"Meinung zu Gast" Keine Angst vor KI
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01. September 2023, 20:50 Uhr
Für "Meinung zu Gast"-Autor Marcel Auermann mausert sich Thüringen unter anderem mit seinen Städten Ilmenau und Jena zu einem wichtigen Entwicklungsstandort in Sachen Künstliche Intelligenz. Und das ist auch gut so, weil wir aus vielerlei Hinsicht den Anschluss nicht verpassen dürfen. Ein Gastbeitrag.
Künstliche Intelligenz, kurz: KI – noch nie etwas damit zu tun gehabt? Sagt Ihnen nichts? Dann wäre eine Fahrt im Camil in Ilmenau etwas und Sie werden sich verwundert die Augen reiben. Erstens, weil der Bus schnuckelig klein ist. Er hat nur sechs Sitze, ist höher als breit und zuckelt deutlich behutsamer durch die Stadt. Zweitens, weil er ohne Fahrer unterwegs ist, der das Gefährt klassisch lenkt. Genau bei diesem autonom fahrenden Kleinbus, der inzwischen im regulären Betrieb eine Linie bedient, ist KI am Werk. Das rund 300.000 Euro teure Fahrzeug ist voll mit neuesten Entwicklungen aus der Luft- und Raumfahrt. Vor allem Sensoren steuern es unfallfrei durch die Straßen.
Meinung zu Gast In der Rubrik "Meinung zu Gast" analysieren und kommentieren Medienschaffende aus Mitteldeutschland Transformations- und Veränderungsthemen: faktenbasiert, pointiert und regional verortet. Die Beiträge erscheinen freitags auf mdr.de und in der MDR AKTUELL App. Hören können Sie "Meinung zu Gast" dann jeweils am Sonntag im Nachrichtenradio MDR AKTUELL.
Künstliche Intelligenz umgibt uns also mehr als wir alle denken. Das Beispiel des Camil ist nützlich. Bei anderen Erfindungen kann man schon auch mal die Sinnfrage stellen. Etwa bei der Erfindung einer Katzenbesitzerin und Mitarbeiterin am Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologien IDMT in Ilmenau: Sie hat eine Klappe konstruiert, die sich nur bei bestimmten Katzen per Gesichtserkennung öffnet. Nun ja, wie oft ist schon eine fremde Katze bei Ihnen durch die Luke gekrochen?
Thüringen setzt auf KI
Wie dem auch sei, Thüringen entwickelt sich zu einem zentralen Ort, wo Künstliche Intelligenz angewandt wird, und viele Tüftler sitzen, die sich damit beschäftigen. Seit wenigen Monaten gesellt sich sogar noch das Zentrum für Angewandte Künstliche Intelligenz (ZAKI) in Jena dazu. Die Carl-Zeiss-Stiftung fördert das Projekt mit 2,7 Millionen Euro bis Ende März 2028. Am ZAKI soll wissenschaftlicher Nachwuchs ausgebildet werden. Eine weitere Aufgabe besteht darin, Kinder und Jugendliche für das Thema KI zu begeistern.
Dass Thüringen perspektivisch eine große Rolle als Technologie- und Innovationsstandort spielt, dürfte nicht zuletzt durch den Digital-Gipfel untermauert werden. Den veranstaltet die Bundesregierung am 20. und 21. November dieses Jahres in Jena.
Was die digitale Zukunft für ein Gewicht besitzt, verdeutlichen ein paar Zahlen: Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet global mit möglichen Produktivitätszuwächsen durch KI zwischen 2,4 bis 4,1 Billionen Euro pro Jahr. In Deutschland plant bereits jedes sechste Unternehmen (17 Prozent) den Einsatz von Anwendungen mit Funktionen Künstlicher Intelligenz, besagt eine Umfrage des Digitalverband Bitkom.
Viele Berufsbilder werden sich durch KI drastisch ändern
Demnach ist klar, dass wir hier nicht den Anschluss verpassen dürfen. Es gibt berechtigte Befürchtungen, weil eben nicht nur neue Stellen geschaffen, sondern sich viele Berufsbilder drastisch wandeln werden. Wieder andere Felder wird es vielleicht gar nicht mehr geben. Bei aller Euphorie über die vielen Vorteile, die die KI hervorbringt, sollte so viel Ehrlichkeit sein. Wie bei so vielen grundlegenden Veränderungen beispielsweise von der Schreibmaschine zum Computer oder vom Festnetztelefon und dem Häuschen mit Münzfernsprecher zum Handy, bestehen verständlicherweise Ängste. Nichtsdestotrotz bringt die in Deutschland gern vorherrschende Schwarzmalerei nichts. Schon jetzt sind uns etwa die Vereinigten Staaten und China um Längen voraus.
Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Experten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, sind in einer aktuellen Studie auf mögliche Auswirkungen auf die Quantität und Qualität der Arbeitsplätze eingegangen. Ihre Analyse fördert zutage, dass die neue Technologie Arbeitsplätze vor allem ergänzen werde. Anstatt eine Rolle vollständig zu übernehmen, werde sie einige Aufgaben automatisieren.
Gemeinsam mit der Universität Jena forscht beispielsweise das Thüringer Finanzministerium an der digitalen Verwaltungszukunft. KI soll den Angestellten die Arbeit in den Büros erleichtern. Die ostdeutsche Textilindustrie, die ihren Schwerpunkt in Sachsen und Thüringen hat, digitalisiert sich bei der Auftragsabwicklung, bei Abläufen in der Produktion und bei der Entwicklung von Designs.
Personalmangel - KI kann Teil der Lösung sein
Ob kompletter Ersatz oder eine andere Ausgestaltung der Arbeit – wie drängend die schnelle Digitalisierung ist, wird Thüringen täglich deutlich. Es erweist sich als schwierig, Fachkräfte ins Land zu locken. Bereits jetzt ist das Potenzial laut Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München (Ifo) ausgeschöpft. Bis zum Jahr 2035 werden altersbedingt etwa 385.000 Personen aus dem Arbeitsleben scheiden, für die es nicht genug Ersatz gibt.
Wer soll künftig bloß all die Arbeit tun? KI kann bis zu einem gewissen Grad die Lösung sein. Wenn – und das ist unabdingbar – die digitalen Veränderungen maßvoll und transparent geregelt und mit unseren hiesigen Werten vereinbart werden, damit Innovation in Thüringen möglich ist. Dann lässt sich in eine spannende, wettbewerbsfähige Zukunft blicken. Man könnte aber auch alle Vorsicht auf diese eine Regel bringen: Künstliche Intelligenz muss dem Menschen dienen und darf ihn auf keine Weise gefährden, ausspähen oder manipulieren. Wer nach diesem Grundsatz KI einsetzt, wird deutlich weniger Widerstände ernten, ja vielleicht sogar bei den Nutzern Freude an der Anwendung hervorrufen.
Redaktioneller Hinweis Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des Autors oder der Autorin wieder und nicht die der Redaktion.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 03. September 2023 | 09:35 Uhr
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