Erfahrungsberichte Lieber nur coole Tante sein? Frauen erzählen, warum sie freiwillig kinderlos bleiben
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28. Juli 2024, 14:00 Uhr
Familie im 21. Jahrhundert? Ein vielfältiges Konzept. Eine Komponente können Frauen sein, die zwar keine eigenen Kinder haben, aber als Patentanten regelmäßig andere Mütter und Väter unterstützen. Selbst haben sie sich - teilweise schon seit dem jungen Erwachsenenalter - gegen das Kinderkriegen entschieden. MDR SACHSEN hat von Frauen erfahren, dass die freiwillige Kinderlosigkeit wenig zu tun hat mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern mit Freizeitgestaltung und Eigenverantwortung.
Für viele Frauen ist ein Leben ohne eigene Kinder eine selbstbewusste Entscheidung, die nicht vorrangig mit der Ablehnung gegenüber Kindern, dem Karrierestreben oder der Angst vor Überforderung als Mutter zu tun hat. Das belegte vor zwei Jahren eine bundesweit beachtete Studie zu gewollter Kinderlosigkeit. Auch ich dachte über längere Zeit, dass ich Teil dieser Community bleibe und einfach als liebevolle Patin den Lebensweg des kleinen Sohnes meiner besten Freundin begleiten würde. Denn: Ich konnte mir nicht vorstellen, selbst ein Kind zu bekommen.
Suche nach Vorbildern
So ähnlich geht es auch der 41-jährigen Alica Weirauch. Sie ist Teil des Leitungsteams des Fritz-Theaters in Chemnitz. Nach verschiedenen Stationen, unter anderem an der Deutschen Bühne Ungarn, ist sie seit nunmehr elf Jahren dort tätig. Bis heute hofft sie, dass sich kinderlose Frauen in der Gesellschaft mehr repräsentiert fühlen können: "Ich war so dankbar, wenn ich mal eine Dramaturgin oder irgendeine Frau gefunden hatte, die gesagt hat: Ich habe keine Kinder, ich will keine Kinder."
Diese seltenen Begegnungen hätten Weirauch das Gefühl gegeben, dass doch alles mit ihr richtig sei. "Deswegen finde ich das total wichtig, dass klargemacht wird, dass es diese Option gibt und dass es eine Entscheidung ist", sagte die im Ruhrpott geborene Wahlsächsin in unserem Gespräch weiter. Oft sei sie auch schon von Gästen des Theaters angesprochen worden, wann sie denn endlich auch ein Kind bekäme.
Zwischen den Welten
Ich bin mittlerweile durch meine Partnerin zweifache Mutter - von einem Teenager und einem Vorschulkind - geworden. Wir sind eine sogenannte Regenbogenfamilie. Ich weiß also genau, welche Pflichten, welchen Verzicht und welche Schätze das Elternsein mit sich bringt. Und ich mache mir viele Gedanken über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, oder welche Welt wir heutigen Erwachsenen unseren Kindern hinterlassen. Gleichzeitig fühle ich mich nach wie vor mit der Lebenswelt der Menschen ohne Kinder verbunden.
Tantesein als konzentrierte Zeit fürs Kind
Doch zurück zu Alica Weirauch: Sie sieht sich also eher als Tante, die befreundeten Müttern - einige von ihnen alleinerziehend - gelegentlich die sogenannte Care Arbeit abnimmt. Über die Zeit mit ihren Patenkindern erzählt sie: "Als Tante kann ich über die Zeit bestimmen und entscheiden. Jetzt nehme ich mir die Zeit für das Kind und beschäftige mich. Dann gebe ich es wieder ab. Das empfinde ich als gravierenden Unterschied, weil man die Zeit sehr effektiv nutzen kann, weil sie halt besonders ist."
Ich glaube, wenn man das will, gibt es in jeder Branche eine Lösung.
Kinder haben auch in der Kunstszene Platz
Dass der vermeintlich kinderfeindliche Beruf als Schauspielerin und Kulturschaffende sie von der Familiengründung abgehalten hat, verneint Weirauch. "Meine Teamkollegin und ihr Partner haben einen achtjährigen Sohn und trotzdem leiten sie unser Theater." Die damals Schwangere habe bis kurz vor der Geburt auf der Bühne gestanden.
"Als der Kleine dann da war, habe ich ihn mir manchmal um den Bauch geschnallt, weil ich die am wenigsten gefährlichen Bühnenumbauten hatte und sie noch spielen musste. Ich glaube, wenn man das will, gibt es in jeder Branche eine Lösung", berichtete sie weiter.
Genervt vom ständigen Erklären
Lena Schulze ist 24 Jahre alt und arbeitet seit dem Ende ihres Studiums an der TU Chemnitz auch im Theaterteam. Die gebürtige Chemnitzerin findet einen starken Rechtfertigungsdrang: "Was ich halt ganz oft höre, ist, du bist jung, das kommt noch. In deinem Alter wollte ich auch keine Kinder haben. Aber ich denke mir, ich will nicht nur jetzt keine Kinder haben. Ich will nie Kinder haben. Und das war mir aber auch schon immer klar", berichtet sie. Sie habe einen Partner und drei Katzen und damit sei sie glücklich.
Mir reichen meine drei Katzen und mein Partner. Und da bin ich happy.
Im Familienkreis akzeptiert
Auch meine gute Bekannte Maila Müller* in Leipzig fühlt sich nach eigener Aussage eher als "Fellmama". Sie besitzt Kaninchen: "Ich habe mich schon immer mit Tieren wohler gefühlt als mit Menschen", erzählt sie mir. Und auch sie fühlt in der Gesellschaft den Zwang, sich für ihre Kinderlosigkeit rechtfertigen zu müssen. "Im Freundes- und Familienkreis und im Arbeitsumfeld habe ich allerdings das Glück, mich nie erklären oder gar rechtfertigen zu müssen", sagte sie. Auch verbringt sie als "schaukelbegeisterte Tante" gerne Zeit mit den Kindern ihrer Schwester, auch wenn sie in einem anderen Teil Deutschlands wohnen und sie die Drei nicht so oft siehst, wie sie gerne würde.
Kinderlos wegen Missbrauchserfahrung
Auf die Frage, warum die 34-jährige Maila keine eigenen Kinder möchte, erzählte sie von der Erfahrung sexuellen Missbrauchs, von dem selbst ich als ihre Freundin bisher noch nicht wusste: "Wenn man es an manchen Tagen nicht erträgt, von dem Partner, den man liebt, berührt zu werden, wie soll man da ein Kind haben, das ein Recht darauf hat, dass man immer für es da ist?"
Studie zu gewollter Kinderlosigkeit aus dem Jahr 2022:
Patentante oder Mutter sein als gleichwertige Entscheidung
Auch Alica Weirauch hofft, dass das Thema Kinderlosigkeit zukünftig vorurteilsfreier und gleichwertiger mit der Entscheidung zum Mutterwerden diskutiert wird. "Ich habe immer noch in mir verankert, diesen Drang, das erklären zu wollen. Immer. Ja, ich bin halt egoistisch, und ich möchte einfach frei sein. Und ich möchte den Sachen nachgehen. Da hoffe ich einfach wirklich, dass sich was tut und dass es einfach eine gleichwertige Entscheidung ist." Schließlich heißt auch Kinderhaben, dass man eigenen Interessen und Ambitionen nachgehen kann. Es erfordert natürlich mehr Organisation und andere Ressourcen.
*Name von der Redaktion geändert.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 19. Juli 2024 | 19:00 Uhr
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