Innenausschuss Krawalle am "Tag X": Innenminister Schuster sieht Eskalation bei Demonstranten

12. Juni 2023, 20:43 Uhr

Der Polizeieinsatz - insbesondere ein zehn Stunden andauernder Polizeikessel - während der Proteste am "Tag X" nach dem Urteil im Linksextremismus-Prozess zu Lina E. wirft Fragen auf. Dazu hat am Montag der Innenausschuss des Sächsischen Landtags in einer nichtöffentlichen Sondersitzung getagt. Der sächsische Innenminister Armin Schuster hat seine Einschätzung zum Polizeieinsatz nach der Sitzung erneut bekräftigt.

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hat den Polizeieinsatz bei den Demonstrationen in Leipzig vor gut einer Woche erneut verteidigt. Das Vorgehen habe massive Ausschreitungen verhindert, sagte Schuster am Montag nach einer Sondersitzung des Innenausschusses im Dresdner Landtag. "Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Einsatzführung die verhältnismäßigste Möglichkeit war, in Leipzig keine Scherben-Demo zu haben", erklärte Schuster. Dass am betreffenden Wochenende in Leipzig so viele Veranstaltungen gleichzeitig stattfinden konnten, sei "das Ergebnis eines sehr professionellen Polizeieinsatzes" gewesen. Die nichtöffentliche Sondersitzung kam auf Antrag der Linken-, der AfD- und der CDU-Fraktion zusammen.

Schuster weist Vorwürfe an die Polizei zurück

Den Vorwurf, die Polizei habe eskaliert, um das Laufen der Demonstranten von vornherein zu verhindern, wies der Innenminister zurück. Die Versammlungsbehörde und die Polizei hätten nicht brachial reagiert, sondern so angemessen und kooperativ reagiert wie immer. "Man hat versucht, diese Versammlung stattfinden zu lassen, indem man gesagt hat: kein Aufzug, aber eine stationäre Versammlung."

Minister: Übergriffe gewaltbereiter Demonstranten

Schuster verteidigte auch die mehrstündige "Umschließung" von rund 1.000 Personen zur Identitätsfeststellung. Die Stadt habe dem Minister zufolge "alles versucht Versammlungen zu ermöglichen". Dass diese Versammlung komplett aus dem Ruder gelaufen sei, habe nicht an der Polizei gelegen, sondern an den Übergriffen einiger gewaltbereiter Demonstranten. Es habe die Möglichkeit bestanden, diesen Kessel zu verlassen. Die eingekesselten Menschen seien rechtzeitig aufgefordert worden, sich von den gewaltbereiten Demonstranten zu distanzieren. Eine elf Stunden dauernde Umschließung ist laut Schuster nicht das Ziel des Einsatzes gewesen. Das Innenministerium werde allen weiteren Fragen nachgehen.

Nach den Urteilen gegen Lina E. und drei Mitangeklagte wegen linksextremistischer Gewalttaten hatte es in Leipzig heftige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten gegeben. Polizisten wurden unter anderem mit Steinen, Flaschen und einem Brandsatz beworfen. Rund 1.000 Demonstranten wurden daraufhin von den Beamten eingekesselt und stundenlang festgehalten, darunter Minderjährige.

Polizei Dresden untersucht Anschuldigungen gegen Leipziger Kollegen

Der Ausschussvorsitzende Ronald Pohle von der CDU erklärte dem MDR, der Prozess sei noch nicht ganz abgeschlossen. Die Polizeidirektion Dresden werde extern zu den Anschuldigungen gegen die Leipziger Kollegen ermitteln. Er persönlich könne das Verhalten der Einsatzkräfte nachvollziehen. In der heutigen Ausschusssitzung sei es vor allem darum gegangen, das Gesamtgeschehen sachlich herauszuarbeiten.

Pallas: "Noch viele Fragen offen"

Vertreter der Linkspartei, von Grünen und der SPD haben die Maßnahme in den vergangenen Tagen scharf kritisiert. Es seien Menschen auch zufällig in den Kessel geraten und vermutlich auch Demonstrationsteilnehmende, die keine Straftaten begangen hätten. Die parlamentarische Aufarbeitung zu dem Einsatz am 3. Juni habe erst begonnen, sagte SPD-Landtagsabgeordneter Albrecht Pallas. Es seien noch viele Fragen offen. Die Linken-Abgeordnete Kerstin Köditz betonte nach der Sondersitzung, dass vor allen über die Einkesselung zu wenig konkrete Informationen gegeben wurden.

Fridays for Future Leipzig kritisiert Polizei

Vor dem Landtag hatten am Montagmorgen rund 50 junge Menschen gegen das Vorgehen der Polizei bei den linken Protesten am 3. Juni in Leipzig demonstriert. Angerufen dazu hatte "Fridays for Future Leipzig" unter dem Motto "Grundrechte verteidigen, Polizeiwillkür stoppen".

"Im Zuge des sogenannten Tag X ist es vergangenen Samstag zu einer polizeilichen Maßnahme gekommen, die knapp 1.000 Menschen umschloss. Die Betroffenen mussten bis zu zwölf Stunden ohne sanitäre Einrichtungen, Decken, Essen und Trinken von der Polizei ausharren", erklärte Lene Winkler von Fridays for Future Leipzig. Das Bündnis verurteile "diese Einschränkung der Grundrechte aufs Schärfste". Auch in Polizeigewahrsam müsse die Menschenwürde gewahrt bleiben und müssten Grundbedürfnisse gesichert sein. In einem Rechtsstaat dürfe "Demütigung und Entwürdigung niemals durch angebliche Straftaten entschuldigt werden", da die Unschuldsvermutung gelte.

"Wir fordern die Abgeordneten des Innenausschusses auf, für Konsequenzen dieser Rechtsbrüche und für eine angemessene Enschädigung der Betroffenen zu sorgen" sagte Alex Voigt vom Kollektiv gegen Repressionen, das den Kessel bis in die Morgenstunden begleitet hatte.

Grüne Jugend Sachsen: Polizeieinsatz war Drohgebärde

Die Grüne Jugend Sachsen kritisiert Grundrechtsverletzungen und sieht den Polizeieinsatz vor allem als "eine krude Drohgebärde, die das 48 Stunden lange Bedrohungsszenario 'Kontrollzone' auf eine extrem fragwürdige Spitze trieb", erklärte Ella Hanewald, Landessprecherin der Grünen Jugend Sachsen. "Die Gefahrenprognose war viel zu übertrieben." In den Augen der Polizei seien größtenteils friedlich demonstrierende Menschen als 1.000 Personen starker, gewaltbereiter Antifatrupp gesehen worden. "Man kann sich im Nachhinein fragen, ob gewisse Polizeieinsatzleiter sich nicht einem Sehtest unterziehen sollten." Anstatt deeskalierend ein Losgehen der Demo zu erlauben, sie diese am Heinrich-Schütz-Platz festgehalten worden.

MDR (tomi)/epd/dpa

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 12. Juni 2023 | 22:10 Uhr

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