sommerpause im Juli passieren kann - nennt die Pläne selbst aber auch sportlich.
Die Abgeordneten werden das Vorhaben dann in den zuständigen Ausschuss überweisen, wo unter Einbeziehen von Expertinnen und Verbänden die einzelnen Punkte konkretisiert und geschliffen werden.
Strukturgesetz dürfte Wahlkampf-Munition werden
Noch äußern sich die zuständigen Abgeordneten der Thüringer Fraktionen recht vage. Vor allem einzelne Mitglieder der Linken hatten immer mal wieder Vorstöße für das Gesetz gemacht. Auch Grüne und SPD äußern generelle Unterstützung. Alle betonen, mögliche Veränderungen in die Eigentumsstruktur nur mit den Betroffenen, also den Landwirten selbst gestalten zu wollen.
Auch die FDP und die AfD sehen prinzipiell die Notwendigkeit für ein neues Gesetz, lassen aber offen, unter welchen Ausformulierungen sie tatsächlich zustimmen werden. Und die CDU? Ohne ihre Zustimmung kann sich die rot-rot-grüne Minderheitsregierung das Gesetzesvorhaben aufgrund der schwierigen Mehrheitsverhältnisse in die Haare schmieren. Noch ohne den den genauen Wortlaut zu kennen, bezeichnete Marcus Malsch, landwirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, den Entwurf vergangene Woche noch als "übergriffig". Das Gesetz, so Malsch, sei ein Eingriff ins Eigentum der Bauern, das geschützt werden müsse.
Die Debatte dürfte sich in den kommenden Monaten an genau dieser Linie weiter erhitzen - im Wahlkampf-Pingpong, das über Herbst und Winter an Fahrt aufnehmen wird. Genau dann, wenn das Thema den Landtag und seinen Ausschuss beschäftigen wird: Auf der einen Seite jene, die verhindern wollen, dass Kapital von außen die Preise auf dem angespannten Bodenmarkt weiter nach oben treiben. Und auf der anderen die, die jene (großen) Betriebe schützen wollen, die früher oder später darüber nachdenken könnten, eigene Anteile zu veräußern - um sich die Altersvorsorge zu sichern, oder um wirtschaftlich liquide zu bleiben.
Bauernvertreter gespalten
Die Bauernschaft selbst ist bei dem Thema gespalten: Auf der einen Seite der Thüringer Bauernverband (TBV). In seinen Reihen finden sich Betriebseigentümer, die für die Reform des Bodenmarktes sind. Doch nach außen lehnte der Verband ein Agrarstrukturgesetz bisher eher ab und wollte sich zum jetzigen Zeitpunkt auf Anfrage noch nicht im Detail zu dem neuen Entwurf äußern. Wie groß der Einfluss des traditionell eher konservativ geprägten TBV auf die CDU sein dürfte, wird sich in den kommenden Monaten in den Verbändeanhörungen zeigen. Eine Randnotiz: Bauernverbands-Präsident Klaus Wagner ist Ende Februar selbst in die CDU eingetreten.
Und dann gibt es da noch die AbL, die Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft, die eher kleinbäuerliche Betriebe vertritt. Sie lobbyiert seit Jahren mit Volldampf für ein Strukturgesetz. Reiko Wöllert, Landesgeschäftsführer in Thüringen, begrüßte den Vorschlag zur Share-Deal-Regelung, kritisierte gleichzeitig aber auch, dass es keine genauen Versagungsgründe für die Anteilskäufe gebe. "Unverständlich ist, warum Thüringen nicht im Einklang mit den anderen ostdeutschen Bundesländern klare Obergrenzen definiert. Für die Landtagsabgeordneten bleibt da im parlamentarischen Verfahren noch viel zu tun!"
Für Landwirt Scharf und seine Familie aus Ollendorf kommt der Entwurf spät. Sie haben immer noch keine neuen Flächen gefunden, auf denen sie zusätzliches Getreide anbauen können. Am Telefon winkt er seufzend ab: "Bei den Preisen ist es unmöglich für uns, etwas Passendes zu finden."
MDR (dst/kon)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Frühsendung | 22. März 2023 | 06:08 Uhr
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