Landespolitik Thüringer Innenministerium lädt leitenden AfD-Fraktionsmitarbeiter zu Beförderungsrunde ein
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20. Januar 2023, 05:00 Uhr
Ein Beförderungsverfahren im Thüringer Innenministerium wirft aktuell Fragen auf. Es geht um einen hochrangigen AfD-Mitarbeiter im Landtag, ein brisantes Arbeitszeugnis und um die Frage: Wie geht die Landesregierung mit Beamtinnen und Beamten um, die sich für die rechtsextreme Thüringer AfD engagieren?
Björn Höcke scheint sehr zufrieden zu sein mit seinem Mitarbeiter. Der Thüringer AfD-Chef lobt Hermann Schmidt (Name geändert) in den höchsten Tönen, schwärmt von dessen "Verlässlichkeit" und "Einsatz". Schmidt arbeitet seit fast zehn Jahren in Höckes Landtagsfraktion - immer in wichtiger Funktion.
Schmidt ist eigentlich Polizeibeamter, seit Jahren im Innenministerium beschäftigt. Seit März 2015 hat er Sonderurlaub ohne Dienstbezüge. Hermann Schmidt steht im Mittelpunkt eines Beförderungsverfahrens im Innenministerium, das viele Fragen aufwirft.
Thüringer Ministerium lädt zur Bewerbung ein
Der Reihe nach: Alles begann mit zwei Schreiben, die Schmidt im Oktober und November 2021 erreichten. Absender war die Personalabteilung aus dem Haus von Innenminister Georg Maier (SPD). Dessen Personaler luden den beurlaubten Polizisten dazu ein, an einer Beförderungsrunde teilzunehmen.
Der Fall ist vor allem deswegen brisant, weil der Thüringer Verfassungsschutz den Thüringer AfD-Landesverband, zu der auch die Landtagsfraktion gehört, als "erwiesen extremistische Bestrebung" beobachtet und weil Hermann Schmidt Beamter ist. Für Staatsdiener gelten besonders strenge Regeln.
Deswegen hatte Thüringens Innenstaatssekretär Udo Götze (SPD) Ende Juli 2021 allen Bediensteten des Innenministeriums einen mehrseitigen Brief geschickt. Seine Botschaft war klar und deutlich: Er erinnerte alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihre Pflicht zur "besonderen Verfassungstreue".
Schreiben betont Treuepflicht zum Grundgesetz
Auf der letzten Seite des Schreibens ließ Götze die Adressaten wissen, dass die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz einen "gewichtigen Anhaltspunkt" bei der Bewertung von Verletzungen gegen eben jene Treue zum Grundgesetz darstelle. Bedeutet: Im Einzelfall könne es gravierende Folgen für Beamtinnen und Beamte haben, sollten sie bei ihrem AfD-Engagement gegen die Treuepflicht verstoßen. Dieses Schreiben von Götze mit einer Belehrung im Anhang dürfte auch den nicht im Dienst befindlichen Hermann Schmidt erreicht haben, denn das Innenministerium teilte dazu auf Anfrage mit, dass man davon ausgehe, das alle Mitarbeiter es erhalten haben.
Schmidt bewirbt sich
Die beiden Einladungsschreiben aus der Personalabteilung des Innenministeriums stießen bei Schmidt offenbar auf positive Resonanz. Denn nach MDR THÜRINGEN-Recherchen teilte er dem Ministerium Anfang Dezember 2021 mit, dass er an der Beförderungsrunde teilnehmen wolle.
Darüber hinaus machte er seinem alten Arbeitgeber ein Angebot, das aufhorchen lässt: Im Falle einer Beförderung mache er "von seiner sofortigen Rückkehroption Gebrauch", schrieb Schmidt. Im Klartext: Gebt mir den Posten und ich kündige bei der AfD-Fraktion. Auf die MDR-Anfrage, ob sich Schmidt mit dieser Botschaft an das Innenministerium gegenüber seinem aktuellen Arbeitgeber möglicherweise illoyal verhalten habe, teilte die Fraktion mit: "Die AfD-Fraktion Thüringen erteilt grundsätzlich keine Auskünfte über dienst- oder arbeitsrechtliche Belange ihrer Mitarbeiter."
Komplizierter beamtenrechtlicher Prozess
Mit Schmidts Bereitschaft, an dem Beförderungsverfahren teilzunehmen, begann ein komplizierter beamtenrechtlicher Prozess, der bis heute andauert. Für die Auswahl ist eine Beurteilung der Bewerber notwendig. Weil aber niemand beurteilt werden kann, der gar nicht im Dienst ist, griff das im Beamtenrecht vorgesehene Instrument der sogenannten Fiktiven Fortschreibung. Dabei handelt es sich um eine Beurteilung auf der Grundlage einer Prognose, wie sich Schmidts Karriere im Ministerium entwickelt haben könnte, wenn er dort geblieben wäre.
Höcke gibt gutes Zeugnis
Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN liegt Schmidts prognostizierter Beurteilung ein durchaus brisantes Dokument zu Grunde. Der beurlaubte AfD-Funktionär hatte die Möglichkeit, ein Arbeitszeugnis seines aktuellen Arbeitgebers für die Beurteilung einzureichen. Und ein solches wurde ihm im Februar 2022 tatsächlich ausgestellt. Unterzeichnet vom Chef persönlich, dem Thüringer AfD-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke.
Auf drei Seiten lobt der AfD-Politiker Schmidts Arbeit für die Fraktion in den vergangenen Jahren. Auch dessen Bedeutung in den eigenen Reihen wird hervorgehoben. Der Mitarbeiter sei "maßgeblich für die Verwaltung eines 1,5 Millionen Euro Budgets innerhalb der Fraktion" verantwortlich, betont Arbeitgeber Höcke.
Und so findet also ein Arbeitszeugnis, ausgestellt vom Chef der von den Sicherheitsbehörden als rechtsextrem eingestuften Thüringer AfD, Eingang in die Beurteilung des Thüringer Innenministeriums, deren Chef Georg Maier unlängst ein Verbot der AfD angeregte.
In Schmidts Beurteilung, die Maiers Ministerium schließlich anfertigte, wurde das Arbeitszeugnis wie folgt gewürdigt: "Ausweislich des von der AfD-Fraktion für sie erstellten Arbeitszeugnisses werden von ihnen größtenteils Tätigkeiten wahrgenommen, die dem Aufgabenzuschnitt eines Sachbearbeiters des gehobenen Dienstes bzw. teilweise eines Referenten entsprechen und somit als gleichwertige Tätigkeit (...) anzusehen sind." Unterschrieben ist die Beurteilung von Maiers Staatssekretär Udo Götze.
Unbequeme Fragen an Thüringer Innenministerium
Nach MDR THÜRINGEN-Informationen beruft sich das Ministerium mit Blick auf das eigene Vorgehen auf eine Grundsatzentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2014, nach der beurlaubte Beamte, die in Landtagsfraktionen tätig sind, Arbeitszeugnisse von Dritten vorlegen können.
Das Thüringer Innenministerium will sich zu dem gesamten Vorgang nur bedingt äußern und verweist darauf, dass es sich um eine Personalangelegenheit handele, die einem besonderen Datenschutz unterliege. Auf Nachfrage teilte ein Sprecher zumindest mit, dass es bisher keine disziplinarischen Verfahren gegen Beamtinnen und Beamten im Zusammenhang mit der Frage nach deren Verfassungstreue aufgrund eines politischen Engagements in der Thüringer AfD gebe. Zur Verwendung des Arbeitszeugnisses aus der Feder der AfD heißt es auf aktuelle Anfrage, dass man auch zu Beurteilungen aus Gründen des Personaldatenschutzes keine Auskünfte erteile.
Schmidt geht leer aus und klagt
Bei dem Bewerbungsverfahren auf die Stelle hatte Schmidt zunächst kein Glück. In der Beförderungsrunde, die im Sommer letzten Jahres stattfand, fiel er durch. Diese Entscheidung wollte der beurlaubte Polizist wiederum nicht auf sich sitzen lassen. Schmidt klagte vor dem Verwaltungsgericht Weimar gegen das Land Thüringen, was die Angelegenheit noch komplizierter machte.
Denn in dem Verfahren wurde schnell deutlich, dass dem Innenministerium beim Auswahlverfahren Verwaltungsfehler unterlaufen waren. Das bemerkten die Beamten von Minister Maier und stoppten das Auswahlverfahren. Das Innenministerium zog sich zurück, weil es befürchtete, gegen Schmidt zu verlieren. Dafür musste der Freistaat die Prozesskosten in Höhe von 162 Euro tragen.
In der Folge wurde alles auf Null gesetzt und das Auswahlverfahren begann erneut. Diesmal machten die Ministeriumsbeamten juristisch alles wasserdicht. Doch Schmidt kam wieder nicht zum Zug und klagt erneut aktuell vor dem Verwaltungsgericht Weimar. Vertreten wird er von einem Anwalt, der über den Deutschen Beamtenbund (DBB) bezahlt wird. Denn Schmidt ist Mitglied in der Polizeigewerkschaft DPolG, deren Dachorganisation der DBB ist. Deshalb konnte er die Möglichkeit des Rechtsschutzes der Gewerkschaft nutzen.
Polizeigewerkschaft sieht keinen Grund zum Handeln
Thüringens stellvertretender DPolG-Vorsitzender Dirk Weidenbach teilte dazu mit: "Wer als Mitglied der DPolG Thüringen nachweislich gegen die Grundsätze der freiheitlich demokratischen Grundordnung verstößt, hat mit Konsequenzen zu rechnen." Diese Position habe sich nicht geändert. Darüber hinaus sagte der Gewerkschafter: "Zur Person Hermann Schmidt liegen uns weder Erkenntnisse vor, noch gibt es einen öffentlichen Anlass, wonach die DPolG handeln müsste."
Insofern stünden Schmidt "genauso wie jedem anderen Mitglied die Wahrnahme der satzungsrechtlichen Mittel, Möglichkeiten und Wege" offen. Zum laufenden Verfahren selbst äußerte sich Weidenbach nicht. Rechtsschutzangelegenheiten werden vertraulich behandelt, hieß es. Hermann Schmidt selbst teilte auf MDR THÜRINGEN-Anfrage mit: "Ich möchte nicht auf die Fragen antworten."
MDR (mm)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 20. Januar 2023 | 06:00 Uhr